Der Mann wedelte mit der Pistole herum und ich fragte mich kurz, ob er überhaupt eine Erlaubnis besaß, die Waffe zu führen. Trotzdem sah ich zu, schnellstmöglich aus seinem Büro zu gelangen.
Die Gedanken an diesen arroganten Anwalt beschäftigten mich noch, als ich quer durch Rheydt zu meinem Freund Curry-Erwin ging. Es war zwar noch ein wenig früh für ein Mittagessen, doch dafür blieb mir danach noch Zeit für einen opulenten Nachtisch. Ob die Eisdielen schon geöffnet hatten?
Ich nahm dann doch einen Umweg durch die Stadt und ging nicht schnurstracks zu Erwins Frittenbude. Es war einfach noch zu früh und ich hatte ja genügend Zeit. Wie immer wunderte ich mich über die Massen an Menschen, die von Geschäft zu Geschäft eilten. Gerade so, als würde niemand mehr einer Arbeit nachgehen und hauptsächlich dem Shoppen frönen. Was mich allerdings nicht überraschte, war der überdurchschnittlich hohe Anteil unserer ausländischen Neubürger. Wenigstens sorgten sie in den Straßencafés für den erforderlichen Umsatz.
Üblicherweise vermied ich es, durch Rheydt zu streifen und so bemerkte ich eine Reihe von neuen Billiggeschäften, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Und dann stand ich vor einem Burger-Imbiss, der wohl erst kürzlich seine Eröffnung gefeiert hatte. Oberhalb der Eingangstüre schaukelten träge bunte Luftballons in der warmen Sonne und riesige Plakate mit Sonderangeboten sollten die Passanten in das Geschäft locken. Neugierig las ich die Zutatenliste eines sogenannten ‚Big Triple Meat Burger Second Generation‘. Als ich keinerlei Erwähnung von Salat oder Tomate fand, stand mein Entschluss fest: Curry-Erwin konnte noch eine Weile warten, ich musste dieses unschlagbare Sonderangebot unbedingt ausprobieren. Lächelnd betrat ich das Schnellrestaurant. Die Einrichtung war schlicht gehalten, was den Fast Food Charakter des Lokals unterstrich. Ich hätte es eher ‚ungemütlich‘ genannt, aber hier sollte ja auch rasch gegessen und dann weitergezogen werden. Eine Verkaufstheke, die allerdings eine Reinigung benötigt hätte, wartete mit Plastiktabletts, Plastikmessern und Plastikgabeln auf. Eine ältere Frau stand hinter der Theke und sah mir fragend entgegen. Das Restaurant war mäßig besucht und ich war der einzige Kunde hier an der Theke.
Ich versorgte mich mit dem Plastikbesteck und wandte mich freundlich lächelnd an die Verkäuferin. „Guten Tag, ich würde gerne etwas essen.“ Dann fiel mir der Name des beworbenen Burgers wieder ein. „Einen Trick Bit Second Burger, bitte“, orderte ich und überlegte, ob ich eine mittlere oder große Cola dazu bestellen sollte. „Und natürlich Pommes Frites“, ergänzte ich.
„Sie wollen mich wohl verarschen?“, raunzte die Frau mich an. „Warum grinsen sie so dämlich? Soll das ein Witz sein?“
„Ein Witz?“ Ich wusste jetzt nicht, was sie meinte. „Ich möchte doch lediglich einen Tickle Second Burger.“
„So etwas führen wir nicht. Ich sag ja, sie wollen mich verarschen ...“
Hilflos sah ich die ältliche Frau an. Sie trug eine Schürze, auf der Ketchupflecken prangten und ich fühlte mich ein wenig an Curry-Erwin erinnert. „Diesen Burger von dem Plakat da“, erklärte ich und zeigte auf das Schaufenster neben der Tür.
„Ach, sie meinen unseren Big Triple Meat Burger Second Generation. Warum sagen sie das denn nicht gleich? Mit Ketchup, Currysoße oder mit Chilisoße?“
Jetzt brachte sie mich zum Grübeln. Von einer Soße hatte in dem Angebot nichts gestanden. „Was schmeckt denn am besten? Ich tendiere ja zur Currysoße, doch die würde eher zu einer Currywurst passen.“ Dann kam mir eine Idee: „Ja genau, ich nehme auch eine Currywurst.“
Jetzt sah mich die Frau streng an. „Was wollen sie denn nun? Den Big Triple Meat Burger Second Generation oder eine Currywurst? Können sie sich vielleicht einmal entscheiden, junger Mann?“
„Ich nehme beides. Den Burger Tripp Tripp Dingsda und die Currywurst. Dazu bitte eine doppelte Portion Pommes und ordentlich Mayonnaise.“ Mittlerweile lächelte ich nicht mehr. Dazu war die Situation nun zu ernst.
