„Ach“, erwidert Schütte angeregt, „das ist eine lange Geschichte. Meine Großeltern siedelten hier, in ihrem Land, das damals ja Tanganyika hieß und eine Kolonie des deutschen Kaisers war. Die hofften, hier ihr Glück zu finden. Was sie da vor sich haben, ist die Kopie eines Briefs meines Großvaters Friedbert Schütte, den er 1916 an einen Freund in Deutschland schrieb.“
„1916? Als die Engländer kamen?“
„Ja, im 1. Weltkrieg. Da waren meine Großeltern schon ein paar Jahre hier. Kurz darauf wurden sie dann vertrieben.“
„Vertrieben? Wohin?“
Finn Schütte wird immer redseliger. „Nach Süden, bis zu einem Hafen, Lindi. Ein paar Wochen später fanden sie dort ein Schiff der Deutschen Ostafrika-Linie, das die Linien der Engländer durchbrochen hatte und sie zurück nach Deutschland brachte.“
„Wo haben ihre Vorfahren denn gesiedelt?“ Sarah erinnert sich, wie wenig Hannes bisher weiß.
Der mzungu antwortet ohne jeden Argwohn. „An einem Fluss bei Kilwa, einer Bezirkshauptstadt.“
„Kilwa Kisiwani? In diesem Ruinendorf auf ´ner Insel, das die Araber vor tausend Jahren bauten? Was haben die Deutschen dort denn gemacht?“
„Ich weiß nicht, ob das dasselbe Kilwa ist. Meine Großeltern siedelten jedenfalls, soviel ich weiß, nicht auf einer Insel, sondern im Hinterland. Sie versuchten, Kokosnüsse zu ernten, bauten Sisal und Baumwolle an. Aber irgendwie hat das nicht so recht geklappt. Jedenfalls haben sie davon nicht leben können.“
„Wovon denn dann?“
„Wenn ich’s richtig verstanden habe, haben sie auch Handel mit Kolonialwaren betrieben. Da, wo sie siedelten, zogen Karawanenhändler durch.“
„Auf wessen Land haben die denn gewohnt?“
„Wessen Land? Na, ich denke es war staatliches, kaiserliches, wie es damals hieß.“ Schütte war irritiert. Seine Vorfahren hatten das Land nicht teuer kaufen müssen, so viel wusste er, aber darüber hatte er nie nachgedacht. Dass ihr Land vielleicht zuvor einen anderen Besitzer hatte, fiel ihm jetzt erst auf. „Vielleicht war es auch einfach Buschland, ich weiß es nicht.“
„Sind ihre Vorfahren denn später, nach Ende des Krieges, wieder zurückgekommen?“
„Nein, nicht, dass ich wüsste. Das hat bis heute niemanden mehr interessiert.“
„Ihre Großeltern hatten aber ein spannendes Leben!“, staunt Sarah, ganz das unbedarfte Zimmermädchen. „ Thank you, sir .“
Sie hatte noch weitere Zimmer aufzuräumen. Und Schütte war froh, sich nach Tagen des Schweigens und Beobachtens endlich mal wieder ein kleines bisschen unterhalten zu haben.
8. Hannes schließt einen Pakt
Am Abend treffe ich Honni und Sarah erneut im „Y“. Sarah will gerade anfangen, von ihrem Gespräch mit Schutte zu berichten, als Honorata sie schon unterbricht.
„Stop, meine Liebe, erst klären wir die Details. Lass uns erst den Preis aushandeln, den Hannes zu bezahlen hat. Du weißt, er ist chronisch, fast krankhaft pleite. Was haben wir davon, ihm kostenlos was zuzustecken?“
Ich hätte es mir ja denken können. Mir bleibt nichts übrig, als auf meine Tante einzugehen: „Honey, auf was für Gedanken du immer gleich kommst! Richtig abschreckend, kontraproduktiv, demotivierend. Aber gut, okay, ich biete euch ein Zehntel des Gewinns, falls die Schatzsuche von Erfolg gekrönt sein sollte und für mich was dabei abfällt.“
„Neffe, du bist nicht ganz bei Trost.“ Honorata ist in ihrem Element. „Wer bitte, wer hat denn hier die Hosen an, ich meine, die mit den zumindest halb gefüllten Taschen? Wer außer uns kann deine Sache finanzieren?“ Honorata wusste schon immer, was sie will und kann.
„Was soll das heißen?“, erwidere ich ein wenig kraftlos.
„Wir machen ein Geschäft, lieber Neffe. Sarah und ich steigen in dein Unternehmen ein, finanzieren es. Wir beteiligen uns an deinen Nachforschungen mit, sagen wir mal, zwei Dritteln.“
„Häh? Zwei Drittel von was?“
„Von allen Einnahmen und Kosten, vor allem natürlich vom Gewinn. Wir übernehmen sozusagen die Geschäftsführung.“
„66,6 Prozent? Seid ihr verrückt? Nie und nimmer. Da bleibt mir ja beinah gar nichts! Für denjenigen, ohne den ihr gar nicht wüsstet, dass dieser Schatzsucher vor eurer Nase sitzt!“ Auch ich kann mich aufregen.
