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Mittwoch, 07. Juli
Köln, Hotel „Domblick“
Petra erwachte in ihrem Zimmer in der dritten Etage des Hotels Domblick vom penetranten Läuten des Zimmertelefons. Noch ein wenig durcheinander, weil sie sich erst orientieren musste, wo sie war, nahm sie den Hörer ab und meldete sich mit einer völlig verschlafenen Stimme.
Kommissar Welp war am anderen Ende der Leitung. Er bat sie, sich mit ihm in einer halben Stunde im Frühstücksraum des Hotels zu treffen, damit er ihr weitere Informationen zu dem Unfall und der ECTA geben konnte, die er gestern am Telefon noch zurückgehalten hatte.
Nachdem sie aufgelegt hatte, zog sich Petra die verschwitzten und zerknitterten Sachen vom Vortag aus. Sie war tatsächlich nicht einmal in der Nacht wach geworden, sie trug sogar noch ihre leichte, dünne Jacke, die sie am Vorabend nach dem Betreten des Zimmers nicht ausgezogen hatte. Danach ging sie unter die Dusche, bevor sie sich etwas Frisches anzog und sich auf den Weg in den Frühstücksraum begab.
Sie verteilte ihre eingepackten Klamotten wild durcheinander auf dem Bett und suchte sich etwas Passendes heraus. Trotz dessen, dass sie keinen großen Wert auf bestimmte Sachen legte, oder auf farblich abgestimmte, fiel es ihr doch stets schwer, sich für etwas zu entscheiden. Sie wählte schließlich eine lange, graue Leinenhose und eine gelbe Bluse. Dazu ihre braunen Wanderschuhe. Die waren zwar warm, aber in denen fühlte sie sich am wohlsten. Socken ließ sie aufgrund der Temperaturen weg.
Als sie runter kam, blickte sie sich im Frühstücksraum um auf der Suche nach dem Kommissar. Der Raum war verhältnismäßig groß, ausgestattet mit zehn Tischen für jeweils vier Personen. Es waren lediglich zwei besetzt und an einem saß ein Mann alleine. Petra war sich sicher, dass es sich bei diesem Herren um den Kommissar handeln musste.
Petra ging auf den Tisch zu und stellte sich vor. Zweifellos war dies ein Kriminalbeamter. Wer würde denn sonst bei solch einem Wetter in einem grauen Trenchcoat herumlaufen. Touristen mit Sicherheit nicht.
Sie blickte in müde, graublaue und tief liegende Augen, die von wuchernden, silberfarbenen Augenbrauen bedeckt wurden. So alt wie der Mann vor ihr wirkte, hatte sie ihn aufgrund der Stimme vom Telefon her gar nicht erwartet. So konnte man sich täuschen.
Kommissar Welp bat sie, doch Platz zu nehmen und nach kurzen, gegenseitigen Begrüßungsfloskeln, versuchte Welp die Sachlage Petra etwas genauer zu erläutern. Er berichtete ihr von Problemen, die bei beiden Bauabschnitten der geplanten Trasse gleichzeitig auftraten, sowie etwas detaillierter von dem Unfall der Kinder Westerfeld.
“Das ist es, worum es geht. Die ECTA will Gewissheit, dass ihre Bauarbeiten nichts mit dem Unfall zu tun haben und wir, die Polizei, will die Todesfälle, bzw. deren Ursache geklärt haben und ausschließen können, dass da unten nicht doch jemand haust, der die Kinder runter gelockt und umgebracht hat. Für uns bedeutet das einen gewaltigen Spagat hinzulegen zwischen Ermittlungen und parallel darauf zu achten, dass nichts von der ECTA und deren Bauproblemen an die Öffentlichkeit dringt.
Die ECTA wird halt mit Steuergeldern bezahlt und somit hat die Politik da ihre Hände mit im Spiel, was mir ehrlich gesagt, nicht passt, weil dadurch unsere Arbeit erschwert wird. Nichtsdestotrotz müssen wir darauf Rücksicht nehmen. Bei der Gelegenheit. Kennen Sie vielleicht jemanden, der sich mit Gesteinen auskennt?” Man merkte Welp an, wie sehr er sich wünschte, nicht unter diesem Druck stehen zu müssen. Er schnaufte einmal tief durch, nachdem er geendet hatte.
