Schwer seufzend beschloss ich, meinen Besuch im Chez Duedo auf morgen zu verschieben, wenn Bingo sicher im Tierheim weilte.
Eine halbe Stunde später stand der Köter vor meiner Wohnungstür und gab ein leises Bellen von sich. Als ich nachschaute, blickte er mich vorwurfsvoll an und mir war sofort klar, was das Tier wollte. Nun ja, ein letztes Mal sollte er seinen Willen bekommen. „Aber nur einmal um den Block, mein Freund“, erklärte ich. Wie immer war das Programm im Fernsehen zwar ziemlich mies, doch nach so einem harten Arbeitstag musste ich mich einfach einmal richtig entspannen. Und das konnte auch bei einer dieser unsäglichen Dokusoaps auf einem Trash-Sender sein. Dazu ein leckeres, eiskaltes Bier und eine Tüte Chips, dann war ich zufrieden.
Leider schien Bingo das anders zu sehen, denn kaum, dass wir auf den Gehweg traten, schlug er die Richtung zum Schloss Wickrath und dem kleinen Wäldchen darum herum, ein. Eine vielleicht nicht einmal ganz so eine schlechte Idee, denn dort würde ich bestimmt keine seiner Tretminen in ein Tütchen verpacken müssen. Natur zu Natur quasi. Falls er überhaupt erneut etwas fallen lassen müsste. Wie oft musste so ein Köter eigentlich kacken? Das war doch sicherlich abhängig von der gefressenen Menge. Bekam er also weniger des Hundefutters, dann hätte ich vermutlich auch keine Probleme.
Vor dem Schloss befanden sich mehrere Seen und einer der Spazierwege führte an so einem Wasser vorbei. Ich sah mich um und entdeckte keine weiteren Spaziergänger oder Menschen mit Hunden. Natürlich nicht, um diese Zeit saßen bestimmt alle vor ihrem Fernseher und schauten ‚PUP - Proleten unter Palmen‘ oder ‚DSDD - Deutschland sucht die Doofen‘. Oder so ähnlich, ich konnte mir die verqueren Titel alle nicht merken. Nur ich latschte hier mit Bingo durch den Wald ...
Nachdem ich mich noch einmal umgesehen hatte, machte ich die Hundeleine los. „So, Bingo, jetzt kannst du nach Herzensluft toben“, ermunterte ich den Hund. „Aber bleib in der Nähe, ich habe keine Lust, dich auch noch suchen zu müssen.“
Bingo sah mich an, grinste - es musste ein Grinsen sein - und hechtete schnurstracks ins Wasser. Entgeistert blickte ich ihm hinterher. In diesem Moment radelte eine ältere Frau an mir vorbei und hätte mich beinahe umgefahren. Ich stand ratlos mit der Leine in der Hand da und fragte mich, ob ich jetzt ins Wasser musste, um den Hund wieder dort heraus zu holen.
Was für ein beschissener Tag!
Sekunden später hörte ich einen Hilferuf, der nur von der Frau kommen konnte. Ich blickte den Weg entlang und sah sie neben ihrem Fahrrad auf dem Boden liegen. Ein junger Mann rannte von ihr fort und ich erkannte, dass er eine Handtasche mit sich trug. Die Tasche der Frau.
Jetzt setzte ich mich in Bewegung, um der Frau zu Hilfe zu eilen, doch im selben Moment schoss ein hellbrauner Schatten an mir vorbei. Ich steigerte mein Tempo und erkannte Bingo, der schon die Frau passiert hatte und dem jungen Mann folgte.
„Hilfe“, krächzte die Alte. „Ein Räuber. Er hat meine Tasche gestohlen.“
„Sind sie verletzt?“, fragte ich ein wenig außer Atem. „Brauchen sie einen Krankenwagen?“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Meine Tasche. Da ist meine gesamte Rente für diesen Monat drin. Ich brauche das Geld doch!“
Ich half der Frau hoch sah mich nach dem Räuber um. „Der ist mit Sicherheit über alle Berge“, meinte ich dann und hörte, wie die Alte aufschluchzte.
„Nehmen sie mein Fahrrad, schnell! Sie können den Mann vielleicht noch einholen!“
Ich blickte erneut den Weg entlang, dann schüttelte ich grinsend den Kopf. „Kommen sie“, meinte ich dann, nahm ihren Arm und wir zwei gingen gemütlich weiter, während ich mit der anderen Hand ihr Rad führte.
