Ich nickte und brachte schier übermenschliche Kräfte auf, um nicht nach dem Brötchen zu greifen. Stattdessen trank ich einen Schluck Kaffee.
Bernd fuhr fort: „Es macht den Eindruck, als wäre Dr. Mürkens wirklich verschwunden. Und zwar kurz nachdem du mit ihm gesprochen hast. Jennifer hat ein wenig recherchiert und festgestellt, dass der Anwalt kurz nach dir in einer ziemlichen Eile die Kanzlei verließ. Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten gab er nicht an, wohin er sich begeben wollte.“
„Bringt man mich mit dem Verschwinden in Zusammenhang?“, fragte ich.
Bernd schüttelte den Kopf. „Nein. Zunächst dachte die Sekretärin, Dr. Mürkens wäre Mittagessen gegangen, doch er kehrte nicht mehr in die Kanzlei zurück. Und zuhause ist er auch nicht aufgetaucht. Die Ehefrau hat die Polizei verständigt, doch dort wurde sie nur vertröstet, da noch keine vierundzwanzig Stunden vergangen sind. Daraufhin gab sie uns den Auftrag, ihren Mann zu suchen.“
„Seine Leiche hat man noch nicht gefunden“, überlegte ich laut. „Das hätten wir erfahren. Was glaubst du, Bernd, ob der Mann untergetaucht ist? Oder wurde er doch ermordet?“
„Das wirst du herausfinden“, entgegnete mein Freund. „Vor allen Dingen müssen wir mehr über diesen ominösen Anrufer erfahren. Stell fest, ob Mürkens Feinde hatte, welche Mandanten er in den letzten Monaten vertreten hat, wer seine Freunde sind und was der Mann sonst so treibt. Jennifer versucht über die Telefongesellschaft etwas über den Anrufer herauszufinden, doch die Chancen, etwas zu erfahren, stehen eher schlecht.“
„Feinde wird der Mann garantiert haben“, meinte ich. „Sonst gäbe es ja nicht diesen Drohanruf.“
Bernd nickte. „Ja. Vielleicht kannst du bei seiner Frau anfangen und dort etwas in Erfahrung bringen. In den Unterlagen findest du übrigens ein Formular, das sie unterschreiben soll. Es geht dabei um die Beauftragung unserer Detektei.“
Ich blätterte die Unterlagen durch und fand das Blatt. Jennifer hatte es so weit wie möglich ausgefüllt und es fehlten lediglich die Unterschrift der Ehefrau, sowie deren Geburtsdatum. „Du meinst das hier?“
„Ja genau. Sieh zu, dass du immer eine Kopie des unterschriebenen Formulars bei dir trägst. Damit kannst du belegen, dass wir offiziell beauftragt wurden.“ Bernd trank einen Schluck Kaffee und sah mich an. „Sonst noch Fragen, Jonathan?“
„Warum glaubst du, dass ich den Zettel brauche? Eine Bestätigung, dass wir von der Frau den Auftrag bekommen haben, ihren Mann zu suchen? Das klingt für mich doch eher ungewöhnlich.“
„Ist es auch. Allerdings wirst du mit Schwierigkeiten rechnen müssen, wenn du sein Büro durchsuchen willst. Die Kanzlei ist dafür bekannt, dass sie sich nach außen hin ziemlich abschottet und allgemein wenig kooperativ ist.“
Ich sah Bernd fragend an. „Haben die etwas zu verbergen?“
„Nicht unbedingt. Das hat wohl eher mit dem Verhältnis zu dem Polizeidirektor zu tun. Laut Jennifers Recherchen halten die Anwälte sich dort für so etwas wie Götter.“
Ich nickte. „Ja, das kann ich bestätigen. Mürkens ist ein selbstgefälliges, arrogantes Arschloch und ha...“
Bernd sah mich scharf an und unterbrach mich hastig: „Lass das ja niemanden dort hören, Jonathan. Ich sag noch einmal: Fingerspitzengefühl. Du kannst uns eine Menge Ärger einbrocken, wenn die Anwälte sich bei dem Polizeidirektor beschweren und der sich an den Oberstaatsanwalt Eberson wendet. Schließlich ist ja allgemein bekannt, dass wir auch für Eberson arbeiten. Also: Halte dich zurück und keine solchen Bemerkungen wie eben.“
Ich sah Bernd fest in die Augen. „Du kennst mich doch.“
„Ja eben deswegen.“
Jetzt tat ich ein wenig beleidigt: „Habe ich nicht die Angelegenheit mit dem Nachbarschaftsstreit hervorragend und zu aller Zufriedenheit gelöst? Ohne mein diplomatisches Geschick und mein Einfühlungsvermögen hätte ich die Sache nicht so perfekt bereinigen können.“
Bernd lächelte und nickte leicht. „Ja, ehrlich gesagt hatte ich eher erwartet, dass du den Hund oder den Mann erschießt. Oder beide.“
Als ich Bernd entsetzt ansah, lachte er. Allerdings erklärte ich ihm nicht, dass ich kurz daran gedacht hatte, den Hund zu erschießen.
