Auch Ludwig entsprach nicht ganz dem Bild ihres Traummannes. Gut, er tat, was sie ihm auftrug, war stets ritterlich um sie besorgt, brüllte sie nie an, tat seine Arbeit, unterstützte sie im Haushalt und bei allen ihren Vorhaben. Doch eigentlich hätte sie sich lieber an der Seite eines weltmännischen Repräsentanten gesehen, einem Doktor oder Professor, ja sogar der Klavierlehrer hatte mehr hergemacht als ihr eigener Gatte.
Und Martina? Um die hatte sie sich wie immer am meisten gesorgt. 1975 hatte sie zwar ihre Ausbildung schon abgeschlossen – immerhin war sie schon ein-und-zwanzig und arbeitete seit zwei Jahren in ihrem Beruf – aber der Kindergarten in Häger hatte sie nicht übernommen und so war sie schließlich in Jöllenbeck untergekommen, wo es ihr überhaupt nicht gefiel. Ihre große Unzufriedenheit war ihr überdeutlich anzusehen gewesen und Luise hatte damals befürchtet, Martina würde nie einen Mann finden. Nicht einmal der Tanzkurs, den sie als Siebzehnjährige absolviert hatte, hatte ihr auch nur ansatzweise einen Erfolg beschert. Überall um sie herum wurden junge Familien gegründet und mindestens einmal im Monat läuteten freitags in Häger die Hochzeitsglocken, aber Martina schien leer auszugehen. Dabei war sie gar nicht mehr so unansehnlich wie als Teenager. Ihr Hautbild hatte sich verbessert, sie trug eine modische Pilzkopffrisur, benutzte Lippenstift und Wimperntusche, lackierte sich die Nägel rot und hatte mit ein paar Diäten auch so viel abgenommen, dass sie zwar noch immer etwas rundlich, aber keinesfalls mehr übergewichtig war.
Doch auch diese sorgenvolle Zeit war vorübergegangen und mit dem Beginn des neuen Jahrzehnts war alles anders geworden.
1980 trat ein neuer Pfarrer seinen Dienst an, die letzten drei hatten es immer nur kurze Zeit ausgehalten: drei bis vier Jahre, dann waren sie wieder verschwunden gewesen. Keiner hätte Pfarrer Schuchart, der sie selbst konfirmiert hatte, das Wasser reichen können, aber der junge Familienvater, der nun seinen Dienst antrat, war aus einem anderen Holz geschnitzt als seine letzten drei Vorgänger, das hatte Luise sofort bemerkt. Er war gutaussehend und selbstbewusst, hatte hervorragende Manieren, eine hübsche Ehefrau, zwei entzückende Kinder, eine gesunde Einstellung zum Glauben und zum Gemeindeleben und einen schier umwerfenden Charme. Hinzu kam, dass auch er fasziniert war von der quirligen, kleinen Luise, die zwar in allen kirchlichen Angelegenheiten zu Hause war, sich auskannte mit dem Kirchenjahr, der Liturgie, den biblischen Geschichten, den kirchlichen Strukturen und dem Netzwerk der Frauenhilfe, aber trotzdem stets fröhlich und lebenslustig war, nicht so verbiestert wie das übliche Material, mit dem er sich herumärgern musste. Sie ging ihre Projekte mit einer Entschlossenheit und einem Selbstvertrauen an wie eine Scarlett O'Hara, die am Ende immer bekam, was sie wollte, abgesehen von ihrem Ashley. Dass sie dabei eher wie die Hobbit-Version von Elisabeth Mountbattan aussah, tat ihrer Wirkung keinen Abbruch. Er schätzte sie und fühlte sich aufs Vortrefflichste von ihr unterhalten. Luise hatte das sehr bald gespürt und wider alle Vernunft ihr Herz an den über zwanzig Jahre jüngeren Mann verloren. Der wiederum genoss die unverhohlene Bewunderung, wenn er auch nicht im Traum daran dachte, sie zu seiner Geliebten zu machen, aber er nahm Sickendieks private Einladungen vor allem wegen der vortrefflichen Bewirtung immer gern entgegen und revanchierte sich mit dem einen oder anderen privaten Abendessen im Kreise seiner Familie. Obwohl Ludwig natürlich immer dazu gehörte, zumal er auch ein treuer Kirchgänger war, der es wirklich ernst meinte, hatte Luises Gatte kein gutes Gefühl bei dieser halbherzigen Freundschaft, erinnerte es ihn doch an Luises Schwärmerei für den Klavierlehrer, die ihm keineswegs entgangen war. Er hatte keine Angst, dass sein Frau mit dem Pfarrer durchbrannte, dafür war er zu realistisch, aber es schmerzte ihn, dass sie für ihn nie diese bedingungslose Hingabe an den Tag gelegt hatte und er befürchtete, seine Frau könne sich mit ihrem offenkundigen Backfisch-Gebaren zum Gespött des ganzen Dorfes machen und ihn gleich mit in den Abgrund ziehen.
