1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 “Gucken Sie mal hier, ein altes Radio! Ob das noch funktioniert?”, rief Kommissar Welp zu Petra hinüber und hielt dabei ein kleines, altes Gerät in die Höhe. Er versuchte es einzuschalten, aber außer starkem, statischem Rauschen war nichts zu hören.
“Scheint kaputt zu sein.” Welp wollte es schon wieder weglegen, als Petra auf eine Idee kam.
“Warten Sie mal … ein Radio? Da ist doch bestimmt ein Stempel, eine Gravur, oder so was hinten drauf. Wann, wo, von wem hergestellt. Zeigen Sie mal her!” Petra streckte die Hand nach dem Gerät aus. Welp gab ihr das alte Telefunken Radio. Sie drehte es um - nichts. Auf der Unterseite vielleicht? Da! Da war eine Plakette unter das Gerät geschraubt, unter anderem mit dem Herstellungsjahr.
“1953.”, verkündete Petra stolz. „Also musste irgendeine Gruppe, ob nun Wissenschaftler, oder Abenteurer, in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hier gewesen.“, schlussfolgerte sie.
“Ist Ihnen denn irgendetwas über eine Höhlenforschung in den Fünfzigern in diesem Gebiet bekannt, Dr. Althing?” Welp war sich immer noch nicht sicher, ob es sich nicht auch um eine Räuberbande, oder Obdachlose handeln konnte.
“Nein, nichts aus dieser Gegend, nicht mal in Deutschland generell. Das würde ich wissen!”
“Und Spuren bis hierher, die auf eine Gruppe Menschen hingedeutet hätten, haben wir auch keine gesehen. Da frage ich mich, wo könnten die hergekommen sein.”, sagte Welp.
“Dann müssen sie aus einer anderen Richtung hierher gelangt sein. Ich würde vorschlagen, wir gehen noch ein Stück weiter und erkunden einen der Gänge.”, schlug Petra vor.
Sie schauten gemeinsam auf die Karte und einigten sich auf den Gang, der ungefähr nach Norden führte, sofern die Eintragungen, die Petra vorgenommen hatte, stimmten. Nach nur etwa zweihundert Metern stießen sie auf eine weitere Halle. Diese war ein wenig kleiner, als die, in der sie das Lager gefunden hatten. Dafür war diese noch bemerkenswerter. Es verschlug ihnen förmlich die Sprache, in Angesicht dessen, was sie hier vorfanden. Sieben Holzkisten verschiedener Größe und, wie es schien, luftdicht verschlossen, zumindest ließ eine helle Masse, die zwischen den einzelnen Leisten klebte, darauf schließen.
Weitere lose Bretter lagen im Umkreis der Kisten herum, wohl zu dem Zweck, im Bedarfsfall noch mehr Kisten bauen zu können. Allerdings fanden sich keinerlei Hinweise auf den Inhalt, keine Beschriftungen.
“Was haben wir denn hier? Eine Vorratskammer, einen vorsintflutlichen Kühlschrank? Was meinen Sie, Frau Dr. Althing? Schauen wir nach, was drinnen ist?” Welps Ermittlerinstinkt schien geweckt worden zu sein.
“Warum nicht? Da wird uns schon nichts entgegen springen.” Petra ging zu der kleinsten der Kisten und besah sie sich, wie sie geöffnet werden könnte. “Haben Sie zufällig etwas dabei, womit man die aufbekommen kann?”
“Warten Sie!” Welp kramte in seinem Trenchcoat, holte sein Schweizer Taschenmesser raus und warf es Petra rüber. “Hier, etwas anders habe ich nicht! Damit müsste es doch gehen.”
“Danke.” Petra klappte den Schraubenzieher aus und versuchte damit die Kiste zu öffnen. Sie stocherte in der Masse zwischen den Brettern herum, die weicher war, als es aussah.
“Geht’s?”, fragte Welp.
“Schwer, aber ich glaube schon.” Petra hatte den Punkt gewechselt, an dem sie ansetzte. An der Seite tat sich nichts und so versuchte sie es am Deckel. Langsam öffnete sich ein kleiner Spalt. Gelblicher Rauch quoll in Wölkchen aus der kleinen Öffnung der Kiste heraus. Petra wich verblüfft zurück. Damit hatte sie nicht gerechnet. So viel zum Thema, es springt ihnen nichts entgegen.
Sie trat wieder an die Kiste heran und versuchte weiter den Deckel von ihr zu lösen. Schließlich gelang es ihr. Sie riss den Deckel herunter und der Rauch entwich komplett mit einem seltsam zischenden Laut und raubte Welp und Petra für einen Moment die Sicht auf den Inhalt. Nachdem sich der Rauch soweit verzogen hatte, dass man wieder etwas erkennen konnte, schauten sie hinein.