„Das war nur ein Scherz“, grinste Bernd, der das Entsetzen auf meinem Gesicht falsch deutete. Ich hatte lediglich Angst, mein Freund könne meine Gedanken lesen.
„Sonst noch Fragen? Ich möchte, dass du Jennifer über deine Ermittlungen auf dem Laufenden hältst, sie wird mir dann berichten. Alle wichtigen Informationen findest du in der Akte. Falls Jennifer noch etwas herausfindet, dann wird sie dich informieren. Und sollte es brenzlig werden, dann stehen Sam und ich dir zur Seite. Also keine Alleingänge, wenn es gefährlich wird, verstanden?“
Ich erhob mich, legte die Hand an die Stirn und meinte: „Jawohl, mon General. Das habe ich verstanden!“
Bernd sah mich kopfschüttelnd an: „Und gewöhn dir diesen Scheiß ab, Jonathan. Die Anwälte sind knochentrockene Leute, mit solchen ‚Scherzen‘ wirst du sie lediglich gegen dich aufbringen. Denk an meine Worte: Sei zurückhaltend und brocke uns keinen Ärger ein!“
Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. „Klar Boss, kein Problem.“ Dann griff ich nach einer Brötchenhälfte und ließ es mir schmecken. Für meinen Teil war die Besprechung beendet.
Nachdem Bernd gegangen war - nicht ohne den Hund noch einmal ausgiebig an Bauch und Brust zu streicheln - rief ich die Frau des Anwaltes an. Der Mann war immer noch verschwunden, doch etwas anderes erwartete ich auch nicht. Ich vermied es, zu fragen, ob man seine Leiche schon gefunden hatte, denn so etwas hätte sie mir ja von alleine erzählt. Stattdessen vereinbarte ich einen Termin für heute Vormittag. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass noch genügend Zeit blieb, um mit Bingo ein wenig spazieren zu gehen.
Diesmal hatte ich mir für unseren Spaziergang die Gegend um den Golfclub ausgesucht, der in der Nähe der Villa des Anwaltes Mürkens lag. Hier gab es Felder, Bäume und Wiesen und die Gegend war ziemlich menschenleer. Ich konnte Bingo also frei und ohne Leine laufen lassen, er würde niemanden stören.
Den Wagen parkte ich beim Golfclub, wo um diese Zeit schon reichlich Autos auf dem Parkplatz standen. Es handelte sich durchweg um teure Fahrzeuge und mein mickriger Kia sah daneben schon ziemlich schäbig aus.
Bingo nutzte die Gelegenheit, sich einmal so richtig auszutoben. Er jagte über ein Feld, stöberte ein Kaninchen auf und hetzte wie verrückt hinter dem armen Tier her. Doch das Kaninchen war schneller und verschwand schließlich in einem Loch.
Ich nutzte die Gelegenheit über meinen neuen Auftrag nachzudenken, doch schon bald schweiften meine Gedanken ab und kreisten um Bingo. Der Hund war so voller Kraft, Leben und Bewegungsdrang, dass ich mich fragte, ob man sich im Tierheim auch genügend um ihn kümmern würde. Oder müsste der Malinois den ganzen Tag in einem Zwinger verbringen und weder Auslauf, noch Beschäftigung bekommen? Ich musste unbedingt mit dem Personal dort reden und darauf hinweisen, dass Bingo auch genügend Aufgaben erhalten sollte. Und Streicheleinheiten, die liebte er doch so!
Für einen Moment verlor ich den Hund aus den Augen, doch kurze Zeit später stürzte er schon wieder auf mich zu. Erleichtert atmete ich auf. Als Bingo stolz einen Golfball zu meinen Füßen ablegte, beschloss ich, ihn heute noch nicht ins Tierheim zu bringen, das hatte auch bis morgen Zeit.
Pünktlich um elf Uhr drückte ich den Klingelknopf neben der Eingangstüre der Villa. Frau Mürkens öffnete mir und ich sah, dass sie geweint haben musste. Erschrocken blickte ich in ihre rotgeränderten Augen. „Hat man seine Leiche gefunden?“, fragte ich mitfühlend.
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