1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 „Zuerst nicht.“
„Aha.“
„Na ja. War ein bisschen kompliziert. Er war und ist ein Kollege.“
„Unangenehme Verquickung.“
„Allerdings. Ich werde mich auch nie wieder auf so was einlassen! Jedenfalls war ich’s nach ein paar Jahren endgültig leid und hab die Sache dann halt beendet.“
„Dumme Geschichte“, resümierte Daniel.
„Stimmt, aber sei’s drum“, auch Charlotte. Sie schaute auf ihre leere Tasse und dann auf ihre Uhr und ergänzte: „So. Jetzt muss ich aber wirklich gehen. Die Pflicht ruft.“
„Sehen wir uns noch mal?“, fragte Daniel ein wenig unsicher und vor Sehnsucht derart vergehend, dass er sich mit seinem rechten Ellenbogen auf dem Tisch aufstützen musste, was zwangsläufig dazu führte, dass er mitsamt seinen flehentlich flatternden Lippen (fast wie ein nach Luft schnappendes Karpfenjunges mutete er an!) ein wenig auf Charlotte zusackte.
„Klar“, schmunzelte diese, ein gleiches Wenig zurückweichend, „Aber rein freundschaftlich!“
„Etwas anderes wäre mir auch niein den Sinn gekommen!“, hob Daniel bestärkend seine Hände wie einst Pontius Pilatus, bevor dieser sich diese in was auch immer gewaschen hatte, und senkte sein Haupt ergeben. Charlotte war nun gänzlich beruhigt und griff nach ihrem Mantel. Sofort sprang Daniel auf und fragte zuvorkommend: „Darf ich dir in deinen Mantel helfen?“
„Gern. Das ist wirklich sehr freundlich!“
„Wie sich das eben unter Freunden geziemt“, sah Daniel sie mit treuen Augen an. Charlotte lächelte säuerlich – und süßlich fuhr Daniel fort: „Das scheint ja ein ganz edler Pelz zu sein, dieses Futter. Flamingo?“
„Nein!“, zuckte Charlottes Kopf empört zurück, „Das ist synthetisch. Ich liebe Tiere und würde niemals einen echten Tierpelz tragen!“
„Dann bin ich ja froh. Ich liebe Tiere nämlich auch. Doch wo wir gerade beim Thema sind: Hast du Lust, demnächst mit mir rein freundschaftlich in den Zoo zu gehen? Ich wollte sowieso mal hin. Muss einfach mal raus und was anderes sehen bei dem ganzen Stress, den ich mit dem Roman habe.“
Charlottes Blick belebte sich:
„Zoo wäre schön! Da war ich schon ewig nicht mehr.“
„Na prima!“, rieb sich Daniel die Hände wie der wieder einmal fündig gewordene Schnäppchenjäger, ein Profi eben, „Und wann ginge es bei dir?“
„Hm“, spitzte Charlotte ihre Lippen, „Morgen Mittag hätt ich ‘ne Lücke.“
Vom „Pluto“ aus nahm sich Daniel ein Taxi und abstattete seiner Bank einen Besuch, denn allzu lange mochte er seinen armen Laptop dann doch lieber nicht in Einzelhaft belassen. Außerdem wollte er an seinem Roman arbeiten und war auch ein bisschen neugierig, ob sich wieder etwas getan hatte mit der Datei, wobei er ihr das allerdings, so einsam und allein in einem Schließfach darbend, im Grunde nicht so recht zugetraut hatte.
Endlich zuhause stellte er den Laptop auf den Schreibtisch, schaltete das Gerät an, machte sich einen Kaffee, kehrte nach einer Stunde zurück, verfolgte den verzweifelten Tanz der „Windows“–Bälle, lauschte dem verheißungsvollen Rauschen der Ventilatoren, entdeckte eine unerquicklich knirschende Dissonanz im Zirpen der Platinen, transferierte einen Weinkorken vom Boden in den Papierkorb, und öffnete schließlich die Datei. Unterdessen relativ gelangweilt scrollte sich Daniel durch die Zeilen.
Was sollte in einem Bankschließfach schon großartig mit dieser doofen Datei geschehen sein? Und geschehen war inzwischen ohnehin nicht viel. Gut, mit Charlotte in den Zoo zu gehen war besser als ... Moment! , stutzte er, und sein Blick schien sich wie der Saugnapf eines zwergmännlichen Löcherkrakens am Bildschirm festzusaugen: Das hatte doch heute Morgen noch nicht dagestanden! Da war er sich sicher! War das schon wieder ein neuer Text?
