gewandt: »Gib ihm etwas von dem getrockneten Pferdefleisch mit, es ist
haltbar und nahrhaft. Ich werde inzwischen die Felle und die Wolle holen.«
»Und die alte Klinge«, erinnerte ihn Nedeam.
Balwin nickte. »Und die alte Klinge, junger Herdenhüter.«
Nedeam folgte ihm nach draußen, während Meowyn den Reiseproviant
packte: Brot, Wolltierkäse und getrocknetes und leicht gesalzenes
Pferdefleisch. Im Land der Pferdelords gehörte Pferdefleisch zu den
Grundnahrungsmitteln, aber kein Pferdelord verzehrte jemals das Fleisch des
eigenen Pferdes. Verstarb ein Tier, so schenkte man das Fleisch dem
Nachbarn.
Ein Stück vom Haus entfernt befand sich die kleine Koppel, in der die
Pferde der Familie standen und in deren einer Ecke ein offenes Mauergeviert
errichtet worden war, das mit Grassoden und Steinen abgedeckt war. Wurde
die Witterung im Winter zu stürmisch oder aber setzten die schweren
Regenstürme ein, die gelegentlich mit Eiskörnern versetzt waren, zogen sich
die Pferde dorthin zurück. Selbst die Tiere in den Tälern suchten dann Schutz
zwischen den Felsen. Doch die Pferde der Hochmark waren bekannt dafür,
dass sie ungewöhnlich zäh und robust waren. Und sie waren Kämpfer, denn
die Männer der Hochmark trainierten ihre Reittiere für den Kampf. Ihr Huf
und ihr Gebiss konnten ebenso tödlich sein wie Pfeil, Lanze oder die blanke
Klinge.
Nedeam trat in die Koppel, sprach mit den Pferden, die ihn freudig
begrüßten und ihre Köpfe an ihm rieben. Doch an diesem Tag interessierte
ihn nur ein einziges Pferd: Stirnfleck. Der große braune Hengst hatte einen
lang gezogenen weißen Fleck an seiner Stirn und war das stärkste ihrer
Reittiere. Normalerweise wurde er nur von Balwin geritten, und so war dieser
Tag für Nedeam in doppelter Hinsicht außergewöhnlich, würde er doch nicht
nur allein nach Eternas reiten, sondern auch noch auf dem Hengst seines
Vaters. Der Hengst tänzelte aufgeregt, als er begriff, dass er nun bald aus der
beengenden Koppel herauskommen würde. Stirnfleck liebte lange Ausritte,
und als ihm Nedeam Satteldecke und Sattel auflegte, verharrte der Hengst
bereitwillig. Nedeam zog den Sattelgurt straff und sah dabei wehmütig auf
den leeren Lanzenschuh am rechten Steigbügel und die leere Halterung für
den Schildriemen. Noch vier lange Jahre würde es dauern, bis er endlich als
Kämpfer geschult werden und den Umhang des Pferdelords erhalten würde.
Vier Jahreswenden!
Nedeam seufzte leise und legte Stirnfleck das Zaumzeug an. Der Hengst
schnaubte leise, als er die großen Tragetaschen über die Kruppe aufgelegt
bekam, denn er mochte die Beengung durch diese Lastbehälter nicht. Zuletzt
befestigte Nedeam die großen Ledertaschen noch am Riemen des Sattels,
sodass sie nicht verrutschen konnten. Dann nahm er Stirnfleck am Zügel und
führte ihn aus der Koppel.
Balwin trat gerade aus dem kleinen Anbau des Hauses und trug gegerbte
Häute und Felle sowie Nedeams Jagdbogen über dem Arm. Sorgfältig schob
er Felle und Häute in die Tragetaschen und band den Bogen zusammen mit
einem Pfeilköcher am Sattel fest. »Biete dem Eisenschmied erst die zweite
Wahl an«, sagte Balwin. »Seine Augen sind nicht mehr besonders, und er
wird ohnehin versuchen, dich zu übervorteilen. Achte auf rostige Stellen an
den Klingen, die er dir bietet. Kratze den Rost sorgfältig ab. Manche sagen,
Guntram biete Klingen an, die beschädigt seien, und überdecke die
Bruchstellen mit Schmutz.« Balwin lächelte. »Ich glaube nicht, dass Guntram
wirklich solch ein Gauner ist, aber er ist immerhin Eisenschmied und ein
elender Feilscher.«
Balwin sah Meowyn mit dem Proviantsack aus dem Haus treten. »Und lass
deiner Mutter etwas von der Süßwurzel übrig, mein Sohn. Das wird sie
freuen.«
Meowyn reichte Nedeam den Proviant, und dieser schwang sich in den
Sattel. Mechanisch schob er den Jagdbogen in die richtige Position und
prüfte, ob die Pfeile richtig im Köcher saßen. Sie durften sich beim Ritt nicht
lösen, mussten aber jederzeit griffbereit sein.
