Am ersten Tag versammelten sich die neuen Schüler in der Aula. Dort wurden sie in die verschiedenen Klassen aufgeteilt. Die erste Überraschung erlebte Dieter, als er nicht in der Klasse der Baumaschinisten aufgerufen wurde. Er hielt es zuerst für ein Versehen. Dann wurde er doch noch aufgerufen. In der Klasse der Betonfacharbeiter. Was war denn das? Betonfacharbeiter!
Als er sich ins angegebene Schulzimmer begab, fragte er beim Lehrer nach, wieso er nicht in die Klasse der Baumaschinisten eingeteilt wurde. Der Lehrer holt seine Akte hervor.
«Deine Schulnoten waren nicht ausreichend», erklärte er ihm nach einem kurzen Blick in die Akte, «aber das ist nicht schlimm, Betonfacharbeiter sind zurzeit sehr gefragt. Es müssen viele Wohnungen gebaut werden.»
Damit musste sich Dieter abfinden. So schlimm würde es nicht werden, er kannte den Unterschied zwischen den beiden Berufen genau und war stink sauer, dass er nicht Baumaschinist lernen durfte. Sicher war, dass man bei beiden Berufen auf dem Bau arbeitete, wenigstens musste er nicht in einer Schreibstube sitzen, sondern war draussen an der Luft. Die Klasse bestand aus 29 Schüler und drei Mädchen.
Der Unterricht wurde so gestaltet, dass sie drei Wochen Schule hatten und danach eine Woche praktische Lehrausbildung. So gab es etwas Abwechslung. Schon nach wenigen Tagen fühlte sich Dieter an die Kämpfe mit Frau Doppeeser erinnert. Die gleiche Taktik von Seiten des Lehrers. Kein Verständnis für die Interessen der Schüler, nur Zucht und Ordnung, dazu der drillmässige staatspolitische Fixierung auf das grossartige Sozialistische System.
Das waren genau die Bedingungen, welche bei Dieter den Konflikt mit den Lehrkräften herausforderte. So dauerte es nicht lange und er stand auf dem so genannten schwarzen Brett.
Endlich waren die ersten drei Wochen rum. Die praktische Ausbildung auf einer Baustelle begann. Es war harte Arbeit. Sein Vorarbeiter erklärte die zu erledigende Arbeit sehr komplizier. Man merkte, dass er alles nur aus dem Bürosessel gelernt hatte, man konnte mit seinen Anweisungen nichts anfangen. Doch Dieter merkte schnell, dass er sich besser bei den anderen Arbeitern auf der Baustelle informierte, die gaben einem die besseren Typs. Dank seiner praktischen Veranlagung kam Dieter gut zurecht.
Mit der Zeit lernte Dieter, wie er seine harte Arbeit einfacher gestalten konnte. Dazu wurde sein Körper durch die harte Arbeit gestärkt. In der Praxis konnten die andern Schüler nicht mit ihm Schritt halten, doch in den Schulfächern hatte er weiterhin sehr schlechte Noten.
Die Zeugnisse wurden an einer Feier durch Parteigrössen übergeben. Die Eltern von Dieter mussten sich entschuldigen, sie konnten an der Feier nicht teilnehmen. Dieter lud seine Freunde Gerd und Helmut ein, ihn zu begleiten. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, Dieter sass mit seinen Freunden in die letzte Reihe.
Es wurden endlos lange patriotische Reden gehalten. Dann, endlich wurden die ersten Absolventen aufgerufen. Zuerst waren die Schüler mit sehr guten Noten an der Reihe.
Nach den sehr guten Noten, kamen die Schüler, welche mit einer zwei abgeschossen hatten, danach die, mit Note drei. Immer das Gleiche. Am Schluss blieben noch die mit Note vier übrig. Als Letzter wurde Dieter aufgerufen.
«Dank der grossen Errungenschaften des Sozialismus, welcher auch weniger begabten Schülern erlaubt, sich zu bewähren und einen Berufsabschluss zu erlangen. Trotzt einer Note fünf in einem Fach, hatte die Kommission beschlossen Dieter Thom die Prüfung, als bestanden anzurechnen. Dank seinen guten Leistungen in der praktischen Prüfung, ist es zu verantworten. Der Sozialismus ermöglicht es, dass jeder seine Möglichkeiten ausschöpfen kann. Wir gratulieren Dieter zur bestandenen Prüfung!»
Er überreichte Dieter sein Diplom, der Saal applaudierte. Dieter klemmte sich das Diplom unter den Arm und verliess mit seinen Freunden sofort den Saal. Er fühlte sich ausgenutzt und gedemütigt. Keiner hatte erwähnt, dass er die Note fünf in Politunterricht erhalten hatte. Die Partei hatte mit dem Anlass, wieder einmal ihre grenzenlose Macht demonstriert.
