Als sie ihren Großvater darum bat, in sein Geschäft einsteigen zu dürfen, war er zunächst überrascht, doch schon nach einem Jahr wusste er, dass Micaela all das verkörperte, was er sich für seinen Nachfolger erhofft hatte. Einzig der Gedanke seine Firma an eine Frau weiterzugeben, machte ihm anfangs zu schaffen. Doch Micaela selbst war es, die ihn immer wieder aufs Neue überraschte, vor allem aber überzeugte.
Vor nunmehr vier Monaten hatte er ihr dann offiziell die Leitung seiner Firma übertragen. Natürlich war er noch immer sehr oft vor Ort, der Übergang sollte langsam und kontrolliert ablaufen. Micaela sah das genauso und war sowohl dankbar, als auch fordernd, was seine Unterstützung anging.
Mittlerweile war José vollkommen sicher, dass seine Enkeltochter sein Lebenswerk so weiterführen würde, wie er es sich immer gewünscht hatte und seiner Familie damit weiterhin ein wundervolles Leben garantierte.
Da Margaret nicht mehr lebte, hatte er sein Vorhaben, die Welt zu bereisen, allerdings weitgehend aufgegeben. Allein sah er darin keinen besonderen Sinn.
Stattdessen widmete er sich intensiv seinen beiden lebenslangen Leidenschaften: Schnelle Autos und dem Wettspiel!
Der Zufall wollte es, dass er in einigen seiner langjährigen Geschäftspartner Gleichgesinnte fand. Und irgendwann stellten sie Überlegungen an, wie man beides miteinander verknüpfen konnte.
Das Ergebnis konnte sich wahrlich sehen lassen und war der Grund, warum José zu so später Stunde auf dem Weg zu 8 00 Mccain Bay war.
*
Der Mercedes rollte in die Tiefgarage und der Fahrer fand einen Parkplatz in der Nähe der Aufzüge. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, stieg er aus dem Wagen und blickte sich zunächst sorgfältig um. Es war zwar nicht anzunehmen, dass unerwünschte Gäste erscheinen würden – schon während ihrer Fahrt hierher hatte er aufmerksam beobachtet, ob sie womöglich verfolgt wurden – doch stets war nur der Wachsame erfolgreich.
Aber der Hüne konnte nichts Ungewöhnliches ausmachen, sodass er die hintere Tür auf der Fahrerseite öffnete und seinen Arbeitgeber aussteigen ließ.
José nickte ihm mit einem leichten Lächeln zu. „Danke Marco!“
Der Fahrer nickte wortlos zurück, schloss die Tür wieder und verriegelte das Fahrzeug. Dann ging er voraus zum Fahrstuhl.
José folgte ihm dichtauf. Dabei ließ er seinen Blick durch die Tiefgarage schweifen. Zufrieden und mit einem weiteren leichten Lächeln registrierte er einige bekannte andere Fahrzeuge seiner Freunde. Wie es schien, war er heute wohl der letzte Gast.
Als sie den Fahrstuhl erreicht hatten, drückte Marco den Rufknopf. Wenige Sekunden später öffneten sich die Türen mit einem Gongton. José und sein Begleiter traten ein, die Kabine schloss sich wieder, Marco drückte den Knopf für die oberste Etage und der Aufzug setzte sich sanft, aber schnell in Bewegung.
Als wenig später ein zweiter Gong die Ankunft im Penthouse verkündete, verspürte José sofort eine gewisse Nervosität, die jedoch nicht unangenehm war, sondern im Gegenteil die Vorfreude auf das bevorstehende Ereignis darstellte.
Dennoch bewegte er sich zunächst nicht. Marco hatte inzwischen einen halben Schritt schräg nach vorn gemacht und sich somit direkt vor seinen Arbeitgeber gestellt. Als sich die Türen schließlich öffneten und den Blick in den von Spiegeln und Glasflächen dominierten Vorraum freigaben, trat Marco aus der Kabine. Während er an der zweiflügeligen, massiven Eichentür zwei von Mister McNallys Angestellten, so wie er in teure, schwarze Anzüge mit Fliege gekleidet und ebensolche muskelbepackte Hünen, erkannte, die sie mit ausdruckslosen, aber wachsamen Blicken musterten, trat ein dritter Mann direkt vor ihn. Er war ein halben Kopf kleiner als Marco, schlank und mit deutlich weniger Muskelmasse. Er hatte kurzgeschnittene, schwarze Haare und trug einen silbergrauen Anzug mit passender Weste und Krawatte. Seine tiefbraunen Augen blickten klar und freundlich hinter einer ziemlich kleinen Brille mit kreisrunden Gläsern. Marco erkannte ihn als Jason Patrick, Mister McNallys persönlichen Assistenten, woraufhin er sich entspannte, denn Jason war, im Gegensatz zu einigen anderen Assistenten, auf die sie gleich treffen würden, ein ruhiger und sympathischer Zeitgenosse.
