„Stell dir vor, ich hab schon wieder verschlafen.“
„Hätte Martina dich nicht wecken können?“
„Sie meinte, ich hätte so laut geschnarcht, dass sie dachte, ich wäre zu erschöpft für die Frauenhilfe.“
„Ach was. Die hatte nur wieder keine Lust, dich da hinzubringen.“
„Da hätte ich doch allein hingehen können.“
„Na na, du warst ja nun ziemlich lange ziemlich krank.“
„Ach ja, aber das ist ja nun zum Glück überstanden. Warum ich anrufe, was gab's denn heute bei der Frauenhilfe?“
„Die Pastorin aus Künsebeck war da und hat einen Vortrag gehalten über Krankenhäuser in Tansania für züchisch Kranke.“
Das Wort „psychisch“ konnte Hildegard wie die meisten Angehörigen ihrer Generation nicht korrekt aussprechen.
„Ach, die Droste?“
„Nein. Die Droste ist doch in Brockhagen. Die Wiesemann.“
„Ach, die mit dem einen Pastor in Halle verheiratet ist?“
„Ja genau. Die hat da in Künsebeck aber nur ein paar Stunden.“
„Ist ja auch richtig so. So ein Pastor verdient ja nun wirklich ordentlich und einer muss schließlich bei den Kindern bleiben.“
„Ach, die gehen doch schon lange zur Schule.“
„Ja und? Irgendwann kommen die auch nach Hause, wollen was essen und müssen Schularbeiten machen. Da muss auch jemand sein, der die abends ins Bett schickt. Wenn dann beide Eltern in der Gemeinde rumpuzzlen, wie soll das gehen?“
„Ja, aber sie hat ja nur ein paar Stunden, Luise.“
„Ja, das ist wenigstens vernünftig. - Welchen Kuchen gab es denn?“
„Zitronenrolle.“
„Nur für die Diabetiker oder für alle?“
„Nein, heute für alle.“
„Na, dann habe ich ja da wenigstens nichts verpasst. Das ist für mich kein Kuchen, das ist parfümierter Nachtisch. Wer hat die denn bestellt?“
„Anna Mauritz.“
„Ja, das will ich wohl glauben. Die hat ja auch schon ewig last mit ihren Zähnen. Die soll sich ihre paar alten Stummel raus reißen lassen. Ich jedenfalls bin mit der Haftcreme ganz zufrieden.“
„Sie ist wohl noch nicht so weit.“
„Gab es sonst was Neues?“
„Tiedemanns Bianca hat wohl was Kleines unterm Kittel.“
„Ich habe es gesagt! Die verliert ihre Unschuld noch vor ihren Babyspeck-Pausbacken. Wie alt ist die jetzt eigentlich?“
„Siebzehn“
„Oh Gott! Und der Vater?“
„Kuglers Otto sein Enkel. Marvin heißt der.“
„Martin?“
„Nein, Mar-vin. Mit v, aber wie in Vase.“
„Verrückter Name.“
“Das sag auch mal. Verrückter Name und verrückter Kerl. Ist auch gerade mal achtzehn. Und so, wie der immer mit Ottos Mercedes durch die Straßen jagt, muss Bianca zittern, ob sie überhaupt noch vor der Niederkunft unter die Haube kommt.“
„Wollen die denn heiraten?“
„Das will ich doch wohl hoffen!“
„Kann man heutzutage nicht wissen.“
„Auch wieder wahr.“
„Wie geht es eigentlich Hagemeyers Gerd?“
„Ach, der liegt ganz schlecht. Den haben sie am Montag wieder ins Krankenhaus gebracht. Marianne ist fix und fertig.“
„War sie denn bei der Frauenhilfe?“
„Nein. Da hat sie keinen Sinn für. Beckers Mathilde hat mir das erzählt.“
„Geht's der denn wieder besser?“
„Ja, seit sie die Spritzen kriegt, sagt sie, kann sie es wohl aushalten.“
„Na, das ist doch mal eine gute Nachricht. Und du? Wie geht’s deinen Knochen?“
Ach, man beißt sich so durch. Du, Luise, aber nächstes Mal hole ich dich zur Frauenhilfe ab.“
„Ach was. Kannst mich ja anrufen.“
„Hast du denn Telefon am Bett?“
„Nein. Nächstes Mal mache ich meinen Mittagsschlaf auf'm Sofa. Grüß Renate mal schön und bis bald.“
„Ja, mach ich, Luise. Halt die Ohren steif.“
Luise merkte, dass sie zur Toilette musste und setzte sich so schnell sie konnte in Bewegung, um Martina keinen Anlass zu geben, ihr Windeln aufzuschwatzen. Sie saß gerade glücklich, dass sie es rechtzeitig geschafft hatte, da klingelte das Telefon. „Wie ärgerlich“, dachte Luise, „jetzt verpasse ich einen Anruf und weiß noch nicht einmal, wer mich erreichen will.“
