Im Unterschied zum Reich Mazzar war das Givvianische Sandheim – so lautete die offizielle Bezeichnung der kleinen Planetenkonstellation, welche die Givvianer manchmal auch nur Nest nannten –, weder expansiv, noch besonders aggressiv veranlagt. Das hieß nicht, dass die Givvianer nicht kämpfen konnten, oh, das konnten sie sehr wohl. Aber ihre ersten Kontakte mit den Mazzar waren so blutig verlaufen, dass sie Jahre später die ersten Menschen, auf die sie getroffen waren, ebenfalls für Eroberer gehalten und massakriert hatten.
Es waren etliche Expeditionen vonnöten gewesen, um die Sache zu … bereinigen. Die Art der Expeditionen hatte sich von anfänglichen beiderseitigen Rachefeldzügen, hin zu einem schnellen Patt und vielen, vielen vorsichtigen Verhandlungen gewandelt, die zunächst für einige Jahre in eine Koexistenz und letztendlich in eine Allianz gegen die Mazzar gemündet war.
Aber die Givvianer waren nun Verbündete und Bérénice hoffte, dass sie kein Wrack vor sich im immer rascher werdenden Dunkel verschwinden sah. Sie erhob sich aus ihrer Stellung und suchte nach einer Route, die sie am schnellsten in die Nähe des Schiffes bringen würde. Sie musterte misstrauisch den Abhang vor sich: wenig Steinbrocken, viel loser Kohlestaub. Wenn sie ins Rutschen kam, konnte sie zwar schneller eine große Strecke zurücklegen, aber die Gefahr, einfach verschluckt zu werden, erschien ihr zu groß. Darüber hinaus würde sie sicherlich nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck hinterlassen, wenn sie einfach so in der in Kürze hereinbrechenden Dunkelheit vor dem Schiff stehen und um Einlass begehren würde. Die givvianische Besatzung hatte sich vielleicht gerade diesen Bergeinschnitt als Landeplatz ausgesucht, um einer Entdeckung durch ihre gemeinsamen Feinde zu entgehen. Also waren sie aufmerksam und hatten wahrscheinlich die Finger am Abzug. Keine gute Idee, da im Dunkeln aufzutauchen.
Die Trooperin zuckte mit den Schultern und suchte sich eine windgeschützte Nische, von der aus sie das Schiff im Blickfeld hatte. Bei spärlichen Sternen am Himmel und einem höllenartigen Schwarz am Boden, machte sie es sich für die Nacht bequem. Das Beste auf Carbon war ein weiches Kohlestaubbett. Sie schob einen Teil des Umhanges vor Nase und Mund und schloss die Augen.
Wovon ich schon immer geträumt habe: einer Nacht auf Grillkohle.
Sie stellte sich einen Givvianer vor: etwa 130 bis 140 Zentimeter groß, aufrechter birnenförmiger Körper, mit vier unteren Extremitäten, welche in dreigliedrigen Klauen endeten. Eine in jungen Jahren bordeauxrote, in der Adoleszenz rostrote, bis im Alter braunrote Schuppenhaut. Ein kräftiger Schwanz von noch einmal 1,2 Metern Länge, der eine unerfreulich scharfe Stachelsichel aufwies, der es ohne Weiteres möglich war, einen Kopf vom Rumpf zu trennen. Diese Stacheln konnten nachwachsen, sollten sie abbrechen oder auch abgeworfen werden. Die Augen eines Givvianers waren zwei lange Schlitze mit Nickhäuten über typischen Reptilienpupillen. Die Augäpfel besaßen ein angenehmes Gelborange, in dem die hellbraunen Pupillen ein erstaunliches Repertoire an Ausdrücken produzieren konnten. Vielleicht war es gerade diese Eigenschaft, die zwischen Menschen und Givvianern zu einer Annäherung geführt hatte.
Erst viel später war es gelungen, die grummelnden, fauchenden und zischenden Lautkombinationen der Givvianer in eine Syntax einzuordnen und nach drei Jahren harter gegenseitiger Bemühungen – freundlich unterstützt vom massiven Herandrängen der Mazzar – in eine Translations-Software einzubinden. Eine Unterhaltung mit einem Givvianer und einem Menschen hörte sich so an, als würden zwei Katzen streiten und ein Herrchen versuchen, sie zu trennen.
Ich habe kein Translationsmodul …
Mit diesem wenig erbauenden Gedanken schlief Bérénice ein.
