Hübsch und intelligent! José nickte. „Eine schlimme Sache!“
Sarah nickte ebenfalls. „Ja, das war schon außergewöhnlich! Liebe ist ein wundervolles Gefühl und eine mächtige Waffe. Hass aber leider auch!“
Wohl wahr! dachte José. Aber ein schlechtes Thema. „Dann ist es ja wirklich schade, dass ich Witwer bin!“
„Wieso?“
José lächelte. „Weil ich dann niemals ihre Dienste benötige…und sie damit sicherlich nicht wiedersehen werde!“ Eigentlich etwas zu gewagt! Doch José spürte in Sarahs Nähe ein wunderbares Kribbeln und eine verblüffende Zufriedenheit und Ruhe. Ihr Aussehen und ihre körperlichen Reize waren dabei nur zweitrangig.
„Wer sagt das?“ fragte Sarah mit sanfter Stimme und blickte ihn wieder direkt an.
„Ich weiß nicht?“ José war etwas verblüfft, dass seine Worte offensichtlich nicht abgeschmettert oder übergangen wurden. „Die Vorsehung?“
„So etwas wie Vorsehung gibt es nicht!“ erwiderte Sarah. „Jeder ist seines Glückes eigener Schmied!“ Sie wartete, bis José sie ansah, doch bevor sie noch etwas hinzufügen konnte, erkannte sie McNally in der Menge, der di Maria mit großen Augen ansah und dann auf seine Rolex deutete. Sarah war etwas überrascht und schaute José fragend an, doch dieser lächelte nur und nickte ansonsten ihrem Gastgeber zu.
„Entschuldigen sie, aber ich fürchte, ich muss mich jetzt von ihnen verabschieden!“ Di Maria stellte seinen Scotch auf die Theke und wollte sich gerade davon abdrücken, als er Sarahs rechte Hand auf seinem Unterarm spürte.
„Wenn sie mich also wiedersehen möchten,…!“ führte sie ihre eben begonnene Rede weiter aus. „...sollten sie mich vielleicht einfach zum Essen einladen!? Sagen wir in der nächsten Woche?“ Ein breites Lächeln erschien auf ihren Lippen. „ Ich würde mich freuen!“ Sie reichte ihm ihre Karte.
Dieses Mal schaute José ihr für einen längeren Moment in ihre funkelnden, blauen Augen, während er ihre Karte entgegennahm. „Sehr gern!“ sagte er. „Sie werden von mir hören!“ Er steckte ihre Karte in seine Brusttasche, nahm dann ihre rechte Hand und gab ihr einen Kuss darauf, was Sarah erst irritierte, dann aber sichtlich erfreute.
José nickte ihr nochmals zu, dann folgte er McNally, der zu einer großen zweiflügligen Eichentür an der Südseite des Raumes ging, vor dem bereits zwei seiner muskelbepackten Mitarbeiter standen.
*
Außer McNally und José hatten hier nur noch die anderen acht älteren Männer, die die gleiche Leidenschaft besaßen, Zutritt, sowie Jason Patrick.
Als alle eingetreten waren, wurde die Tür hinter ihnen geschlossen und Patrick verriegelte sie sogleich.
Sie befanden sich jetzt in der Bibliothek. Sie war kaum halb so groß, wie der Wohnraum und nahezu komplett mit Eichenholz vertäfelt. Hier und da waren deckenhohe Bücherregale zu erkennen. Es gab drei Sitzgruppen aus dickem, weichem, dunklem Leder, der Boden war mit einem edlen, dunkelroten Teppich verlegt.
Die Klimaanlage sorgte für eine gute Belüftung, die auch nötig war, weil vielfach geraucht wurde. José war diesem Laster jedoch nie verfallen und wahrlich froh darüber, dass er trotz allem vernünftig atmen konnte.
Auf den Tischen bei den Sitzgruppen standen neun Laptops. Außer McNally nahm jeder der Männer nach und nach hinter einem von ihnen Platz. Während sie die Geräte hochfuhren, trat Patrick an die westliche Wand und öffnete dort großflächig die Vertäfelung. Darunter kam ein hochmodernes Multimedia-Entertainmentsystem zum Vorschein, dass im Wesentlichen von einem 90-Zoll-LED-Bildschirm dominiert wurde. An beiden Seiten gab es je vier kleinere 30-Zoll-Bildschirme übereinander. Drei weitere davon waren über dem Hauptschirm nebeneinander angebracht.
Im Moment waren alle Geräte bis auf einen Bildschirmschoner aus Kreisen, der unablässig seine Form und Farbe veränderte während er hin- und her schwebte, noch dunkel.
