”Dann wissen wir zumindest schon mal, wer da unten liegt.”
”Das werden aber nicht alle sein. Wenigstens einer hat überlebt.” Petra fiel es schwer, zu sprechen, ein dicker Klos saß ihr im Hals fest.
”Wie kommen Sie darauf? Sie haben das Wirrwarr da unten nicht gesehen. Da kann man niemanden identifizieren, schon gar nicht auf einen Blick feststellen, um wie viele Personen es sich handelt.“, gab Welp zu bedenken.
Petra hielt ihm nun doch das Buch hin und deutete auf einen bestimmten Namen in der Liste, die von diesem Massmann notiert worden war.
Werner Tiefental
Wer sollte das sein? Der Name sagte ihm nichts. Welp schaute Petra verständnislos ins Gesicht, sie war blass geworden und hatte kleine Tränen in den Augen.
“Und woher wollen Sie wissen, dass dieser Werner Tiefental überlebt hat?”, fragte er.
Es dauerte einen Moment, bis Petra sich gefasst hatte und antworten konnte: “Er war mein Professor an der Uni. Daher weiß ich, dass zumindest er überlebt hat.”, antwortete sie mit zitternder Stimme.
”Ich muss sofort nach Hamburg!”, setzte sie entschlossen hinzu.
Mittwoch, 07. Juli
Köln
Petra und Kommissar Welp waren auf dem Rückweg zum Hotel nach Köln. Petra war komplett in sich gekehrt, nach der Entdeckung, die sie gerade in der Höhle gemacht hatte. Mit so etwas hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Es war einerseits überwältigend, was sie in der Höhle gesehen hatte. Allerdings schockierend und erschreckend zugleich, wenn sie an den grässlichen Fund dachte.
Was ihr aber am meisten Gedanken machte war die Frage nach Prof. Werner Tiefental. Wie hing ihr alter Professor da mit drin? Er hatte nie über eine Höhle in Deutschland gesprochen und die hier war mehr als bemerkenswert. Was war in 1954 vorgefallen, dass er sich niemals darüber geäußert hatte, was war so grausam, dass man es für sich behielt? Sie verstand es nicht. Gerade auch wegen dieser unglaublichen, einzigartigen Malereien, die mit Sicherheit bedeutend in der Welt der Wissenschaft geworden wären. Sie musste ihn zur Rede stellen, je eher, desto besser.
“Fahren Sie mich bitte nicht ins Hotel, sondern gleich zum Bahnhof.”, bat Petra den Kommissar. Sie hatte das Gefühl keine Zeit verlieren zu dürfen.
“Sie wollen sofort nach Hamburg? Haben sie denn alles dabei, was Sie brauchen?“, fragte der Kommissar überrascht. Er konnte sich noch viel weniger einen Reim auf den Fund machen und warum sich Petra davon so dermaßen hat durcheinander bringen lassen.
“Ich denke, das ist das Beste. Auch für Sie und Ihre Ermittlungen. Es ist nur so ein Gefühl, aber ich glaube, wenn ich mit Professor Tiefental gesprochen habe, könnte sich schon einiges aufklären.“, antwortete Petra.
Welp brummte als Zustimmung und änderte leicht die Fahrtrichtung. Es war kein großer Umweg, da das Hotel nicht sehr weit vom Bahnhof entfernt lag.
“Hier, ich habe Ihnen die Nummer vom geologischen Institut in Hamburg aufgeschrieben. Rufen Sie Franz, ich meine Dr. Greiner, an und schildern ihm die Situation. Ich denke, wenn er hört, was hier vor sich geht, wird er sofort herkommen und uns helfen. Ich werde zusehen, was ich bei Professor Tiefental erreichen kann.” Petra drückte ihm einen Zettel in die Hand und kramte ihre Tasche aus dem Fußraum des Autos hervor.
“In Ordnung, Danke Dr. Althing.” Gemeinsam stiegen sie aus. Kommissar Welp brachte sie noch bis zum Bahnsteig. Die Fahrkarte würde sie im Zug kaufen, hatte Petra gesagt. Sie hätte jetzt nicht die Nerven, sich noch lange an den Schaltern anzustellen.
Der nächste Zug nach Hamburg kam schon in zehn Minuten. Als der Zug abgefahren war, machte sich Welp auf den Weg ins Revier, um diesen Dr. Franz Greiner anzurufen. Mal sehen was noch alles kommt , dachte er.
An seinem Schreibtisch im Revier angekommen lag dort ein Umschlag mit seinem Namen drauf. Er öffnete ihn und holte einen Bericht heraus. Er kam von diesem McAllister und beschrieb die Situation an den Baustellen. Welp begann zu lesen.