Martina hatte das Klingeln gehört und ging an den Apparat: „Tappe?“
„Ach, Martina, bist du das?“
„Ja. Und mit wem spreche ich?“
„Christiane Kleinebekel. Ich wollte eigentlich mit deiner Mutter sprechen.“
„Die ist gerade für alte Weiber.“
„Wie bitte?“
„Na ja, für kleine Mädchen passt ja nicht mehr so ganz.“
„Ach so. Jetzt verstehe ich das. Kannst du sie denn mal ans Telefon holen?“
„Wenn die erst sitzt, das kann dauern.“
„Dann warte ich eben so lange.“
„Was willste denn mit der besprechen? Die hört doch sowieso kaum noch was.“
„Dann schreie ich eben. Was du sagst, hört sie ja schließlich auch.“
„Da bin ich mir gar nicht so sicher.“
„Warum gehst du dann nicht mal mit ihr zum Arzt und besorgst ihr ein Hörgerät?“
„Ach, das lohnt sich doch nicht mehr.“
„Wie bitte?“
„Ich meine, die Zuzahlung ist richtig hoch und meine Mutter wird da gar nicht mehr mit fertig. Das ist rausgeschmissenes Geld. Früher hat man auch nicht so ein Gewese um die alten Leute gemacht. Die wurden anständig versorgt und wenn es nicht mehr ging, sind sie gestorben. Heute versucht man alles immer weiter künstlich zu verlängern und die Krankenkassenbeiträge steigen und steigen.“
„Martina, das will ich alles gar nicht gehört haben, aber ich will jetzt mit deiner Mutter sprechen.“
„Die sitzt auf'm Klo.“
„Dann geh' und guck bitte, ob sie fertig ist.“
„Na gut.“
Martina schlurfte schwerfällig über den Flur zum Bad ihrer Mutter.
„Mama, Telefon.“
„Wer ist denn da?“
„Christiane Kleinebekel.“
„Ich komme.“
Luise kam wieder angekleidet aus dem Bad und bewegte sich zielsicher ins Wohnzimmer. Sie nahm den Telefonhörer und setzte sich aufs Sofa.
„Hallo Christiane, hier ist Luise.“
„Mensch, Tante Luise, hat deine Wärterin dich am Ende doch ans Telefon gelassen?“
„Och, Christiane, ich war nur kurz auf'm Klo. Schön, dass du anrufst. Wie geht’s dir denn?“
„Danke, gut. Aber eigentlich rufe ich an, weil ich hören wollte, wie es dir geht. Man sieht dich ja überhaupt nicht mehr.“
„Ja, so geht das mit uns Alten.“, erklärte Luise. „guck mal, meine Freundin, die Elisabeth, weißte, die Pastorentochter, die lebt ja auch noch, die ist schon seit Jahren im Heim und ganz durch'n Wind. Die braucht auch keiner mehr besuchen, die erkennt einen sowieso nicht. Und wenn's bei mir erst im Kopf losgeht, gehe ich besser auch nicht mehr aufe Straße.“
„Tante Luise, du bist doch noch so klar im Kopf wie ein Glas Korn. Hast du dich denn von deiner Sommergrippe immer noch nicht erholt?“
„Eigentlich schon. Aber ich bin doch noch reichlich erschöpft. In unserem Alter steckt man das nicht mehr alles so weg. Heute wollte ich eigentlich zur Frauenhilfe, aber das habe ich schon wieder verschlafen.“
„Dann könntest du aber schon aus dem Haus gehen?“
„Theoretisch.“
„Na, dann kann ich dich ja wohl auch mal besuchen. Übernächste Woche habe ich ein bisschen mehr Zeit. Hast du Montag Nachmittag schon was vor?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Dann halten wir das fest?“
„Ja, ist gut. Aber sag mal, wie geht’s denn deinen Kindern?“
„Alles bestens. Wachsen und gedeihen.“
„Solange sie sich noch nicht vermehren.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Tiedemanns Bianca kriegt doch was Kleines.“
„Was, ehrlich? Wer hat dir das denn erzählt?“
„Bierhoffs Hildegard. Gerade eben. Hat sie bei der der Frauenhilfe gehört. Bianca ist wohl erst siebzehn und der Vater auch gerade mal achtzehn.“
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