»Wahre die richtige Form, Nedeam«, ermahnte sie ihn. »Das Du ist nur in
der Familie erlaubt, jedem anderen gebührt die höfliche Anrede. Achte stets
darauf, guter Herr oder gute Frau zu sagen, damit man dich nicht für
ungehobelt hält.«
»Ich weiß, Mutter«, versicherte Nedeam.
»Sollte dir der Heiler begegnen, so nenne ihn Hoher Herr.«
»Was auch für den Ersten Schwertmann gilt«, warf Balwin lächelnd ein.
»Ach,
Meowyn, Weib, er weiß doch wohl, wie er sich zu benehmen hat.«
»Ja, das tue ich«, bestätigte Nedeam und reckte sich im Sattel.
Balwin grinste beifällig. »Schneller Ritt und scharfer Tod.«
Nedeam sah seinen Vater zustimmend an, doch Meowyn legte ihre Hand
auf Balwins Arm. »Noch ist dein Sohn kein Pferdelord, Balwin.« Sie sah
Nedeam aufmunternd an. »Auch wenn er jetzt fast schon so aussieht.«
Der Zwölfjährige reckte sich stolz und strahlte glücklich. In diesem
Augenblick war es ihm gleichgültig, dass die Farbe seines Umhangs noch
Braun war und nicht das Grün der Pferdelords aufwies. So verabschiedete er
sich von seinen Eltern, zog Stirnfleck herum und trabte von dem kleinen
Gehöft in Richtung auf die große Stadt Eternas und seinem Abenteuer
entgegen.
Balwin legte den Arm um seine Frau Meowyn und zog sie zärtlich an sich.
»Keine Sorge, Weib. Er reitet ins Innere der Mark. Dort ist er sicher.«
Meowyn seufzte leise. »Die toten Wolltiere beunruhigen dich mehr, als du
eingestehst.«
Balwin erwiderte nichts. Aber das brauchte er auch nicht.
Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Felsen warfen das Licht seltsam
gleißend zurück, sodass es unangenehm rasch blendete. Trotzdem war es
nicht heiß, denn der stete Wind der Hochmark brachte eine Linderung, die
Kormund als angenehm empfand. Sie ritten über einen der zahlreichen Pässe
der Hochmark in die Ebene von Eternas ein, und das Bild der Landschaft
verwandelte sich vor ihren Augen in ein saftiges Grün. Die Ebene, die in der
Mitte von einem Gebirgsfluss geteilt wurde, zog sich zwischen steil
aufragenden Bergen entlang, und wer die Fruchtbarkeit ihrer Weiden sah,
erkannte rasch, warum es sich hier gut leben ließ. Obwohl die Wolltierherden
die Weiden rasch abgrasten, wuchs ihr Gras schnell genug nach. Außerdem
war nahezu die gesamte Ebene von einem dichten Ring seltener
Gebirgswälder umgeben, die unter dem strengen Schutz des Pferdefürsten
Garodem standen. Um die Stadt selbst zog sich ein leuchtend gelber Gürtel
aus Getreidefeldern, deren Ernte kurz bevorstand. Man sah zahlreiche Männer
und Frauen, die sich zwischen den hoch aufragenden Halmen bewegten. Die
Ähren standen voll, und es würde wieder eine gute Ernte geben, denn der
Boden Eternas’ war fruchtbar.
Eternas war eine offene Stadt ohne Befestigungsanlagen, denn noch nie
hatte sich ein ernsthafter Feind bis hierher vorgewagt, und die Häuser der
Stadt wirkten durch ihre zwei- und dreigeschossige Bauweise und ihre
zahlreichen Schrägen und Winkel nahezu verspielt. An fast jedem Dachgiebel
waren die gekreuzten Pferdeköpfe, das Symbol des Landes der Pferdelords,
ausgearbeitet, und oft waren diese Verzierungen aus blankem Metall
geschmiedet. Der Reichtum der Hochmark zeigte sich in seinem
verschwenderisch wirkenden Umgang mit Metallen, und viele der Türen und
der Fensterrahmen waren aus geschmiedetem Eisen. Holz hingegen war
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