1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Heute aber ist ein guter Tag, ganz wie es sich für Weihnachten gehört. Direkt vor der Hoteltür kommt mir Honorata entgegen, meine jüngste Tante, mitunter auch Rat- und Geldgeberin. Honorata, etwas zu kräftig für meinen Geschmack, aber niedlich im Gesicht, ist elf Jahre jünger als ich, schon sechsundzwanzig und immer noch unverheiratet! An ihrer Kleidung liegt es ganz gewiss nicht: Stets sieht sie aus wie frisch aus Nairobi, selbst schlichte Gewänder wirken bei ihr wie der neueste Schrei. Sie ist die Schwester von Kaishes dritter Frau, einer meiner Stiefmütter. Seit ein paar Jahren nennen sie manche „Honni“, andere sagen „Honey“ zu ihr. In Dar’ lebt sie ein recht freies Leben, so frei, dass es nicht mehr zur Familie passt. Gestern jedenfalls hat niemand sie vermisst.
„Oh, hallo Tantchen, wie geht’s?“
„Gut, gut, kann nicht klagen. Und dir, alter Neffe?“
„Ebenso, die Geschäfte laufen. Und deinen Eltern?“
„Sie feiern Weihnachten, genau wie deine, nehme ich an. Wie geht es meiner Schwester?“ Unsere Begrüßung fällt fast förmlich aus. Ganz wie es sich gehört.
„Oh, das frag sie lieber selbst. Und deinen anderen Geschwistern?“
„Die leben. Säen und pflücken sich an ihren paar Kaffeesträuchern halb tot und machen von Zeit zu Zeit ein neues Kind. Aber sag, wie geht’s der Großmutter?“
„Prächtig, kommentiert das Leben giftig wie eh und je. Nun aber zur Sache, Tantchen. Was machst du überhaupt hier?“
„Geht’s dich was an, mein großer Neffe?“, frotzelt sie zurück. „Sitzt noch immer fest in diesem zurückgebliebenen Kaff! Wie ich höre, krebst dein Büro nur noch vor sich hin.“
„Pass bloß auf, Honey, wenn ich erst Dar es Salaam unsicher mache! Im Ernst: Was treibt dich in dieses missratene Hotel?“
„Ich bin zu Weihnachten zu Hause. Vaters Bruder starb doch vor zwei Monaten. Da gibt’s was zu besprechen und zu verteilen. Meine liebe Familie hätte mich gern übergangen. Das geht natürlich nicht! Jetzt will ich Sarah besuchen, die arbeitet hier.“
Sarah ist eine Schulfreundin Honoratas, so viel wusste ich; ein oder zwei Jahre älter als meine Tante, hübsch und schon seit über einem Jahrzehnt mit Martin Shukuku, dem „Hähnchen“, verheiratet.
„Sarah? Was macht die denn da drinnen?“, frage ich und schau zurück aufs „Key’s“.
„Oh, sie ist Zimmermädchen, aber müsste jetzt bald Dienstschluss haben.“
„Geh doch fragen! Ich warte solange.“
„Worauf denn, he?“
„Na, vielleicht darf ich Euch zu einem Drink einladen?“
„Im ‚Y’?“
„Ja, wenn’s den Damen dort genehm ist?“
„Okay, mal sehen, was Sarah davon hält. Vielleicht kommen wir gleich hinterher.“
Besser hätte es gar nicht laufen können: Über Sarah würde ich herausbekommen, wann der mzungu abzureisen plant. Und vielleicht noch mehr. Einladen allerdings kann ich die beiden nur zu einer Gemeinschafts-Cola. Gerade noch 2.000 Shilling hab ich in der Tasche, ansonsten bin ich ziemlich pleite. Ich würde schnell und überzeugend reden müssen.
Am Pool des Ymca – dem Flaggschiff aller ‚Y’s im Land, wie dessen Personal nicht müde wird, jeder und jedem zu erzählen – sitzen drei junge wazungu und sonst niemand. Diese Hostels des „Christlichen Vereins Junger Menschen“ ziehen die Hellhäutigen an wie das Licht die Mücken. Ob die zuhause auch immer mit dem Heiland schlafen? Einen Tisch weiter lasse ich mich nieder. Vor mir erhebt sich im Abendlicht majestätisch Afrikas Dach der Welt, der Kilimanjaro. Kein anderer Berg der Welt reicht so frei und hoch aus der Landschaft heraus wie er – und auf kaum einer anderen Terrasse lässt er sich so bestaunen wie hier im ‚Y’. Um diese Jahreszeit geben dichte Wolken den Gipfel nur morgens und abends frei, dann aber mit Gewalt. Regelmäßig gegen elf, eine Stunde vor Sonnenuntergang, klart er vor tiefblauem Himmel auf. Erst kaum zu unterscheiden von den grauweißen Wolkenmassen, die ihn umwölken, strahlt dann Minute um Minute stärker das Weiß der Gletscherkappe, bald so gleißend, dass man die Augen schützen muss. Wenig später glühen Eis und Schnee im Abendrot.
