Das Höhlensystem, welches sie hier im Auftrag der italienischen Regierung untersuchen sollten, könnte für die Vulkanforschung und für die Vorhersage von deren Ausbrüchen durchaus von Bedeutung sein. Seismologische Messungen deuteten darauf hin, dass die Höhlen hier sehr dicht an die Schlote des Vesuvs heranreichten.
Ihre Ergebnisse, so hofften jedenfalls die Auftraggeber, konnten den Vulkanologen Hinweise auf weitere Untersuchungen des Megavulkans liefern, von dem der Vesuv nur ein kleiner Teil war, und vor allem Aufschlüsse, um einen eventuellen Ausbruch genauer vorhersagen zu können. Dieses Höhlensystem hier hatte einige Verzweigungen, die scheinbar sehr weit in die Tiefe reichten, zumindest deuteten die Sonarergebnisse darauf hin.
Gerade als sie sich eine weitere Portion Spaghetti auffüllen wollte, wurde der Zelteingang beiseite geschoben und ihr Assistent, Marco Angelotti, ein gebürtiger Neapolitaner, lugte in ihr Zelt.
Marco war der typische Italiener, klein, schwarzhaarig und leicht untersetzt. Dreitagebart und dunkelbraune Augen. Die mittlerweile zwei Jahre andauernde Zusammenarbeit mit ihm hatte schon Vorteile gezeigt. Petra konnte kein Wort italienisch und so war er alleine schon was die Kommunikation mit den Behörden anging eine große Hilfe. Darüber hinaus hatte sich im Laufe der Zeit durchaus so etwas wie eine Freundschaft zwischen den beiden entwickelt. Das Vertrauen zu ihm war so groß, wie mit kaum einem Menschen sonst, mit dem sie zu tun hatte.
“Petra, da ist ein Anruf für Dich.”
“Ich esse gerade. Kann das nicht warten?”, fragte sie etwas undeutlich auf einer Portion Nudeln herumkauend.
“Ich glaube nicht. Da ist ein gewisser Kommissar Welp dran. Es geht um einen Unfall bei dem zwei Kinder ums Leben gekommen sind. Es klang sehr dringlich.“ Marco griente in sich hinein. Er hatte nie verstanden, was Petra so sehr an den Spaghetti mochte. Eine gute Pizza, ja, aber doch nicht Nudeln!
“Und was hab ich damit zu tun? Ich bin Höhlenforscherin und keine Kriminologin.” Sie legte den Löffel auf den Teller und drehte sich zu Marco um.
“Ich weiß, das habe ich ihm auch gesagt, aber er meinte es würde genau in Deinen Bereich fallen. Was er genau damit meinte, wollte er mir nicht sagen.”
“Na gut, hören wir uns an, was er will.”
Sie schob ihren Teller beiseite und folgte Marco zum Kommandozelt, in dem die gesamte Kommunikationsanlage und auch die Arbeitsgeräte und Computer untergebracht waren.
Der Hörer lag neben dem antik wirkenden Telefon auf dem vordersten Tisch. Petra nahm den Hörer auf und warf Marco nochmal einen genervten Blick zu, der so viel sagte wie Na dann wollen wir mal.
“Dr. Althing, guten Tag. Sie stören mich beim Abendessen. Also, wie kann ich Ihnen helfen? Mein Assistent sagte etwas von einem Unfall?”, meldete sie sich mit einem schnippischen Unterton in der Stimme.
“Guten Abend Frau Dr. Althing. Ich bin Hauptkommissar Welp von der Mordkommission Köln. Ja, das ist richtig. Wir untersuchen den Tod zweier Kinder, die bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen sind. Zumindest gehen wir derzeit noch davon aus, dass es ein Unfall war.”
“Mordkommission? Sie sagten doch eben, dass Sie von einem Unfall ausgehen. Mal abgesehen davon, wie kann ich Ihnen helfen? Ich bin Höhlenforscherin! Und falls Sie dachten, mich nach Deutschland holen zu können muss ich Sie enttäuschen. Wir stehen kurz vor einer entscheidenden Entdeckung, sofern unsere gesammelten Daten stimmen.”
„Nach meinen Informationen haben Sie mit den Untersuchungen in Italien doch noch gar nicht begonnen, ergo können Sie nicht kurz vor einem Durchbruch stehen.“
„Woher auch immer Sie das wissen, aber ja, es stimmt, wir wollten morgen erst mit den ersten Untersuchungen beginnen. Also gut, dann erzählen Sie mir, wie Ihnen eine Höhlenforscherin weiter helfen kann.“, gab Petra entnervt auf, den Kommissar abwimmeln zu können.