„Marco!“ begrüßte ihn Patrick dann auch mit einem Nicken und einem Lächeln.
„Jason!“ Marco reichte ihm die Hand und drückte sie kurz.
Dann trat Patrick an ihm vorbei und begrüßte mit einem deutlich breiteren Lächeln José.
Der Alte kam ihm entgegen und erwiderte den Gruß. „Hallo Jason! Wie geht es ihrer Tochter? Ist alles wieder in Ordnung?“
Jason war sichtlich erfreut, dass sich di Maria noch daran erinnerte, dass seine Tochter eines Morgens einfach ohnmächtig umgefallen war und mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden musste. „Ja, sie ist wieder gesund! Danke der Nachfrage!“
„Was war es denn?“
„Sie hat eine Erkältung verschleppt. Dadurch sackte ihr Kreislauf ab, was die Bewusstlosigkeit verursachte. Die Ärzte im Krankenhaus haben das aber gleich erkannt. Nach einigen Untersuchungen, die glücklicherweise keine bleibenden Schäden zeigten, bekam sie eine entsprechende Behandlung und Bettruhe verordnet. Jetzt ist sie wieder so wild, wie eh und je!“
José lächelte breit. „Das freut mich! Ist mein Geschenk angekommen?“
„Ja, oh ja!“ bestätigte Patrick. „Das Stoffschaf ist wirklich total niedlich und schon jetzt ihr bester Freund. Und die Freikarten für den Zoo werden wir nächstes Wochenende nutzen!“
José nickte zufrieden. „Grüßen sie sie von mir! Und auch ihre Frau!“
„Danke, das mache ich gern, obwohl sie damit rechnen müssen, dass meine Tochter das selbst tun wird!“
„Oh!“ Jetzt war José doch überrascht, aber sichtlich erfreut. „Aber liebend gern! Ich freue mich darauf!“ Er lachte auf und ließ sich dann von Patrick an den beiden Hünen vorbei durch die Eingangstür in das Penthouse führen.
*
Ein kurzer, breiter Flur, der linkerhand in einen längeren, schmalen Gang mit einigen abgehenden Türen führte, sowie rechterhand in eine große, offene Küche, öffnete sich nach wenigen Schritten zum mächtigen Wohnraum, der sicherlich locker zweihundert Quadratmeter überspannte. An der Stirnseite gab es eine Fensterfront mit zwei großen Schiebetürelementen. Eines davon war geöffnet und gab den Blick auf die dahinterliegende Terrasse, sowie auf die Mccain Bay im Osten frei.
Der weitere Raum war gefüllt mit ausladenden Sitzgruppen, Vitrinen, in denen diverse funkelnde, aber auch alt anmutende Kunstwerke verstaut waren, sowie einer gut gefüllten Bar mit Hockern davor, die sicherlich einigen Lokalen zur Ehre gereicht hätte.
An der südlichen Wand konnte José einige wundervolle Bilder bewundern, die, wie er wusste von McNallys Lieblingsmalerin stammten: Seiner eigenen Tochter. José war jedes Mal fasziniert von den überwiegend abstrakten, aber dennoch sehr farbgewaltigen Fantasien dieser Frau. José fand, dass sie echtes Talent hatte, wenngleich aber noch immer nicht den ihr gebührenden Erfolg.
Aus unsichtbaren Lautsprechern säuselte leise Dean Martin, begleitet von einem Orchester, eines seiner wunderbaren Lieder, durch die geöffneten Türen wehte eine leichte, angenehm laue Brise ins Innere.
Letztlich gab es in dem Raum noch rund vierzig weitere Personen. Neun von ihnen waren wie José ältere Männer. Das waren seine Freunde, die mit ihm seine Leidenschaften teilten. Sie alle waren reich, so wie er und mittlerweile fast ausnahmslos als Köpfe ihrer Unternehmungen ausgestiegen. Viele waren ebenfalls Witwer, aber doch nicht alle, wenngleich ihre Frauen jetzt jedoch hier nicht anwesend waren.
Ein Dutzend weitere Männer waren deutlich jünger, so wie Marco zwischen dreißig und fünfzig. Sie waren alle die Assistenten und/oder Bodyguards der Älteren, einige mehr gehörten dem heutigen Gastgeber Arthur McNally.
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