“Ich weiß, ehrlich gesagt, immer noch nicht wie ich Ihnen helfen könnte, aber das mag sich ändern, wenn ich in der Höhle war und mir selber ein Bild gemacht habe. Also würde ich vorschlagen, dass wir jetzt genau das machen sollten, uns die Höhle anschauen.” Petra versuchte auf ihre innere Stimme zu hören, ob sie helfen konnte, oder ob es nur verschwendete Zeit war, die sie besser in Neapel verbracht hätte. Die Frage des Kommissars nach einem Geologen blieb vorerst unbeantwortet. Petra war mit ihren Gedanken bei der Höhle, was sie da erwarten würde und dem Hin- und Hergerissen sein, ob es richtig war, hier zu sein.
“Mein Wagen steht draußen. Wenn Sie wollen können wir sofort los.”, erwiderte Welp etwas erleichtert. Er hatte schon irgendwie damit gerechnet, dass Petra ihm doch noch absagen würde.
“Gut, ich hole nur noch meine Tasche aus dem Zimmer. Warten Sie draußen?”, fragte Petra und war auch schon aufgestanden und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer ohne eine Antwort des Kommissars abzuwarten.
Welp nickte kurz zur Antwort, was Petra nicht mehr sah. Er stand auf und ging ebenfalls.
Auf dem Weg nach draußen kramte er in seinem Mantel, holte eine Schachtel Zigaretten raus und zündete sich eine an. Ihm fiel es als Kettenraucher, er rauchte seit seinem fünfzehnten Lebensjahr, immer noch verdammt schwer, sich an das bestehende Nichtrauchergesetz zu halten. Der Drang in Restaurants, Kneipen, oder eben auch Hotelgasträumen sich eine Zigarette anzuzünden war nach wie vor sehr ausgeprägt. An ganz schlimmen und stressigen Tagen hatte er es auf fast drei, manchmal sogar vier Schachteln gebracht.
Petra kam aus der Hoteltür, ihre beige Tasche über der Schulter hängend und stieg zu ihm ins Auto. Als sie die Tür öffnete kam ihr sogleich ein Schwall Zigarettengestank entgegen. Na toll! Sind denn alle Polizisten in Köln Raucher? Schweigend fuhren sie los und erreichten nach einer knappen Stunde den Eingang zur Höhle.
Naturschutzgebiet bei Engelskirchen
Ohne viele Worte zu verlieren machten sich Petra und Kommissar Welp an den Abstieg in die Höhle, der über eine lange Feuerwehrleiter führte. Welp trug immer noch seinen Trenchcoat, obwohl er mittlerweile einige Schweißperlen auf der Stirn hatte. Es schien ihn aber nicht zu stören. Als sie unten angekommen waren, schaltete Petra ihre Taschenlampe ein, um sich ein erstes Bild von den Gegebenheiten zu machen.
“Kommen Sie Dr. Althing, hier entlang.”, sagte Welp und führte sie in einen der Gänge. Petra blieb immer wieder stehen, um sich stellenweise die Malereien etwas genauer zu betrachten und machte sich Notizen dazu. Welp konnte nicht deuten, was sie davon hielt. Petra zeigte keinerlei Regungen, an denen man hätte etwas ablesen können.
Nach etwa dreihundert Metern kamen sie an eine Kreuzung, von der aus weitere fünf Tunnel tiefer in die Höhle hineinführten. Kaum eine Wandfläche war frei von Malereien.
“Haben sie vielleicht eine Karte dieser Gegend dabei?“, fragte Petra den Hauptkommissar.
“Ich glaube schon, warten Sie.” Er kramte in den Weiten seines Mantels, konnte sich allerdings keinen Reim darauf machen, was Petra mit einer Karte des Naturschutzgebietes anfangen wollte. Tatsächlich hatte er eine dabei und reichte sie Petra mit einem fragenden Blick, den sie aber entweder nicht wahrnahm, oder einfach ignorierte.
“Was haben Sie damit vor?”, wollte der Kommissar wissen und beugte sich mit über die Karte, die Petra ausgebreitet hatte.
“Ich möchte versuchen unseren Weg, den wir jetzt gehen, einigermaßen genau festzuhalten.”, antwortete Petra leicht geistesabwesend. Sie malte Linien ein, markierte zwei Punkte und betrachtete sich dann nachdenklich die Karte. Dann deutete sie auf einen der Gänge.
“Wir gehen jetzt dort weiter.“, bestimmte sie und marschierte auch schon los. Der Kommissar folgte ihr.
Auch in diesem Tunnel zeigten sich weitere Malereien an den Wänden. Nach ein paar Metern weiter verschwenkte der Gang leicht nach rechts, bevor er wieder ziemlich gerade verlief. Es dauerte nicht lange, da kamen sie an die nächste Kreuzung. Petra blieb stehen, zeichnete erneut etwas auf der Karte ein, hob den Kopf, als wenn sie sich orientieren wollte und ging dann weiter.
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