„Danke Dr. Althing. Die Kinder sind offensichtlich durch ein kleines bis mittleres Erdbeben, welches sich unerklärlicherweise auf einen sehr kleinen Bereich beschränkt hat, in ein Erdloch gefallen. Dieses Erdloch hat sich aufgrund dieses Bebens aufgetan. Dort wo sie abgestürzt sind, befindet sich am Grund eine Höhle von der noch niemand etwas gehört zu haben scheint. Wir waren bisher nur an dem Fundort der Kinder. Wir haben hier etwas entdeckt, was genau in Ihr Ressort fallen dürfte.”
„Und was genau ist das, was Sie gefunden haben?“ Petra musste zugeben, dass ein erstes, kleines Interesse bei ihr geweckt war.
„Malereien. Überaus beeindruckende Höhlenmalereien, wenn Sie mich fragen. Die sehen aus, als wären sie gerade erst frisch aufgetragen worden.“
„Höhlenmalereien? Was für Höhlenmalereien? Wo sind Sie haben Sie gesagt? In Köln? Das kann ich nicht glauben!“ Jetzt war Petra Feuer und Flamme.
“Das haben wir auch erst gedacht, aber sie sind da! Es sind unglaublich farbenfrohe Darstellungen, hauptsächlich von ausgestorbenen Tieren. Seit mehr als zehntausend Jahren ausgestorben, wie uns gesagt wurde. Die Farbintensität ist allerdings so gewaltig, dass wir glauben, dass die Malereien selber bei Weitem nicht so alt sind, wie sie sein müssten. Andererseits gibt es aber auch welche, bei denen die Farben deutlich blasser, also scheinbar älter sind. Das merkwürdigste sind die Darstellungen selbst. Die scheinen sich alle in der Höhle abzuspielen. Es gibt keinerlei Darstellungen von der Umgebung, von Pflanzen, oder Ähnlichem. Dr. Althing, sie müssen uns helfen! Wir sind ratlos.” Man konnte tatsächlich eine gewisse Hilflosigkeit aus der Stimme des Kommissars hören.
“Das klingt wirklich sehr ungewöhnlich. Und sie sind sich sicher, dass es so alte Malereien sind?”
“Das ist es ja gerade, wir sind uns nicht sicher. Deswegen brauchen wir Sie. Sie hatten Recht mit Ihrer Vermutung, dass Sie nach Köln kommen mögen. Wenn Sie uns bescheinigen, dass sie nicht so alt sind, sondern vielleicht nur ein paar Jahre oder weniger, müssen wir in Richtung Mord ermitteln, in der Annahme, dass dort jemand haust. Wenn aber die bisherigen Theorien stimmen sollten, haben wir es mit einer archäologischen Neuentdeckung zu tun.”
“OK, ich werde aber Marco Angelotti, meinen Assistenten, einweihen. Er soll meinen Auftraggebern ausrichten, dass ich wegen einer dringenden Familienangelegenheit nach Deutschland musste und in spätestens einer Woche wieder hier sein werde.”
“Ich hoffe sehr, dass Sie das einhalten können. Wer weiß, was wir hier haben. Wann können Sie hier sein?” Welp klang sehr erleichtert.
“Ich werde mich gleich auf den Weg machen. Ich rufe Sie vom Flughafen Neapel aus an, sobald ich weiß mit welcher Maschine ich in Köln ankomme.”
“Vielen Dank Frau Dr. Althing! Eine Bitte habe ich aber noch. Außer zu ihrem Assistenten kein Wort darüber verlieren! So lange wir nicht genau wissen mit was wir es zu tun haben. Warum, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen, darf ich Ihnen nicht sagen.”
Petra verließ innerlich aufgewühlt das Kommandozelt und kehrte in ihr eigenes zurück. Sie war schon neugierig geworden, was sie in Köln erwarten würde, auch wenn es diesen tragischen Hintergrund des Todes der beiden Kinder hatte. Andererseits hatte sie hier in Neapel endlich die Möglichkeit bekommen, auf die sie schon so lange gewartet hatte, sich mit ihren Kenntnissen in der Welt der Wissenschaft ansatzweise zu etablieren.
Marco begleitete sie in ihr Zelt. Er hatte das Telefonat mit dem Kommissar mitangehört, schwieg jedoch und wartete ab, was Petra ihm mitteilen wird. Er hatte das Gespräch nur von ihrer Seite mitbekommen und konnte sich zwar seinen Teil denken, aber Genaues wusste er nicht.
Als sich beide an den Tisch gesetzt hatten, die Nudeln waren mittlerweile kalt geworden, begann Petra ihm ein wenig von den Geschehnissen in Köln einzuweihen und was die Polizei sich von ihr versprach.
Читать дальше