Klaus M. G. Giehl - Die Methode Cortés

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Nach zwei Jahren Rosenkrieg ist der in den USA tätige Biologieprofessor Jakob Zucker mit den Nerven am Ende. In seiner Verzweiflung (und frei nach dem historischen Vorbild des Hernan Cortés', der seine Schiffe verbrannte, um sich für die Eroberung des Aztekenreichs zu motivieren, sprich, seine Ängste zu überwinden) wirft Jakob seine Forschungskarriere hin und kehrt nach Mainz in seine alte Heimat zurück. Er will einfach nur noch seine Ruhe und wieder Umgang mit den Kindern haben. In der Republik läuft es indes gar nicht gut für ihn: Die Trennung quält ihn, Probleme mit dem Sorgerecht schütteln ihn, die Kosten der Scheidung übermannen ihn, die des Unterhalts «erwürgen» ihn, und mit dem Nachlass seiner Mutter kündigen sich Schwierigkeiten an. Von diesem Schlamassel in die Enge getrieben, beschließt er, mit seinem Segelboot zu fliehen und über die Weltmeere zu reisen. Eine wechselvolle Fahrt in ein neues Leben beginnt.

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TITEL

Klaus M. G. Giehl

Die Methode Cortés

oder die Kunst, Ängste zu überwinden

Band I

IMPRESSUM

Copyright © 2019 Klaus M. G. Giehl

c/o Schoneburg. Literaturagentur und Autorenberatung

Torstr. 6, 10119 Berlin, Germany

E-Mail: klaus.m.g.giehl@gmx.de

Website: http://www.klausgiehlromane.com/

DANKSAGUNG

An erster Stelle bedanken möchte ich mich bei Birgit Haug–Unfried und Horst Berscheid, meinen kritischsten, inspirierendsten und – nicht zu vergessen! – ausdauerndsten Testlesern. Mein Dank gilt auch Sabine Gärtner und Margit Giehl für ihre hilfreichen Kommentare zu früheren Versionen des Manuskriptes.

I. DIE METHODE CORTÉS

1 „Meinmond“

Nein. Zwei Monde schienen nicht in meiner Welt. Hatte ich mich doch glatt von der Laterne da täuschen lassen. Dadrüben schien kein Vollmond, da schien eine Laterne! Und sonst schien in dieser Nacht nur die wie ein Schiff am Horizont treibende Mondsichel.

Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber langsam, sacht, unaufhaltsam kündigte sie sich an, schob ihr Grau, ihr Violett, und endlich ihr Rot in den Horizont, und damit die Erinnerung an Cortés in mein Bewusstsein.

Wieso kam ich gerade jetzt auf Cortés? Weil er seine Schiffe verbrannte, sie verglühten, wie dieses Mondschiff in der Morgendämmerung verglühen würde? Weil die Entscheidung der Nacht, meinen letzten Traum jetztwahr werden zu lassen, mich an den Tag erinnerte, der Cortés in mein Leben spülte?

Egal. Cortés war wichtig geworden für mein Leben und für die Brücke zum Neuen. Auf diese Brücke geschubst hatte mich Gonzalo, die spanische Glatze, mein alter Freund und beruflicher Ziehvater. Das musste Mitte achtundneunzig gewesen sein, als er sie mir erzählt hatte, diese Geschichte über Cortés. Den Schiffeverbrenner. Den Angstverbrenner. Den Traumverbrenner.

2 Cortés

Hernán Cortés war ausgezogen, Moctezumas Reich zu zerschlagen. Mit zwölf Schiffen. Eines für jeden Gott, dem die Azteken Menschen opferten. Aufgebrochen von Kuba, waren die Konquistadoren in einen Sturm geraten und an den Gestaden Yukatans eher gestrandet als gelandet. Doch wie durch ein Wunder hatte man sich wiedergefunden. Und schließlich, nach mühevoller Fahrt entlang der Küste, ging die Flotte an der Grenze des Aztekenreichs vor Anker. Dort, an einem öden Strand, saßen die Eroberer seit Wochen fest.

Cortés hatte sich eine Menge vorgenommen, aber es ging einfach nicht voran. Täglich empfing er Moctezumas Gesandte, ließ sich von ihnen preisen und beschenken, und verabschiedete sie höflich. Inzwischen hatte man sich fast gewöhnt an das Gepränge. Und je vertrauter es wurde, desto deutlicher wurde die Vorstellung von den Reichtümern der Azteken: Dort, in der Wildnis jenseits der Uferdünen, warte genau, wofür man gekommen sei. Gold. Unglaubliche Mengen Gold! – Doch Cortés wunderte sich:

Warum schickte Moctezuma all die Geschenke? Wollte er ihn verhöhnen? Oder waren die Gaben Köder, „diese fahlgesichtigen Neuankömmlinge“ in ein Inferno zu locken, das die buntbefederten Krieger als „Willkommensgruß“ im Landesinneren bereitet hatten?

Auch bei Cortés‘ Männern wucherten die tollsten Theorien. Und die Sorgen der Konquistadoren schienen sich miteinander zu verbünden: Man hatte Angst. Aber am Strand, in Reichweite der Kanonen, da sei es sicher. Also blieb man erst mal. Grund zur Eile bestehe schließlich nicht.

