Doch drei Jahre, nachdem die jungen Leute in ihr neues Heim eingezogen waren, kam André zur Welt und Martina war mit zwei-und-dreißig zwar eine späte Erstgebärende, aber Luise war damals auch schon dreißig gewesen und heute war die Medizin ja schon viel weiter. Die Mutterschaft bekam Martina ausgesprochen gut, denn sie musste nicht mehr täglich in den anstrengenden Kindergarten und sich mit den unerzogenen Rotzgören anderer Leute herumärgern, sondern war ganz und gar Herrin der Lage. Sie blühte regelrecht auf, bekam ein frische Gesichtsfarbe und einen entspannten Zug um den Mund. Sie ging täglich spazieren, verlor ein paar ihrer überflüssigen Pfunde, strickte und häkelte die kompliziertesten, buntesten und phantasievollsten Babykleider für ihren Sohn und besuchte sogar jeden zweiten Dienstag einen Kreis für junge Mütter in Werther, während Manfred bei dem Kind blieb.
Im Sommer 1987 starb Ludwig plötzlich und unerwartet im Alter von 71 Jahren bei der Gartenarbeit. Der Hausarzt zerstreute Luises Befürchtungen, er habe sich zu Tode geraucht. Seine allgemein schlechte Konstitution sei eine Spätfolge der fünfjährigen Kriegsgefangenschaft gewesen. Auch wenn sie ihren Mann immer behandelt hatte wie einen Alltagsgegenstand, der selbstverständlich für den täglichen Gebrauch zur Verfügung stand, war sie doch tief erschüttert über den Verlust des Lebenspartners, und sie radelte täglich zum Friedhof, um das Grab ihres Gatten zu pflegen und so wieder gut zu machen, was sie an ihm versäumt hatte.
Ein Jahr später wurde Larissa geboren und Martina war noch immer hochzufrieden. Luise wurde kaum mit der Beaufsichtigung der Enkelkinder betraut, weil Martina befürchtete, sie könnte mit ihren antiquierten Erziehungsmethoden Schaden anrichten. Im Gegensatz zu ihrer Mutter achtete sie darauf, dass ihre Kinder sich möglichst frei entwickeln konnten, selbständig lernten, dass man, wenn man müde wurde, besser ins Bett ging, sich etwas anzog, wenn einem kalt war und bei den Mahlzeiten so lange aß, bis man satt war. Doch als Larissa mit drei Jahren ebenfalls in den Kindergarten ging, fand sie, dass es eigentlich an der Zeit sei, wieder arbeiten zu gegen. Nicht, dass sie große Lust dazu gehabt hätte, aber alle anderen Mütter taten das auch und sie war die scheelen Blicke leid, mit denen die besonders Flotten sie jedes Mal betrachteten, wenn sie erklärte, dass sie ganz und gar für ihre Kinder da war. Sie sprach ihren Mann an: „Du Manfred, ich würde gern wieder anfangen zu arbeiten.“
„Wieso?“
„Na, alle anderen tun das schließlich auch.“
„Das ist doch kein Grund.“
„Das Geld können wir auch ganz gut gebrauchen. Dann könnten wir auch mal wieder in Urlaub fahren.“
„So schlecht verdiene ich nicht. Und Urlaub ist mit kleinen Kindern sowieso keine Entspannung. Ist doch alles gut, so wie es ist.“
„Ja, aber wenn ich zu lange aus meinem Beruf raus bin, kann ich irgendwann gar nicht mehr darin arbeiten.“
„Mit Kindern spielen?! Das kriegen doch sogar Ungelernte hin.“
„Du, wir spielen da nicht nur einfach mit Kindern. Stell dir das mal nicht so simpel vor!“
„Ja, aber wie soll das gehen? Wer bringt die beiden morgens hin? Wer holt sie mittags ab? Und wer bleibt da, wenn sie krank sind?“
„Ich könnte ja erst mit ein paar Stunden einsteigen, so ein oder zwei Tage die Woche. Vielleicht kann ich ein bisschen später anfangen, und du würdest dann einmal die Woche auf deine Mittagspause verzichten und die beiden abholen.“
„Ach, und wenn eins krank ist?“
„Dann lassen wir uns abwechselnd krank schreiben.“
„Das kannst du vergessen.“, sagte Manfred entschieden. „Wenn ich mit so was anfange, nimmt mich im Rathaus bald keiner mehr ernst. Erst laden einen alle aus, dann kriegt man die miesesten Aufträge zugeschustert und am Ende finden sie irgendeinen Grund, einen an die Luft zu setzen. Wenn du unbedingt arbeiten musst, frag doch deine Mutter. Schließlich hat dein Vater damals was von Generationenvertrag gefaselt. Dann soll sie ihr Versprechen jetzt mal einhalten.“
Aber Luise hatte sich entschieden geweigert, als verlässliches Back-up zur Verfügung zu stehen, befürchtete sie doch, wenn sie ihrer Tochter erst den kleinen Finger reichte, bald die Enkelkinder in Vollzeit an der Backe zu haben. Sie war bei der Versorgung ihrer Tochter auch nicht entlastet worden, jetzt sollte die sich gefälligst selbst um ihre Kinder kümmern. Luise brauchte ihre Zeit für die Frauenhilfe, die Grabpflege, ihren Job, mit dem sie weiterhin ihre Witwenrente aufbesserte und sich über das aktuelle Geschehen im Dorf auf dem Laufenden hielt, ihre zahlreichen Sozialkontakte, ihre Fernsehsendungen und den eigenen tadellosen Haushalt. Stress hatte sie in ihrem Leben wirklich genug gehabt und Martina hatte es überhaupt nicht nötig zu arbeiten. Sollte sie doch ehrenamtlich im Kindergarten in Häger mit anfassen, wenn sie beruflich auf dem Laufenden bleiben wollte.
Luise sorgte für sich, im einsetzenden Alter mehr denn je, und es überfiel sie nicht einmal die Spur eines schlechten Gewissens. Martina fügte sich in ihr Schicksal, schluckte den Ärger hinunter und gab sich Mühe, ihn stetig hinwegzulächeln. So wie Luise es jetzt tat, damit die schmerzlichen Erinnerungen ihr nicht den Schlaf raubten.
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