Lumbers Blick verriet seine Missbilligung. „Und die Geschütze der gepanzerten Mayhew reichen aus, um aus jeder ungeschützten Feldbatterie Späne zu machen.“
„Ich bete zum Allmächtigen, dass Sie Recht behalten, Mister Commodore“, knurrte der Kapitän. „Wir sind übrigens nicht mehr weit von Dillings entfernt. Noch zwei Flussbiegungen und wir haben es in Sicht.“
Die kleine Louisville erreichte die Erste der Biegungen. Ihre qualmenden Schornsteine verschwanden allmählich hinter einer vorspringenden und dicht bewaldeten Landzunge.
Es ging auf den Mittag eines schönen Sommertages zu. Der Commodore nahm sein Fernglas und suchte die Seiten des Flusses ab. In der Nähe der Landzunge gab es eine kleine Sandbank. Lumbers beobachtete zwei Alligatoren, die dort faul in der Sonne lagen. Einer von ihnen schien nun zu gähnen und der Offizier registrierte durch sein gutes deutsches Glas, wie Respekteinflößend das Gebiss der Echse war. Mancher Flussschiffer oder Angler war solchen Zähnen schon zum Opfer gefallen und Passagiere machten sich gelegentlich einen Spaß daraus, ihre Treffsicherheit an den Panzertieren zu üben.
„Wenigstens ist die kleine Louis schnell und leicht zu manövrieren“, meinte der Steuermann. „Das wird ihr helfen, falls sie von den Rebellen unter Beschuss genommen wird.“
Im Gegensatz zu den anderen Raddampfern der Flottille, verfügte die Louisville nicht über ein großes Heckrad, sondern zwei seitliche Antriebsräder. Es gab immer wieder Debatten unter den Flussschiffern, welche Antriebsart wohl besser wäre, denn beide Varianten hatten ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil der seitlichen Räder war, dass sie separat gesteuert werden und sogar entgegengesetzt eingekuppelt werden konnten. Das machte ein Schiff so beweglich, dass es sich fast auf der Stelle drehen konnte. Es benötigte auch nicht unbedingt ein Ruderblatt zum Steuern, welches bei den Heckraddampfern stets ein Schwachpunkt war. Als Nachteil boten die ausladenden seitlichen Räder allerdings eine große Angriffsfläche für das viele Treibholz und die oft unsichtbaren Baumstämme, welche unter Wasser eine tödliche Gefahr bildeten. Das Rad eines Heckraddampfers war dagegen besser geschützt, half allerdings nicht bei der Steuerung. Diese gelang beim Heckantrieb nur mit Hilfe von einem oder (meist) zwei Ruderblättern, die unter dem flachen Rumpf und unmittelbar vor dem Heckrad angebracht waren. Da sie Strömungswiderstand bieten mussten, lagen sie in der Regel ungeschützt unter Wasser und konnten ebenfalls leicht durch Unterwasserhindernisse beschädigt oder sogar zerstört werden. Bei den neuen Kanonenbooten lagen diese Ruderblätter in einer Art Hohlkehle des Unterwasserschiffes. Dort waren sie relativ gut geschützt, ihre Wirksamkeit galt jedoch als reduziert.
„Signal von der Mayhew “, kommentierte der Steuermann.
Commodore Isaac Lumbers brauchte niemanden, der die Bedeutung der Signale interpretierte. Jeder gute Seemann kannte sie. „Meldung von der Louisville “, murmelte er. „Ziel in Sicht. Keine Rebellenaktivitäten.“ Er lächelte erleichtert. „Wie ich es mir bereits gedacht habe. Wir überraschen die Rebellen.“
„Oder sie halten sich versteckt und lauern darauf, dass wir ihnen vor die Kanonen fahren“, erwiderte der Kapitän bissig.
„Verdammt, Captain“, fuhr Lumbers auf, „fehlt es Ihnen an Mut?“
„Ich bin verantwortlich für mein Schiff und meine Besatzung“, kam die grimmige Erwiderung. „Und im Übrigen auch für die Passagiere an Bord.“
„Im Augenblick trage ich die Verantwortung, Captain, denn Ihre Nentucket ist nun ein, äh, Hilfsschiff der United States Navy und was Sie als Passagiere bezeichnen, das sind hartgesottene Infanteristen der Union. Bringen Sie uns nach Dillings, Captain, denn das ist Ihre Aufgabe. Für alles Andere bin ich zuständig.“
Es war Krieg und Lumbers hatte Recht: Die U.S.-Navy hatte die Nentucket beschlagnahmt und konnte sie nach Belieben einsetzen. Ihr Besitzer erhielt gute Unions-Dollars für ihre Benutzung und man würde ihm wohl auch ihren Verlust ersetzen. Aber für den Kapitän zählten, wenigstens in diesem Falle, nicht die Dollars. So sog er mit kaum verhohlenem Zorn an seiner Pfeife und starrte, neben dem Steuermann stehend und die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt, in grimmigem Schweigen auf den Fluss hinaus.