José achtete darauf, dass er möglichst weit weg von Mario Spinelli einen Platz fand. Er konnte den kleinen, rundlichen Italiener mit der Halbglatze und dem buschigen Schnauzbart zwar eigentlich gut leiden, aber nicht, wenn sie ein Rennen gegeneinander fuhren. Spinelli schien keinen anderen Konkurrenten zu kennen, als di Maria. Beinahe schien es ihm gleichgültig, wer gewann, Hauptsache es war nicht José. Da es aber meist immer eine spannende Sache mit einer späten Entscheidung war, geriet Spinelli oft genug an den Rand des Nervenzusammenbruchs, der umso ekstatischer ausfiel, je näher er José war. Das aber wollte di Maria nicht, doch nicht etwa, um seinen Freund zu schonen – schließlich waren sie ja alle hier, weil sie diesen Nervenkitzel so sehr mochten – sondern seine eigenen Nerven.
José setzte sich daher zur äußersten Rechten in unmittelbare Nähe zur Fensterfront und zu seiner Freude waren die beiden Plätze links von ihm schnell anderweitig besetzt.
Als Spinelli sich setzen wollte, blieb ihm nur noch der dritte Platz von links. Die Erkenntnis, dass di Maria weitab von ihm saß, bedachte er mit einem säuerlichen Blick und einem tiefen Grunzen.
José musste sich ein Lächeln darüber verkneifen, doch dann konzentrierte er sich auf das, was vor ihm lag.
Schnell legte er sich das neben dem Laptop liegende Headset an und wartete darauf, dass die Verbindung zu seinem Team hergestellt wurde. Als der Bildschirm schließlich aufflammte, zeigte er den Innenraum eines Fahrzeugs. Die Kamera war oberhalb des Navigationsdisplays im Cockpit eingebaut worden und blickte daher von unten herauf. Neben dem hellen Dachhimmel waren beide Vordersitze aus weichem violettem Leder zu erkennen. Durch die kleine Heckscheibe konnte man den Nachthimmel sehen und auch mehrere undefinierbare Lichtquellen ausmachen.
José zog die Augenbrauen zusammen. „Frank?“ Eigentlich hätte er jetzt zwei Männer sehen müssen. „Timothy?“ Warum waren sie nicht da?
Doch noch bevor er sich weiter Gedanken darüber machen konnte, schoben sich die beiden Angesprochenen fast zeitgleich in das Bild. Timothy Dixon nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Er hatte blonde, schulterlange, gelockte Haare, die er nicht zu bändigen vermochte, denn er sah ziemlich zerzaust damit aus. Seine blauen Augen leuchteten klar und er schien ein Lächeln auf den Lippen zu haben. Er trug ein weißes T-Shirt und eine hellgraue Kapuzenjacke darüber. Timothy war vierundzwanzig, wirkte aber etwas jünger. Er war Student für Sportmedizin an der hiesigen Universität. Er liebte alles, was mit körperlicher Ertüchtigung zu tun hatte, war absolut durchtrainiert und lebte nach einem strengen Ernährungsplan. Er hatte sogar schon an zwei Marathonläufen teilgenommen und war dabei ziemlich erfolgreich gewesen.
Und es war genau dies einer der Gründe, warum er jetzt dort in dem Wagen saß. Timothy besaß eine irrsinnige Ausdauer, die Lunge einer Hyäne (so ziemlich die ausdauerndsten Tiere, die es gibt) und konnte dabei phasenweise noch immer so stark beschleunigen, dass er durchaus an Sprintrennen hätte teilnehmen können.
Doch Timothys zweite Leidenschaft war das Parkour laufen. José war fasziniert gewesen, als er dem Jungen das erste Mal dabei zugesehen hatte, wie er ohne das geringste Hilfsmittel, nur mit der Kraft seiner Arme und Beine in einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf das Dach eines zwölfstöckigen Gebäudes geklettert war und dabei die Außenfassade, Balkone, Regenwasserfallrohre und die dicht stehenden Nachbargebäude für sich genutzt hatte.
Am Ende war di Maria sicher, dass Frank Recht gehabt hatte: Timothy war sein perfekter Partner. Auch in Sachen Verschwiegenheit gab es keine Probleme. Timothy hatte als zwanzigjähriger ein achtzehnjähriges Mädchen geschwängert. Eigentlich wollten sie heiraten, deshalb wurde das Kind ausgetragen. Doch aus der trauten Dreisamkeit wurde nichts, sie verließ ihn. Da Timothy sich jedoch auch weiterhin für sie verantwortlich fühlte, gab er ihnen alles Geld, was er entbehren konnte und das war, seitdem er vor knapp zwei Jahren angefangen hatte, zusammen mit Frank für José Rennen zu fahren, deutlich mehr geworden. Frank wusste, dass Timothy seine Tochter, aber auch seine Ex-Freundin noch immer abgöttisch liebte und die Hoffnung auf ein verspätetes Happy-End nie aufgeben würde. Also brauchte er das Geld aus den Rennen und José war sich dadurch seiner Fähigkeiten und seiner Loyalität sicher.
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