Klaus M. G. Giehl
Daniel Wolters seltsame Reise zwischen den Zeilen
eine Komödie
Copyright © 2019 Klaus M. G. Giehl
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An erster Stelle bedanken möchte ich mich bei Birgit Haug–Unfried und Horst Berscheid, meinen kritischsten, inspirierendsten und – nicht zu vergessen! – ausdauerndsten Testlesern. Mein Dank gilt auch Ulrike Kötzle, Dieter Reichardt und Cornelia Weis für ihre hilfreichen Kommentare zu früheren Versionen des Manuskriptes.
ERSTES KAPITEL
1 Das Leerzeichen
Köln Südstadt
Daniels Geist ruhte. Seine großen, grauen Augen durchstierten dumpf das „VENI, VIDI, VICI“, das der Bildschirmschoner durch sein Blickfeld schob. Das „VICI“ verschwand, das „VENI“ erschien, und seine großen, grauen Augen durchstierten dumpf das „VENI, VIDI, VICI“, das der Bildschirmschoner durch sein Blickfeld schob. Daniels Geist ruhte.
Die Ellenbogen auf den Schreibtisch und die Fäuste unter die Jochbeine gestemmt, ließ er den schweren Schädel zwischen die stoppeligen Backen sacken, sodass der Mund sich wie ein U verbog, ein Anblick, der an eine magersüchtige Bulldogge erinnerte, obwohl Daniel nicht magersüchtig war und auch nichts mit Hunden am Hut hatte. Hätte man all die Falten und Wülste mit Sorgfalt entzerrt, jeden Muskel und jedes Fettpolster auf seinen Platz geschoben (wie es gerade ohne das Zutun Dritter geschah, denn Daniel setzte sich auf), glich sein ein wenig quadratisches Gesicht eher dem Joschka Fischers, bevor der sich allerdings dem Jogging verschrieben hatte.
Daniel saß nun aufrecht vor seinem mit Blättern, Tassen und Müslischälchen übersäten Teakholzschreibtisch. Seine störrigen Haare standen wie der Flaum eines flüggewerdenden Kükens in die Höhe. Unwillig betippte er das Touchpad, das letzte „VENI“ verschwand, und der Bildschirm zeigte ... eine leere Seite. ... Daniels Brauen hoben sich und seine Sinne stürzten schrill ins Jetzt:
Es war zum Wahnsinnigwerden! Ja. Zum Wahnsinnigwerden! Aber ihm fiel verdammt noch mal nichts ein! So große Pläne hatte er gehabt, nach dem ersten Roman! Alle an die Wand schreiben hatte er wollen! Und jetzt? Jetzt saß er da, auf seinem doch etwas fett gewordenen Hintern, zerwühlte sich die unbestreitbar leicht ergrauten Haare, und ihm fiel ums Verrecken nichts ein. So durfte das nicht weitergehen! Seit Wochen quälte er sich mit diesem Manuskript herum. Manuskript? Ha! Eine leere Datei war das! Ein Leerzeichen in Times New Roman!
Er nickte:
Richtig. So durfte das nicht weitergehen! Am besten setzte er diesem Trauerspiel ein Ende, bevor jemand merkte, dass eben er am Ende war! Dann bliebe wenigstens das erste Buch, dieses eine, dieses glänzende, das die Literaturwelt hatte aufhorchen lassen. Das er erschaffen hatte! Er! Daniel Wolter! Sowie der Erfolg. Der bliebe auch. Bloß der junge, na ja, der eigentlich noch junge Künstler, so vielversprechend, so begabt, so voller Ideen, die geradezu danach schrien, entfesselt zu werden, so früh verstorben. – Welch Schicksalsschlag für die Literatur!
Gerührt erhob sich Daniel aus seinem Sessel, schlich zur Garderobe, und schlüpfte in seinen Mantel. Er schnaufte, ruckelte die Wohnungstür auf (kraftlos war er nun auch!), schlurfte nach draußen ... und die Tür schlug zu. Die Fäuste in die Manteltaschen gepresst, stapfte er das endlose Treppenhaus hinunter.
Es war spät , überlegte er, drei Uhr am Morgen. Auf der Südbrücke dürfte jetzt also die nötige Ruhe zu finden sein ... für diesen letzten Gang!
Daniel öffnete die mächtige Haustür und schreckte zurück:
Igitt, war das kalt!
Es schüttelte ihn und er verschwand im diesigen Dunkel, das hämisch an den verrußten Gründerzeitfassaden zu nagen schien.
Daniel hatte die Südbrücke erreicht. Ihre Stahlbögen säumten den Gehweg wie den Kreuzgang eines Klosters, in dem er nun seinen Frieden fände. Jeder Pfeiler, an dem er vorbei schlurfte, legte sich wie ein Bleikruzifix auf die viel zu schwere Last, die er ohnehin zu schleppen hatte, weshalb seine müden, tristen Schritte unmerklich schwächer werdend auf der Mitte der Brücke verklangen. Er schaute sich um.
