Ryan umrundete die Gruppe vor sich und nahm die Späherin in die Arme. „Willkommen zu Hause“, sagte er leise in ihr Ohr.
„Danke“, bekam er als Antwort und hörte sie dabei lächeln.
Er ließ sie los und nahm ihr Gesicht in die Hände. „Danke, dass du so gut auf Zoe aufgepasst hast.“
Sie grinste. „So schwer war’s gar nicht. Bis auf ihr Geheule wegen Koon.“
Er nickte und ließ sie los. „Ja, ich glaube, das wird noch eine Weile so gehen.“
Emily seufzte nur und strich ihm über den Arm, dann stand Rahel hinter ihm und zog ihn so in eine feste Umarmung. Er musste lachen und schaffte es dann, sich umzudrehen und die Umarmung zu erwidern.
„Man, ihr habt hier alle so wahnsinnig gefehlt“, gab er zu und drückte auch ihr einen Kuss auf die Wange. „Es wurde Zeit, dass ihr zurückkommt.“
„Da sind wir“, grinste sie und hob den Blick zu ihm. „Aber ich hab gehört, ich habe Konkurrenz bekommen?“ Ihr Blick flog kurz zu Kaya, die noch mit Zoe sprach.
Ryan wackelte mit dem Kopf. „Ja. Ich brauchte Rat und so und du warst ja nicht da.“
Dafür bekam er einen Hieb auf den Arm. „Als wäre das meine Entscheidung gewesen“, empörte sich seine beste Freundin gespielt.
„Au. Ey! Ich weiß das doch! Jetzt bist du ja wieder da und kannst deinen Job machen. Zicke.“
Rahel lachte und drückte ihn noch mal fest an sich. „Ich bin froh, wieder hier zu sein.“
„Ich bin froh, dass ihr wieder da seid.“ Er war es tatsächlich. Mehr als froh sogar. Die Thalans waren einfach nicht komplett, wenn auch nur einer fehlte. Nun, es fehlte ja noch immer einer. Koon, der bei den Azur im Norden war. Sie waren also noch immer nicht komplett vereint.
Bald , dachte Ryan und hielt Rahel weiter fest.
Reise Reise
16 Leute, auf vier Autos verteilt, fuhren vom Rudelsitz los und machten sich auf den Weg nach Wales. Dort - in Haverfordwest - war der Teil vom Rat zu Hause, der die Zeremonie mit den Thalans durchführen würde. Sie hatten also eine lange Reise vor sich.
Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, wenn nicht ausgerechnet Evan das Auto gefahren hätte, in dem auch Ryan mitfuhr. Ergo war auch Amber bei ihnen. Ryan hatte versucht zu tauschen, hatte aber zeitgleich niemanden beleidigen wollen und saß nun neben Kaya auf der Rückbank von Evans Wagen. Amber saß dankenswerterweise vorn.
Die Strecke zog sich extrem, denn sie kamen in einen Stau nach dem anderen. Gegen Mittag hielten sie an einem kleinen Imbiss und vertraten sich die Beine. Ryan war so froh, aus dem Auto zu kommen, dass er, ohne auf die anderen zu warten, in das kleine Gebäude ging und auf dem Männerklo verschwand.
Xander folgte ihm jedoch und sah ihn fragend an, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Geht’s dir gut?“
Humorlos stieß Ryan die Luft aus. „Ich sitze seit drei Stunden in einem Auto mit Amber.“
„Gut erkannt.“
Ryan wandte sich um und sah seinen Bruder an. „Ich kann das nicht.“
„Es ist nur eine Autofahrt, Ry.“
„In einem winzigen Auto.“ So klein war Evans Wagen gar nicht, doch ganz ohne Ausweichmöglichkeiten war es definitiv zu klein für Ryan und das Azurmädchen gemeinsam.
Xander seufzte. „Warum machst du so ein Drama daraus? Im Haus wart ihr auch ständig zusammen.“
„Ich mache kein Drama daraus, es ist ein Drama! Du hast keine Ahnung.“
„Nein offensichtlich nicht. Sie ist nur ein Mädchen. Ich versteh nicht, warum du so fixiert bist.“
„Ich hab sie gefunden!“, knurrte Ryan unvermittelt.