Sie war längst wach, als die weiße Scheibe der Sonne endlich ihre ersten Spuren am Horizont zeigte. Der Bergeinschnitt lag aber noch völlig im Dunkeln und auch der Abhang vor ihr war ein Meer aus Schwarz in Schwarz. Erst allmählich wandelte sich die Finsternis vor ihr in weniger tiefe Schwärze und nach einer geschlagenen halben Stunde konnte sie anthrazitfarbene Konturen und gröbere Details ausmachen.
Ungeduldig – und hungrig wie sie an diesem Morgen war –, konnte sie es kaum erwarten, sich an den Abstieg zu machen. Das Givvianerschiff war ein einziger finsterer Fleck in einer schwarzgrauen Einbuchtung des Bergmassivs.
Die haben sich wirklich ein gutes Plätzchen ausgesucht , dachte sie anerkennend und nickte unwillkürlich. Das heißt, dass sie mit Absicht dort liegen und nicht etwa abgestürzt sind oder abgeschossen wurden.
Die halbe Sonnenscheibe sandte nun ihre Lichtstrahlen an den Rand des Berges und Bérénice runzelte die Stirn, als sie endlich das Schiff wieder besser sehen konnte.
»Das ist weder ein Beiboot noch ein Rettungsshuttle …«, überlegte sie mit halblautem Gemurmel. Sie musterte die Konturen des kleinen Schiffes, das sich nun mehr und mehr aus dem Halbschatten schälte. »Die seitlichen Anbauten über den Landungskrallen sind eindeutig Linearantriebe, doch so ein Modell habe ich noch nie gesehen.«
Das musste nichts heißen, sie kannte ja nicht jeden einzelnen terranischen Schiffstyp, schon gar nicht geheime …
»Ein Aufklärer … das Ding ist zum Spionieren gebaut worden.« Sie war sich fast sicher, dass ihre Vermutung der Wahrheit entsprach, letztendlich machte es keinen Unterschied, auf was für ein Modell sie blickte; es waren Givvianer, also Verbündete.
»Aber die Besatzung hat bestimmt keine Lust, ihre Aufgabe einem menschlichen Flüchtling auszuplaudern.« Sie seufzte und wusste dabei genau, dass ihr im Grunde keine Wahl blieb. »Na danke, das kann ja heiter werden.«
Es half trotz allem nichts. Dieses Schiff war ihre beste Chance ihre Flucht – sie nannte sie in Gedanken ohnehin schon lange ihre Odyssee – fortzusetzen. Wer weiß, wann sie wieder die Gelegenheit hätte, hier auf diesem Kohleplaneten ein Schiff zu finden, geschweige denn ein befreundetes, Spione hin oder her.
Sie packte ihren arg geschrumpften Rucksack und den Rest ihrer Habe und trat an den Rand des Abhanges. Ihre Blicke suchten nach einer ungefährlichen Route und nach einigem Abwägen zwischen einer waghalsigen und einer leichtsinnigen, entschied sie sich für Erstere.
Lieber vertraue ich auf meine Fitness, als dass ich in unberechenbares Gelände hüpfe!
Dachte es und machte erste vorsichtige Schritte hinab. Das Katana und alles andere hatte sie so fest zusammengesteckt, dass sie beide Hände freihatte. Nach zehn, elf Schritten geriet sie in eine lockere Schicht und begann zu rutschen. Nun, das hatte sie erwartet. Der ganze Abhang war zwar erfreulich lang und relativ flach, aber trotzdem konnte es passieren, dass sie in einem Loch versinken und ersticken würde. Sie konzentrierte sich auf Stellen, an denen größere Steinbrocken lagen, denn dort war der Untergrund logischerweise fest genug, diese zu tragen.
Und mich , dachte sie und machte einen Satz über einen kniehohen Brocken, dem sie nicht mehr ausweichen konnte, da sie mittlerweile ein hübsches Tempo drauf hatte. Sie landete auf relativ festem Untergrund und verlegte sich auf kurze, leidlich kontrollierte Sprünge, die sie noch schneller nach unten brachten. Auf diese Weise legte sie fast 120 Meter zurück, als sie hinter sich ein Prasseln hörte. Ausgerechnet an dieser Stelle machte der Hang eine Einbuchtung und sie sprang instinktiv mit aller Kraft darüber hinweg und landete in einer mächtigen Staubwolke am unteren Rand der Mulde. Dem Prasseln hatte sich jetzt das Geräusch rollender Steine hinzugesellt, und während sie sich umdrehte, ahnte sie bereits, was sie sehen würde.
»WOW!«, entfuhr es ihr, aber in der gleichen Sekunde wirbelte sie herum und begann einen Sprint, wie ein Hase auf der Flucht vor dem Fuchs.
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