Zum wiederholten Male ist ein Bohrversuch gescheitert. Die knapp zwanzig Millionen Euro teure Maschine, die “Michelle I”, ist von Paris bis hierher ohne nennenswerte Probleme durchgekommen. Selbst in der für besonders gefährdet eingestuften Strecke, im Süden Kölns, war reibungslos gegraben worden, so dass das Team bis zu diesem Abschnitt eine Woche vor dem Zeitplan lag. Doch jetzt, etwa fünfzehn Kilometer westlich der Kölner Stadtgrenze, geht nichts mehr.
Der Durchmesser von den Michelles, es gibt zurzeit noch die “Michelle II”, die von Berlin aus gräbt, beträgt 7,40m. Sie sind ausgestattet mit insgesamt einhundertzwölf Bohrköpfen, jeder Einzelne aus unterschiedlichen, mehrfach gehärtetem Stahlarten und Diamanten hergestellt, damit sie sich durch jegliches Gestein fressen können.
Hier nun scheint sie aber auf ihre für nicht möglich gehaltenen Grenzen zu stoßen. Grenzen, von denen es hieß, es würde sie gar nicht geben. Seit fast zehn Tagen hängen sie hier nun fest und kommen nicht einen Zentimeter weiter voran. Bis zu diesem Punkt hatte Michelle I bis zu fünf Meter am Tag geschafft.
Das Problem ist das Gestein, auf das wir hier gestoßen sind. Es ist so verdammt hart, dass ein Durchkommen unmöglich scheint. Sie ist allerdings so konstruiert worden, dass sie sich durch jedes Gestein hindurchbohren kann. Es ist alles Erdenkliche berücksichtigt worden. Sicher, das hier gefundene Gestein sieht seltsam aus, mit seinem sonderbaren Glanz, den es ausstrahlt, aber zu hart? Das kann einfach nicht sein.
Es ist alles versucht worden dort hindurch zu kommen, langsame Drehzahl mit hohem Druck, hohe Drehzahl mit geringem Druck. Nichts! François Mesdieux, der erste Polier vor Ort, ist verzweifelt und ratlos. Wir haben es hier offensichtlich mit einem noch unbekannten und extrem harten Gestein zu tun. Die Bohrköpfe werden zwar nicht beschädigt, aber das Gestein ist so hart, dass nicht einmal Kratzer zu sehen sind. Wahrscheinlich wird uns nichts anderes übrig bleiben, als eine andere Streckenführung zu bauen. Einen Umweg sozusagen.
Die Kollegen auf der anderen Seite schildern mir die gleiche Problematik mit der Michelle II und Sie sind nur ungefähr zwanzig Kilometer voneinander entfernt. Der Polier des zweiten Abschnitts, Pascal Munier, schildert die Sachlage exakt gleich. Ich zitiere: “ Der Stein ist so hart, den würde nicht mal das Höllenfeuer erweichen ”.
Wir werden die Arbeiten einstellen, die Arbeiter bekommen Sonderurlaub auf unbestimmte Zeit. Was wir jetzt brauchen ist ein Geologe, der uns vielleicht mehr über diesen sonderbaren Stein sagen kann. Einen Spitzenmann, den Besten der Besten! Das Gerede von einem unbekannten Stein, ist doch alles Geschwätz!
Sehr geehrter Herr Kommissar Welp, ich bitte Sie zu prüfen, ob Sie so jemanden ausfindig machen können. Bitte benachrichtigen Sie mich, sobald Sie etwas haben. Mir sind leider die Hände gebunden, da wir diese Sache nicht an die Öffentlichkeit kommen lassen dürfen.
Vielen Dank
Ian McAllister
Welp legte den Bericht beiseite. Das musste wohl Gedankenübertragung, oder so was in der Art gewesen sein, als er Dr. Althing nach einem Geologen fragte. Er griff in seinen Mantel, zog den Zettel heraus, den Petra ihm gegeben hatte, ging dann zum Telefon und wählte die Nummer, die von Petra in ihrer schnörkeligen Schrift notiert war.
Das Telefon klingelte und klingelte. Dann gab es ein Klicken, als wenn der Anruf umgeleitet wurde, woraufhin sich eine süffisante Stimme meldete, bei der man denken konnte, man hätte eine Nummer bestimmter Hotlines gewählt.
“Geologisches Institut Hamburg, Sie sprechen mit Frau Liebermann, was kann ich für Sie tun?”
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