„Sie meinen den Big Triple Meat Burger Second Generation?“
Ich nickte.
„Mit Ketchup, Currysoße oder Chilisoße?“
„Mit Ketchup bitte. Dafür die Currywurst mit Currysoße und die Pommes mit Mayonnaise.“
Die Frau schüttelte kurz den Kopf, dann drehte sie sich um und fischte eine Plastikschachtel von einem Regal. Als sie die kleine Box vor mich hinlegte, fragte ich mich, wie der riesige Burger, den ich auf dem Plakat gesehen hatte, in diese winzige Schachtel passen konnte. „Pommes und Currywurst führen wir nicht“, erklärte sie dann streng. „Wir sind schließlich keine Frittenbude, sondern ein Burgerrestaurant. Hier gibt es nur die Dinge, die da auf der Tafel stehen.“ Sie zeigte auf eine kleine Preistafel, die an der Wand hing. „Wollen sie auch was trinken?“
Ich nickte. „Eine Cola bitte.“
„Small, medium oder big?“ Die Frau machte nun einen genervten Eindruck auf mich.
„Medium wäre schön. Und sie haben keine Pommes Frites? Ganz sicher?“
„Wenn ich es ihnen doch sage!“ Sie wurstelte einen Becher hervor, der ihr auch prompt aus den Händen glitt und zu Boden fiel. Ächzend bückte sie sich und füllte anschließend aus einem Automaten Cola in das Gefäß. Als ihr die Flüssigkeit über die Finger lief, hielt sie erschrocken inne. Dann goss sie einen Teil in den Ausguss und stellte mir den halbvollen Becher hin. „Haben sie sonst noch einen Wunsch? Das macht dann genau sechsundzwanzig Euro!“
Da es keine Currywurst oder Fritten gab, verzichtete ich auch auf eine weitere Bestellung, sondern bemerkte lediglich: „Nein keine weiteren Wünsche. Allerdings ist der Colabecher nicht voll ...“
„Das muss so sein. Sie haben doch nur medium bestellt. Wenn sie mehr haben wollen, dann müssen sie ‚big‘ bestellen.“ Sie hielt die Hand auf und wiederholte: „Sechsundzwanzig Euro.“
Ich setzte mich mit meinem Essen an einen der Tische und stellte fest, dass der Hocker unbequem hoch war. Meinen Entschluss, hier das ‚Sonderangebot‘ in Anspruch zu nehmen, bereute ich schon längst. Und als ich in den kalten, pappigen Burger biss, der entgegen der Ankündigung auf dem Plakat ekelhaft glitschige Gurkenstücke enthielt, wusste ich, dass ich doch noch zu Curry-Erwin gehen würde.
Rechtzeitig genug, um Bingo noch ins Tierheim zu bringen, parkte ich meinen Wagen vor dem Krav Maga Studio. Irgendein Spaßvogel hatte mir im Parkhaus einen Stapel Briefe unter den Scheibenwischer geklemmt, da die Seitenfenster meines Fahrzeuges ja geschlossen waren. Auf einem der Umschläge stand in großer Schrift ‚hat der Briefkasten heute geschlossen?‘ und ich nahm mir zum X-ten Mal vor, doch ein anderes Auto zu kaufen.
Aber das musste noch warten, jetzt galt es, erst einmal den Hund loszuwerden. Mit ein wenig Glück könnte ich pünktlich zum Beginn meines Lehrgangs wieder zurück im Studio sein.
Gutgelaunt und leise vor mich hin pfeifend, betrat ich das Foyer. Jennifer stand hinter der Rezeption und der Hund würde vermutlich zu ihren Füßen irgendwo im Weg herumliegen. „Hallo Jonathan. Schon zurück?“, begrüßte mich die Blonde. „Für deinen Lehrgang ist es aber noch ein wenig zu früh.“
Ich nickte. „Das weiß ich. Ich dachte auch, nur kurz mit Bingo noch einen Spaziergang zu machen.“ Dann rief ich über die Theke hinweg: „Komm, Bingo, komm.“ Doch nichts rührte sich. „Bingo, komm, wir gehen spazieren.“ Immer noch geschah nichts. Ahnte der Hund, dass ich ihn jetzt zum Tierheim bringen wollte? Ich versuchte es mit einem Lockruf: „Bingo, put put put ...“
Jennifer lachte leise. Vermutlich hielt sie den Malinois an der Leine fest, doch ihre Hände lagen auf der Theke. Dann hatte sie ihn wohl angebunden, um mich zu ärgern.
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