„Ey! Komm runter!“, wies sein Bruder ihn zurecht und richtete sich auf. „Ich weiß das, aber ehrlich mal, du benimmst dich, als wäre sie dein Eigentum.“
„Was?!“
„Ja. Oder auch als wäre sie deine Ex, die mit einem anderen rummacht, und du kannst nichts tun, weil sie mit dir Schluss gemacht hat.“
Ryan ließ die Schultern sinken und stellte fest, dass Xander vollkommen recht hatte. „Tut mir leid.“
Sein Bruder kam herüber und lehnte sich neben ihn an die Waschbecken. „Warum machst du so einen Aufstand?“, wollte er wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Das mache ich doch gar nicht“, murrte Ryan.
„Doch irgendwie schon. Warum kannst du nicht akzeptieren, dass sie zu Evan gehört?“
„Kann ich doch.“
„Nein kannst du nicht. Liebst du sie?“, fragte Xander offen und musterte Ryan.
„Nein.“
„Aber du willst sie.“
„Ja.“
„Trotz, dass du akzeptiert hast, dass Evan sie bekommt?“
„Mhh.“
„Ry. Schließ ab. Es ist alles scheiße gelaufen für dich, aber ändern kannst du es nicht. Such dir eine andere und vergiss Amber.“
„Wie soll ich sie vergessen? Sie ist ständig in meiner Nähe. Selbst wenn ich wollte ...“
„Du willst nicht.“
„Ich hab’s doch versucht! Ich versuche es immer wieder, aber es klappt nicht“, gab Ryan zu und senkte den Blick. „Ich hab keine Ahnung, warum das so schwer ist. Ich weiß, dass sie Evan heiraten wird. Ich kenne die Gründe und es sind gute und akzeptable Gründe. Aber ich finde es nicht richtig. Sie hatte keine Wahl.“
„Denkst du, sie hätte sich für dich entschieden?“
„Kein Plan. Aber so wäre es fairer gewesen.“
„Jetzt siehst du mal, wie ich mich die ganzen Jahre gefühlt habe“, grinste Xander und versuchte offenbar, ihn damit aufzuheitern. Sonst war der mittlere Thalan immer der Letzte gewesen, den die Mädchen gewählt hatten.
„Mit dem Unterschied, dass die Mädchen entscheiden durften. Amber durfte nicht“, erinnerte Ryan ihn.
„Man, Ry, ehrlich. Es ist wie es ist. Nimm’s hin.“
Kurz herrschte Schweigen, dann sagte Ryan leise: „Ich kann nicht.“
Xander musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Du kannst nicht oder du willst nicht?“
„Ich kann nicht. Es geht nicht. Wenn du wüsstest, wie sehr ich es will, aber es klappt nicht. Scheiße, man.“ Ryan warf einen Blick zur Tür, stellte sich dann mit dem Rücken zu ihr vor seinen Bruder und sah ihn eindringlich an. Fast unhörbar flüsterte er: „Selbst wenn ich mit Kaya im Bett bin, sind meine Gedanken nur bei Amber. Ich kann nichts dagegen tun. Die Kleine ist wie ... wie ... keine Ahnung mit was ich das vergleichen kann.
Alter, ich kann machen, was ich will, sie kommt mir in den dämlichsten Momenten in den Sinn. Beim Essen, beim Duschen, beim Laufen als Wolf! Xander, ich habe noch nie - hörst du - noch nie von etwas Menschlichem geträumt, wenn ich Wolf war. Seit drei Nächten träume ich ständig von Amber.“ Kurz herrschte Stille, in der die Brüder sich gegenseitig ansahen. Xander nachdenklich und Ryan leicht aufgebracht.
Dann sprach Ryan weiter. „Ich träume von den Dingen, die sie tagsüber getan hat und von den wenigen Gesprächen zwischen uns. Ich träume menschliche Träume, als Wolf! Das geht mir tierisch auf den Zeiger!“
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