Nun kommt selbst Sarah in Fahrt. „Zwei Drittel, ich finde, das klingt fair. Immerhin bekommst du nicht nur unser Geld, sondern auch unseren Grips. Zum Beispiel weiß ich seit heute Mittag, dass weder Großeltern noch Verwandte des mzungu je wieder auf ihre Farm zurückgekommen sind. Das erhöht die Lukrativität deiner Geschichte doch um einiges. Entscheide dich lieber schnell, sonst vergess ich alles, was mir der mzungu sonst noch so erzählt hat.“
„Das ist Erpressung. Nur ein Drittel des Gewinns für mich, da kann ich ja gleich zu Hause bleiben.“ Langsam allerdings schwimmen mir die Felle weg, und die Drinks kann ich auch wieder nicht bezahlen. Über Geld zu verhandeln, geschweige denn es ranzuschaffen, zählte noch nie zu meinen Stärken. Müde mache ich meinen letzten Zug. „Auf fifty-fifty könnte ich mich vielleicht gerade noch einlassen, nie jedoch auf eure 66-Prozent-Erpressung.“ Um Empörung anzuzeigen, beginne ich mit den Armen zu rudern.
„Hannes, leg die Arme wieder an. Und sag nicht dauernd nie. Du brauchst Geld, und wir sind bereit, es dir zu beschaffen. Dafür bestimmen wir die Konditionen. Keine Bank würde für deine Idee auch nur einen Shilling rausrücken. Ist ja streng genommen auch gar keine: Einem Schatzsucher hinterherzulaufen, ohne Plan und irgendeinen legitimen Anspruch, einfach nur zu hoffen, dass schon etwas abfallen wird vom unbekannten Kuchen! Eine Risikoanlage ersten Ranges! Und da verlangen wir noch nicht mal Zinsen!“ Honorata beherrscht ihr Geschäft.
„Ihr seid ja schlimmer als alle Hyänen und Kolonialisten zusammen! Ich setz euch auf die vielversprechendste Fährte eures Lebens, und sofort fangt ihr an, mich auszubeuten!“ Klappern und Jammern, Spaß macht das nicht.
„Blödsinn, wir fangen an zuzupacken!“ Jetzt grinst Sarah. Sie haben mich. „Schlag ein in unseren Handel, und ich erzähl dir, dass Schutte morgen früh abreist.“
„Morgen schon? Fischmist!“
„Ja, und nicht erst dann brauchst du unser Geld. Denn wer zahlt hier heute Abend unsere Biere?“
„Zwei Drittel aller Ausgaben zahlt ihr, das ist in Ordnung.“ Ich kapituliere, zumindest mal zum Schein. „Macht 100.000 Vorschuss jetzt, das Gleiche noch mal später, mindestens. Cash in meine Hand, dann sind wir Partner!“
„Abzüglich deiner Schuld von gestern“, erinnert Honorata trocken.
Sarah greift in ihre übergroße Handtasche, Honorata in die Jeans, Sekunden später liegen zwei Bündel Tausender auf dem Tisch. Als ich danach greife, klatscht Sarahs Hand auf meine. „Stop, erst schlägst du ein. Wir übernehmen nicht nur zwei Drittel der Ausgaben , sondern bekommen natürlich genauso viel von den Einnahmen.“ Warum nur lassen sich Frauen so schlecht täuschen? Notgedrungen willige ich ein. Als sich das Knäuel unserer sechs Hände löst, zähle ich die Tausender rasch durch. „Da fehlen zehn!“, protestiere ich.
„Unsere Getränke sind schon mal bezahlt“, sagt Honorata.
Schutte sieht mich nicht, sein Blick ruht auf dem so früh am Morgen noch wolkenfreien Kilmanjaro. Er steht keine drei Meter entfernt am Bus, um uns herum wuselt die halbe Stadt auf dem Weg nach Arusha, Dodoma, Marangu, Lushoto, Tanga, Mombasa, Nairobi, Dar es Salaam. Sogar ein Bus nach Kigali über Musoma und Mwanza steht bereit, quer durch die Serengeti. Überall heulen Motoren, Ticketwerber und mandazi- Bäcker brüllen wild durcheinander, Dieselschwaden der Isuzu-, Nissan- und Scania-Busse mit ihren hochgezogenen Hecks verpesten die Luft. Vor einer Stunde ging die Sonne auf, gleich soll der Bus nach Dar abfahren. Ich kann die parfümierte Seife des mzungu riechen.
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