Sie alle lauschten aufmerksam, ob hinter der Flussbiegung Kanonendonner ertönte, doch bis auf das Stampfen der Maschinen, das Rauschen der Schaufelräder und des Wassers sowie das Kreischen zahlreicher Vögel, blieb es ruhig.
An der U.S.S. Mayhew , die rund fünfhundert Meter voraus fuhr, war Bewegung zu sehen. Die Schutzblenden an den seitlichen Stückpforten wurden geöffnet. Aufgrund der Größe der Geschütze und der Breite des Schiffes ragten die Läufe konstant über dessen Seite hinaus. Sie wurden nicht, wie bei Seeschiffen üblich, vollständig in den Rumpf eingezogen. Es gab keine vollständige Abdeckung der Waffenöffnungen, wie sie auf See, zum Schutz gegen das Eindringen von Wasser bei hohem Wellengang, erforderlich waren. Bei der Mayhew bestand der Pfortendeckel aus zwei Teilen, die einen Ausschnitt aufweisen, durch welche der Lauf hinaus ragte. Zum Gefecht klappten die Lukenteile nach oben und unten oder zu den Seiten und gaben das Geschütz damit frei, damit man es seitlich leichter korrigieren konnte. Genau dies geschah nun. Der Kapitän des Kanonenbootes machte Gefechtsklar.
An Bord der Nentucket waren Befehle und das Getrappel von Füßen zu vernehmen. Auch die Infanteristen wurden nun kampfbereit gemacht. Dicht an dicht gedrängt, traten sie auf die umlaufenden Gänge der Decks. Jene, die das konföderierte Ufer im Blickfeld hatten, umklammerten ihre Waffen ein wenig fester. Man war zuversichtlich, auch wenn man bei den Konföderierten immer wieder mit Überraschungen rechnen musste.
Auf der nachfolgenden Missouri Lady wurden die gleichen Vorbereitungen getroffen.
Der kleine Seitenraddampfer Louisville umrundete nun die letzte Biegung des Flusses, die vor Dillings lag.
„Ruder Backbord“, befahl ihr Kapitän. „Wir müssen auf die Fahrrinne achten.“
„Aye“, bestätigte der Steuermann wortkarg.
Sie beide kannten diesen Teil des Mississippi und seine gefährlichen Untiefen. Vor Dillings lag eine große Sandbank, die den Fluss teilte. Die befahrbare Rinne lag, flussabwärts gesehen, links und nötigte das Schiff, näher an das dortige Ufer zu fahren. Aufgrund ihres niedrigen Tiefgangs hätte der kleine Dampfer auch die flachere westliche Fahrrinne nutzen können, doch sein Kapitän dachte an die größeren Schiffe, die ihm folgten.
Voraus, am östlichen Ufer, lagen wogende Getreidefelder, dahinter waren die Häuser der kleinen Stadt Dillings zu erkennen. Mit knapp dreitausend Einwohnern war sie weder besonders groß, noch bislang von besonderer Bedeutung. Sie lag in einem Bereich, in dem sich der Mississippi auf bis zu drei Kilometer erweiterte und wo einer der Nebenflüsse in den mächtigen Strom mündete. Eine solide Brücke überspannte den Nebenfluss und eine der Überlandstraßen führte am östlichen Ufer entlang. Dort war inzwischen der Bau einer Eisenbahnlinie geplant. Zum westlichen Ufer und der dortigen Straße existierte eine Fährverbindung, deren Ponton durch Muskelkraft betrieben wurde. Eine Schinderei, die durch zwei Dutzend Sklaven bewältigt wurde.
Die seenartige Erweiterung bei Dillings wurde abermals durch eine Sandbank eingeengt, die ungefähr in der Mitte lag.
Die Stadt bestand aus einigen hundert Häusern, überwiegend aus Holz erbaut. Nur im Bereich des kleinen Hafens existierten ein paar solide Steinbauten, die vornehmlich als Lager dienten. Die kleine Stadt war der Umschlagplatz für Waren in das Hinterland und für Holz, Melasse und Baumwolle, die von hier verschifft wurden.
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