Im Anschluss besuchte Dieter mit seinen Freunden eine Tanzveranstaltung. Er musste sich noch von seinen Freunden verabschieden, in drei Tagen würde er seine Ferien auf der Insel Rügen antreten. Das mit der hohen Tatra, musste er vergessen, die Deutschen durften nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen. Vermutlich hätte Dieter auch so nach Rügen in die Ferien fahren müssen, denn, er musste rekognoszieren. Die Familie Thom wollte wegen seinem Bruder Olaf nach Rügen umziehen. Seit einem Jahr suchten sie auf Rügen vergebens nach einer Wohnung. Doch nun ergab sich eine günstige Gelegenheit. Die Tochter einer Familie welche auf Rügen lebte, studierte in Halle. Deshalb möchte die Familie nach Halle umziehen. Man überprüfte zurzeit, ob ein Wohnungsabtausch möglich wäre.
Da Vati und Mutti beide nicht weg konnten, hatte der Familienrat beschlossen, dass sich Dieter mal das Haus auf Rügen ansehen soll. Er würde vier Wochen bei der Familie wohnen. So konnte er alles genau untersuchen.
Mit dem Zug fuhr Dieter nach Sagard. Die Familie Runge wartete am Bahnhof. Herr Runge eilte sofort auf ihn zu.
«Du bist sicher Dieter!», Papa Runge reichte Dieter die Hand, «das ist meine Tochter Britta, sie ist ein Jahr älter als du.»
Britta war ein hübsches Mädchen und Dieter wusste sofort, dass er sie gut leiden konnte. Sie war freundlich und aufgeschlossen, dazu sah sie sehr gut aus.
«Los», trieb Karl an, «wir haben noch einen weiten Weg, nach Marlow gehen wir zu Fuss.»
Zum Glück reiste Dieter mit einem Rucksack, so hatte er mit den vier Kilometern Fussmarsch keine Probleme.
«Meine Eltern stammen ursprünglich aus Polen», erzählte Britta, sie hörte gar nicht mehr auf zu erzählen. Dieter kam nicht zu Wort, ihm gefiel ihr deutliches klares Hochdeutsch, nicht dieses genuschelte Deutsch, welches die Hallesner unter sich sprachen. Britta erzählte auf dem Weg alles was er über Marlow und Rügen wissen musste. So wusste er bereits, dass sie Schafe, Hühner, Enten und Gänse hielten, dass das Bauerhaus am Dorfrand lag und dass es rundum nur Felder zu sehen gab. Der einzige Nachbar wohnte etwas abseits. Es muss eine ländliche Idylle sein, so wie es Britta schilderte.
Als sie sich dem Haus näherten, rannte ihnen ein kleiner Spitz entgegen. Der kleine lustige Hund hiess Lumpi. Der Name passte zu ihm. Erst begrüsste er Britta stürmisch. Dann schnüffelte er an Dieters Beinen und wedelte mit dem Schwanz.
«Er mag dich», stellte Britta fest, «ihr werdet gut miteinander auskommen. Ah, - das ist Mama!»
Frau Runge kam aus dem Haus und eilte auf Dieter zu und umarmte ihn herzlich.
«Du bist sicher hungrig», erklärte sie, «das Essen steht auf dem Tisch, los, beeilt euch, sonst wird es kalt.»
Dieter fühlte sich in der Familie Runge von Beginn an wohl. Er wurde wie ein Sohn aufgenommen. Er half im Garten und beim Pflegen der Tiere. Die Schulprobleme waren weit weg. Dieter ging es ausgezeichnet. Es war ein einfaches Leben, welches die Familie Runge lebte. Am Tag wurde gearbeitet und abends sass man in der Stube zusammen und erzählte Geschichten.
Wenn er mit Britta allein war, tauschten sie Zärtlichkeiten aus. Dieter hatte sich in Britta verliebt, sie wehrte sich nicht dagegen. Für Dieter gab es nur noch Britta, vergessen war Jana aus der Tschechei, welche er nie mehr sehen würde. Er sah nur noch Britta.
Nach einer schönen Woche, wurde Britta plötzlich traurig. Dieter konnte sich nicht vorstellen was sie hatte. Er gab sich alle Mühe, doch es war offensichtlich, etwas bedrückt sie. Dieter merkte, dass sie ihm aus dem Weg ging.
Dann, zwei Tage später traf er sie auf dem Weg zu Strand.
«Britta», begann er das Gespräch, «warum bist du so traurig und weichst mir aus? Ich liebe dich, aber du gehst mir aus dem Weg.»
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