Cortés allerdings begann zu begreifen. Und ihm als vermutlich einzigem dieses verlassenen Haufens Spanier wurde klar, was diese Angst bedeutete:

Mit ihr ginge es nirgendwohin! Weder vorwärts noch zurück! Doch was sollten sie tun? Heimsegeln und dem König berichten, in der Ankerbucht sei nichts weiter zu finden gewesen und obendrein seien sie dieser unterwürfigen Unterhändler überdrüssig geworden? Oder sollten sie schauen, woher diese kamen, und sich in den Schlund eines Monsters wagen, das vielleicht noch grauenvoller war als das der eignen Phantasie?

Cortés sah ein, dass der Impetus zur Eroberung El Dorados in dem Moment, in dem man den ersten Fuß auf diesen Strand gesetzt hatte, verpufft war wie die Luft einer zerstampften Schweinsblase. Cortés ärgerte sich, indessen weniger über seine Männer, als über sich selbst: Über diese verdammte Angst, die ihm im Gedärm rumorte, und in der er sich kaum von dem verlausten Pack da draußen unterschied!

Cortés verstand sich selbst nicht mehr:

Wo war er denn, der Mut, mit dem er sich ein Denkmal hatte setzten wollen? Er reichte eben bis an diesen Strand! Zum Glück hatte man genug Wasser, Pulver und Kanonenkugeln. Oder war genau das das Un glück, dass nichts fehlte, für eine „angenehme Rast“? War er, Cortés, etwa kein Held? Oder hatten Helden kein Schiff, das im entscheidenden Augenblick Schutz bot? War deren Unglück letztlich das Glück, das sie zu Helden machte? Dann hatten sie den Mut der Verzweiflung. Oder war es Ignoranz, das Verkennen der Gefahr? Doch er , Cortés , war nicht ignorant!

Aber mutig fühlte er sich auch nicht gerade. Und das war ihm bewusst. Sehr bewusst. Allein mit den Duetten seiner Ängste und seinem Streben nach Größe – nach seinem Platz in der Geschichte! – freundete sich Cortés zunehmend mit dem Gedanken an, dass Mut nicht heiße, keine Angst zu haben, sondern sie zu überwinden. Egal wie! Denn was am Ende zählte, war das Ergebnis, das Erreichte. Und eben das für alle – selbst die Dümmsten! – „Begreifbare“: das Gold. Und ohne daswollte Cortés nicht mehr zurück.

Aber er zweifelte: Wie bloß könnte er sich und seine Männer überzeugen, diesen Weg, den Weg zu diesem Gold, das da vor ihnen lag, zu gehen? Und es zu nehmen , verdammt noch mal! Unmöglich konnte es nicht sein, denn Moctezumas Boten brachten nicht nur Geschenke, sondern auch Zeugnis: Das der Überheblichkeit. Oder das der Angst. Und wo die Angst herrscht, erlischt die Fähigkeit zum rechten Handeln, so wie die Einsicht zu ihm fehlt, wo Überheblichkeit gebietet. Beste Voraussetzungen also für ein Gelingen der Mission! Davon war er jetzt überzeugt! Fände er bloß ein Kraut gegen diese Angst in seinen Männern ... und in sich selbst!

Da kam Cortés ein wahrlich „zündender“ Gedanke:

Angst wurde nur dort mächtig, wo sie bleiben, wo sie wachsen konnte. Wo man ihr erlaubte, gleichsam im Herzen zu ankern. Allein so vermochte sie Verachtetes zu erheben, zur „akzeptablen Option“, der man sich nur allzu gern ergab. Doch welchen „Anker“ gewährten er und seine Männer dieser Angst? War das etwas Fassbares? Etwas, das man aufstöbern und ausradieren konnte wie ein Nest Ratten in der Bilge 1 ? – Natürlich! Das waren die nahen Schiffe und der Schutz, den sie boten. Nur so konnte die Versuchung reifen, an diesem Strand zu bleiben und damit den unannehmbaren Rückzug und den gefürchteten Vormarsch zu vermeiden. Ohne diese Schiffe wäre der Strand nicht mehr sicher. Ohne diese Schiffe wäre man der Möglichkeit zur Umkehr beraubt. Und ohne diese Schiffe bliebe nur noch ein Weg: der Weg zum Sieg – oder in den Tod!

Der Entschluss war gefasst. Am Abend des 14. Augusts 1519 gab Cortés einem Vertrauten den Befehl, die Flotte in Brand zu setzen. Was folgte, war die Zerschlagung des Millionenreiches der Azteken – durch ein Häuflein von sechshundert Spaniern mit zehn Kanonen, und mit sechzehn Pferden.

Gewiss halfen noch viele Zufälle, das vermeintlich Unmögliche zu erreichen. Doch unabdingbar war dieser Initialfunke, der von den lodernden Schiffen in die Köpfe flog, und Cortés und seinen Männern genau dieMotivation gab, das unmöglich Scheinende möglich zu machen. Cortés war also Motivationskünstler. Und seine Kunst hatte Methode. Diese war „die Methode Cortés“.

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