“Was sind denn das für Vögel?”, meinte Welp während er mit Wedeln versuchte den letzten Rest des Rauches zu vertreiben.
“Bartgeier.”, antwortete Petra tonlos.
“Bartgeier? Noch nie gehört. Die sehen aus, als wären die gerade erst da rein gepackt worden. Sind die überhaupt echt?” Tatsächlich sahen die beiden Vögel lebendig aus, als würden sie schlafen, oder wären betäubt worden.
“Die sind seit rund zehntausend Jahren ausgestorben. Merkwürdig.” Ratlos blickte Petra auf die beiden Vögel. Wie konnten Tiere, die seit so langer Zeit ausgestorben waren, so frisch und lebendig aussehen? Hatte das was mit diesem Rauch zu tun, der da aus der Kiste kam?
“Lassen Sie uns doch mal sehen, was sich in den anderen Kisten befindet.”, schlug Welp vor, stand da und überlegte, welche sie nehmen sollten. Er war jetzt doch neugierig geworden.
“Vielleicht sollten wir erst noch die Höhle weiter absuchen. Wer weiß, was sich hier noch alles verbirgt.” Petra war vorsichtig und auch etwas ängstlich geworden. Ihr war nicht wohl bei der Sache, jetzt weitere Kisten zu öffnen. Hatte der Kommissar da vorhin mit seinem Spruch über den überlebenden Urmenschen doch in irgendeiner Weise Recht gehabt?
“Wie Sie meinen, Sie sind die Expertin.” Es schwang eine gewisse Enttäuschung in der Antwort des Kommissars mit.
Petra legte den Deckel wieder auf die Kiste mit den Vögeln. Danach machten sie sich auf, weiter in die Höhle vorzudringen. Der Gang, der von diesem Raum aus fortführte, verlief in einer ziemlich geraden Linie auf eine weitere Kreuzung zu.
“Links, oder rechts?” Welp schaute Petra fragend an. Mit einem Blick auf die Karte entschied sie nach links zu gehen. Etwas weiter machte der Gang eine scharfe Rechtskurve und führte dann wieder geradeaus.
Nach einer Weile kamen sie an eine Stelle, an der es nicht mehr weiter ging. Der Weg wurde von Steinbrocken versperrt, auf der linken Seite erhob sich eine steile Wand und gegenüber tat sich ein Abgrund auf. Welp schritt auf diesen zu und leuchtete nach unten.
“Oh mein Gott!”, entfuhr es ihm. “Ich glaube wir haben die Leute gefunden, dessen Lager das war.” Er erhielt keine Antwort.
Etwa dreißig Meter unter ihm sah er einige, beinahe komplett verweste, aber eindeutig menschliche, Leiber liegen, in sich verkeilt, Beine über Köpfe, Arme über Bäuche, verdrehte und abgetrennte Gliedmaßen. Es sah wie ein Wollknäuel aus, was erst auseinander und dann notdürftig wieder zusammengerollt wurde. Überall waren Köpfe, Arme und Beine zu sehen. Verrenkte und miteinander verflochtene Körper, sogar getrocknetes Blut war zu erkennen. Hier und da schien es, als stünden Knochen wie verwaiste Fahnenmasten empor.
Wie gebannt starrte Welp auf diesen wilden Haufen. Auszumachen, um wie viele Personen es sich handelte war unmöglich. Aber wo war Dr. Althing? Welp drehte sich um. Er sah sie auf einem kleinen Felsvorsprung der Steilwand sitzen, ein Buch in der Hand. Er ging auf sie zu.
”Wo kommt das Buch denn auf einmal her?” Welp setzte sich neben Petra auf den Vorsprung und schaute ebenfalls mit hinein.
”Ich habe da oben, zwischen den Steinen, etwas gesehen, was eben nicht nach einem Stein aussah. Dann bin ich da rauf und habe das hier gefunden.” Petra deutete auf eine Stelle, etwa zweieinhalb Meter in der Höhe.
”Und was steht drin?” Welp beugte sich über das Buch, doch Petra zog es zur Seite, weil sie ihn nicht hineinblicken lassen wollte. Stattdessen beantwortete sie die Frage des Kommissars.
”Es gehörte einem Professor Cornelius Massmann, wie aus dem Einband hervorgeht, es scheint ein Tagebuch zu sein. Ich habe noch nicht viel gelesen, nur die erste Seite. Da steht was von einer freiwilligen Exkursion, als Ferienzusatzseminar, hierher in dieses Höhlensystem, Sommer 1954. Und die Namen der Studenten, die dabei gewesen sind.”
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