Stille.
Schwerfällig hob er sein Bein und wälzte sich vorsichtig auf seinem Bauch über das Brückengeländer. Daniel atmete durch und drehte sich, behutsam tippelnd mit den Füßen tastend, dem düster dahin fließenden Rhein zu. Als klebte ihm noch diese verfluchte Hostie am Gaumen, schluckte er, und krallte sich entschlossen an den Handlauf in seinem Rücken. Bang fixierte er das unter ihm wabernde dämonische Schwarz.
Sollte er tatsächlich springen? Da rein? Das Wasser war bestimmt kalt. Und wenn er lange zu leiden hätte? Oder sich etwas bräche! Oder blutete! Oder es ihm die Gedärme aus dem Leib ...
„Was machen Sie da?“, unterbrach eine arglos–quäkende Frauenstimme Daniels finale Kontemplation.
Er fuhr herum, fasste nach, suchte Tritt, klammerte sich und stotterte:
„Mein, mein, mein Hund ist mir ins Wasser gefallen. Da runter. Wollte gerade nach ihm sehen.“
Vor ihm stand eine etwa vierzigjährige, große Frau. Die fülligen Backen und die barock gewölbte Stirn verliehen ihrem runden Gesicht einen mädchenhaften Ausdruck. Sie hatte lange Locken und trug einen weiten, hellen Mantel. Die Augen aufgerissen schlug sie die Hände vorm Mund zusammen und heraus fuhr ihr:
„Das ist ja furchtbar!“ Sie machte einen Satz auf Daniel zu, stellte sich neben ihn an das Geländer und reckte ihren Hals. (Die Situation war Daniel äußerst peinlich.) „Ich sehe nichts!“, rief die Frau außer sich, „Oh mein Gott, hoffentlich ist dem armen Tier nichts passiert! Was war’s denn für ein Hund?“
„Ein Zwergschnauzer, glaube ich“, antwortete Daniel mit säuerlichem Oszillieren um die spitze Nase, „Kenne mich mit Hunden nicht besonders aus. Ist mir zugelaufen“.
„Da ist er!“, schrie die Frau und zeigte, sich wuchtig über das Geländer beugend, auf den Fluss, wobei sie ihn fast in die Tiefe gerissen hätte, den beklagenswerten Daniel, der sich nun erschüttert und mit flehenden Augen an den Handlauf schmiegte.
„Passen sie doch auf!“, keuchte er, „Beinahe hätten Sie mich da runtergeschubst!“
„Oh, Entschuldigung“, zuckte sie die Schultern, „Ich dacht, ich seh den Hund.“ Sie stützte sich auf das Geländer, um sich weiter darüber zu beugen, und musterte das Schwarz in der Tiefe. Nach einem Moment fragte sie, als glaubte sie es eigentlich selbst nicht mehr so ganz: „Ist er das da unten?“
„Eher nicht“, befand Daniel, ohne richtig hin–, sondern eher verdrießlich wegzusehen.
„Ich glaub, Sie haben recht. Ist wohl ein Strauch, der da treibt.“
„Wahrscheinlich.“
Sie nickte, richtete sich auf und drehte sich Daniel zu, der sich – noch immer das Geländer klammernd – ein (verlegenes) Lächeln abrang. Verwundert hob sie die Brauen und fragte:
„Was machen Sie eigentlich hier auf der anderen Seite des Geländers?“
„Och, von hier aus sieht man besser“, zuckte er ertappt die Schultern, fasste panisch das Geländer nach (er hatte einen Moment des freien Falls gefühlt!), und hechelte: „Aber ich komm jetzt lieber wieder rüber, bevor Sie mich doch noch da runterschubsen. Könnten Sie bitte einen Schritt zurücktreten?“
„Tut mir leid“, druckste die Frau, und trat zwei Schritte zurück.
Schwer seufzend schickte Daniel sich an, das Geländer zu übersteigen. Und wäre da nicht dieser Draht gewesen, der unter dem Handlauf hervorspitzte, hätte er ihn „ungeniert“ genießen können, jenen frischen Lebensmut, der nun in ihm keimte (die Unbekannte gefiel ihm!). Nun aber spitze da dieser Draht heraus, bedrohlich, lauernd, wie der Stachel eines sinistren Skorpions, dem sich Daniels behände schwingendes Bein jetzt unaufhaltsam näherte. – Bis er zustach, der Stachel, sich durch Daniels Hose bohrte, ihm die obersten Hautschichten über den Adduktoren aufkratzte und ihn schreien und mit schmerzverzerrter Miene den Handlauf umarmen ließ.
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