Er, Daniel, blies bestürzt die Bäckchen auf und las:
Gegen zehn verließ Daniel seine Bank – der Laptop hatte just in das Schließfach gepasst – und begab sich auf den Weg nachhause. Es war ein schöner Tag. Die Sonne strahlte, ein kräftiger Regenbogen überspannte den Himmel, einige beschäftigungslose Jugendliche steckten gerade einen Kleinbus in Brand, und eine Rentnerin verprügelte einen Taschendieb mit ...
Wahnsinn! , wunderte sich Daniel. Das war doch nicht zu fassen! Da stand in der Tat ein neuer Text! Und was der beschrieb, das hatte er doch gerade erst erlebt!
Die Fassungslosigkeit hatte den Tonus Daniels linker Hand erschlaffen lassen, sodass die sich nun sacht in der Gravitation neigen könnende Tasse einen Schwall heißen Kaffee über seine Hose goss. Er schrie, warf die Tasse in den Papierkorb, und studierte den Text gründlich.
Nachdem er diesen zu Ende gelesen hatte, lehnte er sich entsetzt in seinen Schreibtischsessel zurück.
Das schlug doch dem Fass den Boden aus! Das hatte er tatsächlich gerade erst erlebt! Und diese Sache da mit seinen ehemaligen Schwiegereltern und den drei Ambossen – was für ein Schwachsinn! –, die durfte doch nicht wahr sein! Das also hatte es mit dem Koffer auf sich gehabt! Gut zu wissen! Oder träumte er bloß? Schon ein wenig im Zweifel, zwickte sich Daniel vorsichtig in seine zarte Nasenspitze. Als hätte man ihm mit einem Vorschlaghammer den Fuß zertrümmert, zuckte er – das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verzerrt – zusammen und war sich nun sicher: Nein! Er träumte nicht! – Aber wie war dies möglich, dass sich da offenbar von selbst ein Text schuf, der sich genau über das ausließ, was er just erlebt hatte? Und mehr: Jetzt erzählte ihm diese scheiß Datei sogar diese merkwürdige Geschichte mit Franz und Severine! ... Komisch. Konnte er diesem Schmarrn überhaupt Glauben schenken? ... ... ... ... ... ... ...
Draußen auf der Straße schrien die Vögel, die von der Katze gejagt wurden, verzweifelt um Hilfe. Plötzlich knisterte es leise. (Daniel dachte angestrengt nach:)
Na ja, diese Episode mit dem Tretboot damals war schon verdächtig gewesen. Und die anderen Sachen passten auch. Mit Waldi (Frau Wagners Hund, wie bereits erwähnt) – Friede seiner Asche! –, mit der glitschigen Treppe auch, und das mit dem Silvesterböller sowieso! – Aber stimmte das alles überhaupt? Und wenn: Wie könnte er sich in Zukunft gegen diese Anschläge wehren? Wie sollte er sich verhalten? (Daniels Blick verfinsterte sich.) Zur Polizei gehen konnte er nicht. Die würden ihn bestenfalls auslachen – er hatte nur diesen blöden Text als „Beweis“! – und ihm schlimmstenfalls eine Verleumdungsklage anhängen.
Daniel sprang auf und tigerte getrieben durch die Wohnung.
Was verdammt noch mal sollte das alles? Spielte hier tatsächlich Magie ihr listiges Lied? Und wenn, warum? Warum berichtete diese verfluchte Datei, was er gerade erlebt hatte? Warum diese Horrorgeschichte mit seinen ehemaligen Schwiegereltern? Und was zum Teufel sollte er machen mit diesem Hexenwerk?
Nach Stunden erfolglosen Tigerns blieb Daniel in der Küchentür stehen. Langsam sackte er nach vorne, bis seine Stirn auf dem Türrahmen auflag. Die Arme pendelten schlaff wie die Ärmchen einer verlassenen, zu depressiven Verstimmungen neigenden Handpuppe. Auf einmal baute sich eine lebhaft werdende Spannung in seinen hängenden Bäckchen auf und er strahlte. Er hatte eine Idee! Die Idee:
Käme er dieser vermaledeiten Datei schon nicht auf die Schliche, dann könnte er ihre Schwänke wenigstens „nutzen“, als Basistext, als Inspirationshilfe quasi für den neuen Roman, der ja zugegebenermaßen so besonders weit noch nicht gediehen war.
Einem frisch aufgezogenen Blechhoppelhäschen gleich vor Energie strotzend richtete sich Daniel auf, sprang in nahezu vollendeter Bewegungseleganz in seinen Schreibtischsessel und machte sich ans Werk:
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