Das billigste Getränk hier ist chai , gesüßter Milchtee, den ich, solange ich mir kein Bier leisten kann, in jedem Zustand trinke. Mit drei Löffeln Zucker auf dem stets zu dünnen Sud schmeckt das Gebräu in allen Lebenslagen. Als die beiden Frauen nach einer Stunde endlich auftauchen, hat sich auf dem abgekühlten Bodensatz die Milch verdickt. Einem mzungu neben mir wurde kürzlich speiübel, als er die gummiartige Haut zwischen die Lippen bekam, so heftig, dass er spuckte. Ich hingegen liebe diese kostenlose Fetteinlage, vor allem dann, wenn ich mir nichts anderes zu Essen leisten kann. Wie heute. Die Idee, Schutte zu folgen, könnte allein daran scheitern. Wie allein den Bus bezahlen, um dem mzungu auf der Spur zu bleiben? Und alles weitere danach: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
„High, Honey, hujambo , Sarah! Habari gani ? Schön, dass ihr gekommen seid. Wie geht’s, wie steht’s?“
„Muzuri sana! , Hannes, alles gut. Und der Familie?“
„Gut, gut. Entschuldigt, Mädels, nehmt es mir nicht übel, wenn ich gleich zur Sache komme ...“
„Zu welcher Sache, he? Du wolltest uns einen Drink spendieren, so war es abgemacht. Nichts sonst!“, unterbricht mich Tantchen sofort giftig.
„Gemach, liebe Tante, die Cola sollt ihr ja haben. Darf’s erstmal auch nur eine sein? Bis ich euch für mich und meine Sache eingenommen habe?“
Jetzt fangen auch Sarahs Augen an zu funkeln. „Eine Cola für uns beide? Du spinnst wohl! Ich hab den ganzen Tag geschuftet, Dreck für wazungu weggemacht und verschissene Kloschüsseln geputzt, jetzt will ich ein Bier. Zu Hause warten sechs Raubtiere auf ihre Mutter und Geliebte! Biet’ mir was Besseres!“
Zähneknirschend bestelle ich Sarah auf der Stelle für 3.000 Shilling ihr Bier, obwohl ich weiß, dass ich es nicht bezahlen kann. Es sei denn ...
„Honey, ich brauche dich!“, platze ich mit der Tür ins Haus.
„Oh, zum Teufel, so plump hat das lange keiner mehr versucht“, kichert Honorata ihre Freundin an. „Hannes, was soll das? Kein Bier ausgeben, aber rumbaggern ... Was willst du wirklich? Wozu hast du uns hierher gelockt?“
„Um euch von einer großen Sache zu erzählen. Erst einmal aber brauche ich 5.000 Shilling, damit ich die Getränke bezahlen kann ...“
„So ein Typ! Wieso fallen wir nur immer wieder auf den rein?“ Jetzt ist Sarah wirklich empört.
Bei Honorata siegen zum Glück wie erwartet die Familienbande. „Okay, ich weiß nicht warum, aber meinetwegen löse ich dich heute noch einmal aus. Dafür musst du aber schon eine richtig gute Geschichte auf Lager haben. Leg los!“
Mein patentes Tantchen hat mir auch früher schon so manches Mal aus der Patsche geholfen. Ziemlich sicher: Ich bin ihr Lieblingsneffe, wenn auch viel zu alt. Wenigstens ein Glücksfaktor in meinem konkursbedrohten Leben.
„Honey, lass dich küssen! Du wirst es nicht bereuen.“
„Igitt, untersteh dich.“ Auch Sarah wendet angewidert ihren Kopf ab. „Jetzt red endlich!“
„Gut, meine Damen, euer Herr consultant will euch nicht länger auf die Folter spannen. Sonst werdet ihr am Ende noch ganz hippelig. Sarah, dich brauch ich nämlich auch!“
„Oh, Herr im Himmel, Honorata, der spinnt, dein Neffe. Wo hast du den bloß aufgegabelt? So’n aufgeblasenen Blödsinn kann ich zu dieser Tageszeit nicht ab! Komm! Lass uns gehen.“
Wenn Sarah sich beginnt aufzuregen, gerät halb Moshi in Not. Nur schnelles Reden kann die Situation jetzt noch retten.
„Halt, Sarah, warte; lass mich doch erzählen. Die Geschichte ist heißer als jedes Backblech. Bei dir im Hotel logiert ein Schatzsucher.“
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