„Sie müssen den Dieb verfolgen. Das ist kein Grund, so dämlich zu grinsen. Wo wollen sie mich eigentlich hinführen?“
Ich konnte das Grinsen einfach nicht unterdrücken, als ich jetzt mit dem Kopf in Richtung des Geflüchteten zeigte. „Dort hin, sehen sie?“
„Ich sehe nichts, junger Mann. Auf die Entfernung kann ich kaum etwas erkennen.“
Ja, das merkte ich schon, als sie mich fast umgefahren hatte. „Na, dann lassen sie sich mal überraschen!“
Minuten später standen wir vor dem auf dem Boden liegenden Räuber. Bingo stand vor dem Mann, der seinen Kopf mit beiden Armen schützte, und knurrte in einer Art und Weise, die selbst mir Angst einjagte. Die Tasche lag zwischen dem Mann und dem Hund und ich nahm sie jetzt auf und gab sie der Frau zurück. Dann kramte ich mein Handy hervor und rief die Polizei.
„Nehmen sie den Hund weg, der ist ja gemeingefährlich!“, jammerte der junge Mann am Boden. „Hunde sind an der Leine zu führen! Ich werde sie verklagen.“
„Jetzt hör mal gut zu, mein Freund“, wies ich den Dieb zurecht. „Wenn du weiter so eine große Klappe hast, dann verabreiche ich dir eine Tracht Prügel, noch bevor die Polizei kommt.“
Trotzdem leinte ich Bingo an, denn ein Bußgeld wollte ich nun auch nicht riskieren.
Die Polizei ließ sich Zeit und die alte Dame nahm ihr Fahrrad wieder an sich und ging ein paar Schritte bis zu einer Parkbank, auf der sie sich niederließ. Ich stand mit Bingo vor dem Mann, der sich jetzt leicht zu mir umdrehte. „Das ist Freiheitsberaubung“, versuchte er erneut mich einzuschüchtern, insbesondere, als er bemerkte, dass der Hund wieder an der Leine war.
Ich schob meine Jacke ein wenig zur Seite, so dass er meine Pistole sehen konnte.
„Wie wäre es, wenn du versuchst zu flüchten. Ich verspreche auch, dass ich den Hund nicht losmache, sondern dich lediglich erschießen werde!“
Der Kerl bekam große Augen und drückte seinen Kopf wieder in den Dreck. „So ist es recht“, murmelte ich und wandte mich an Bingo. Während ich dem Tier den Kopf streichelte, sprach ich auf ihn ein: „Gut gemacht, mein Freund. Das war eine reife Leistung! Hast dir eine extra Portion Futter verdient.“ Fort war der Gedanke an verminderte Rationen.
Zwei Polizisten schlenderten heran und ich hatte den Eindruck, als wären sie auf einem gemütlichen Spaziergang. Einer von ihnen, ein dicker, schwitzender Kerl, legte dem Räuber Handschellen an, der andere befragte mich nach dem Vorfall.
„Der hat eine Waffe“, krähte der Dieb plötzlich und beide Polizisten griffen an ihre Holster.
Ich hob beschwichtigend die Arme. „Keine Sorge, alles legal. Ich bin Privatdetektiv und besitze einen Waffenschein.“ Die Männer entspannten sich.
„Und er hat den Hund frei herumlaufen lassen“, versuchte es der Kriminelle erneut. „Das ist doch verboten!“
Der dicke Polizist sah den Räuber eingehend an, dann meinte er ruhig: „Davon sehe ich nichts. Der Hund ist angeleint. Und Handtaschenraub? Ist das etwa nicht verboten? Du hältst jetzt einfach mal den Mund, verstanden?“
Der andere Polizist befragte jetzt die alte Frau, dann nahmen sie den Räuber in die Mitte und zogen gemütlich schlendernd davon. Keiner von beiden hatte noch nach meiner Waffe oder dem Waffenschein gefragt.
„Komm Bingo, gehen wir nach Hause. Du hast dir dein Essen für heute reichlich verdient und ich habe jetzt auch Hunger“, sprach ich auf den Hund ein, dann setzten wir unseren Weg durch den Park fort. Wir hatten uns jetzt beide eine gute Mahlzeit verdient.
Am nächsten Morgen saß ich hinter meinem Schreibtisch, während Bingo neben mir lag. Heute Morgen wäre ich fast auf ihn getreten, als ich aus dem Bett stieg. Der Hund hatte sich vor meinem Bett zusammengerollt ohne dass ich es merkte. Es musste in der Nacht geschehen sein.
„Du musst in deinem Körbchen schlafen“, wies ich ihn leise tadelnd zurecht. „Das gehört sich für einen Hund so. Außerdem ist es da doch viel gemütlicher, als auf dem harten Boden.“ Ich hätte das Körbchen mit dem weichen Kissen auf jeden Fall bevorzugt.
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