1981 ereignete sich etwa, das Martinas Leben in neue Bahnen lenkte. Beim Polterabend einer Kollegin lernte sie einen schüchternen, jungen Mann kennen, der zwar alle Voraussetzungen zur Gründung einer Familie mitbrachte, also: Gesundheit, Zeugungsfähigkeit, Unbescholtenheit, eine hervorragende Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz in der Verwaltung der Stadt Werther, ja, sogar einen nicht zu vernachlässigenden Bausparvertrag, allein, es fehlte ihm an Esprit, er verstand es nicht, zu flirten und weckte mit seinem einschläfernden Äußeren auch nicht den Jagdinstinkt offensiver, paarungswilliger Weibchen.
Martina hatte es indes längst aufgegeben, auf den eigens für sie auf die Welt gekommenen Märchenprinzen zu warten, doch trotz ihrer wachsamen Kompromiss-Bereitschaft hatten es nicht einmal die bei ihr versucht, die für sie vollkommen indiskutabel waren. An diesem Abend hatte Manfred, der verzweifelt eine Frau suchte, gleich zu Beginn nach möglichen Kandidatinnen Ausschau gehalten und sich beim Gastgeber erkundigt, welche Damen dem Markt überhaupt zur Verfügung standen. Sein Blick fiel auf einen auberginenroten Pilzhaarschnitt auf einem teigigen, blutleeren Gesicht, aus dem ihn ein paar wässrig blaue Augen und knallrot geschminkte Lippen dümmlich anlächelten. Eine Etage tiefer befand sich eine kurze Halskette aus Holzperlen so groß wie reife Süßkirschen, danach eine weiße Puffärmel-Bluse mit roten Ethno-Stickereien. Die Bluse steckte in einer oben zu engen und unten zu weiten, schwarzen Hose, so dass der dreistöckige Rumpf: Hängebrüste, Unterbrustspeckfalte, Tailllenspeckfalte nicht zu verbergen war und wie ein aus Plastikreifen zusammengesetzter Jakobsturm der günstigen Preisklasse erschien.
„Was ist das denn für eine?“, hatte Manfred den Bräutigam gefragt.
„Kollegin von Karin.“, hatte der geantwortet. „Wohnt in Häger. Ist noch zu haben.“
„Na, schönen Dank auch, hatte Manfred abfällig geantwortet und sein erstes Bier hinunter gestürzt. Doch nach dem zwölften Biere ähneln sich alle Tiere, und weil es bei Martina ohnehin nichts zu verlieren gab, hatte er sich im angetrunkenen Zustand in einen Flirt gestürzt, der schließlich zum Selbstläufer wurde, denn noch weniger, als einen Flirt erfolgreich zu beginnen, war er darin erfahren, ihn zu beenden. Das Gerede der Anderen, die ständigen Nachfragen hatten ihm schließlich klargemacht, dass er sich in eine Sackgasse manövriert hatte. Und nach ein paar Treffen mit Martina war er zu der Erkenntnis gelangt, dass sie wahrscheinlich das Beste war, was das Leben für ihn bereit hielt. So übel war sie ja nicht. Sie ging arbeiten, konnte einen Haushalt führen, Kinder kriegen und im Schlafzimmer war es ja meistens dunkel. Wenn er sie im Arm hielt, fühlte sie sich jedenfalls besser an, als ein großes Kissen, denn sie war warm, lebendig, atmete und roch nach Frau.
Martina war es mit Manfred ähnlich ergangen: Kein Paradiesvogel, aber mit so einem hätte sie es auch gar nicht ausgehalten, dafür ein solider Kerl, der ihr etwas bieten konnte. Dass es ihm an Sensibilität und Fingerspitzengefühl mangelte, war ihr zwar schon bald aufgefallen, aber vielleicht würde er das im Laufe des Lebens noch lernen.
Als Luise etwas von dem ersten Techtelmechtel ihrer Tochter mitbekommen hatte, war sie äußerst erleichtert gewesen. Sicher, der Mann taugte nicht, um öffentlich mit ihm anzugeben, aber Martina war auch kein Hauptgewinn und schließlich hatte Manfred einen guten Beruf mit einem gesicherten, überdurchschnittlichen Einkommen. Ein Amtmann machte auf jeden Fall mehr her, als ein dreckiger Handwerker, und Manfreds Schwiegersohn-Qualitäten würden schon nicht zu wünschen übrig lassen. So anspruchsvoll war Luise gar nicht. Wenn er nur fleißig Geld ranschaffte und anständig blieb.
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