Ich könnte diese geschriebene Zeichnung fortsetzen, denn das Bild hat sich bei mir mittlerweile eingeprägt.
Ich fange an, Fragen zu stellen. Warum zappelt sie immer so und kann kaum still halten? Warum steht sie vor der Türe, so derart abgetragen gekleidet? Warum hält sie sich so an ihrer Zigarette fest? Was fehlt ihr? Vor wem ist sie geflüchtet? Ich kann mir die Antworten nur ausmalen, im Ansatz vorstellen, fantasieren.
Antworten, verbindliche Antworten bekäme ich nur, wenn ich sie anspräche. Jeden Tag frage ich mich aufs Neue, ob ich es tun soll. Und dann, eines Tages, ist sie nicht mehr da. Auch nicht an den folgenden Tagen.
Wieder eine weniger in der lost generation ? Wieder eine Chance verpasst? Wer hat mehr verpasst – sie oder ich? Flucht in die Sucht? Was kommt als nächstes? …
Wir regen uns täglich mehrfach auf – oft ohne es bewusst zu bemerken – über dies und das, über jenes und anderes. Entrüstung ist ein kollektives Phänomen und es gehört zum guten Ton, sich über alles Mögliche aufzuregen, zu ärgern, zu alterieren und sich zu erhitzen.
Oft kennen wir ja gar nicht die Umstände, warum etwas zustande kam. Wir meinen, sie zu kennen, weil ‚man’ es so sagt, dass es so und nicht anders sein kann. Wir schwimmen unbewusst in der Suppe der kollektiven Lemminge mit – ohne es zu merken.
Was wäre wenn … wir folgendes denken und fühlen: Ich habe meine Meinung und der andere hat seine Meinung. Keiner muss den anderen überzeugen, dass seine Meinung die richtige ist.
Was wäre wenn … wir Dinge und Situationen einfach sein lassen wie sie sind und uns eine Kultur des Wohlwollens aneigneten? Dann, ja dann brächen Zeit des Friedens an, denn Wohlwollen kann gar nicht anders als friedlich zu sein.
Einen GedankenSplitter ist es wert …
Leichter Ärger steigt in mir. Nicht schon wieder. Ich will endlich einschlafen. Da kriecht dieses Bild des Abschieds ohne Worte in mir hoch. Alleine über dieses Bild ärgere ich mich. Es erinnert mich rasch an die Monate des Ringens, des Hände Reichens, des abgelehnt Werdens, des nie Genügens. Es erinnert mich an Momente, warum ich immer wieder gegangen bin.
Und nun, nun kann ich endlich durchatmen, ich selbst sein, bin frei wie nie zu vor … und doch … ab und an steigt der leise Ärger über Vergangenes hoch … naja … er darf wieder gehen … sind ja ‚nur’ GedankenSplitter …
Im Schein der Gartenlampe kaum erkennbar, die Blätter hängen traurig herunter. Es regnete heute ziemlich stark und lang. Die wenigen verbliebenen Blätter sehen verwaschen aus; lange werden sie nicht mehr bleiben. Dann wird der Strauch im Lichtschein kahl, leer und nackt sein. Abgefallen, verrottet, vermodert sind sie, die Blätter.
Auf ein Neues, ja … worauf? So geistern die Gedanken durch meinen Kopf am Weg zum Schlafen.
Es ist die Gnade der Müdigkeit, die mich hindert, mich im fallenden Fallen zu verfangen und die Nacht durchzumachen. So wird der Schlaf zu einem Traumfänger der besonderen Art.
Die Begegnung in dieser verrückten Bar nach einem ebensolchen Arbeitstag war ein Kapitel für sich. Da saß er, der Magier. Und ich war eingefangen von seinen Künsten wie ein kleines Kind. Das brennende Portemonnaie aus dem Nichts. Das rote Seidentuch, das verschwand wohin – ich weiß nicht wo. Der Kartentrick – mit welchen Karten auch immer. Die Bilder flirren vor meinem inneren Auge in einer unglaublichen Geschwindigkeit dahin.
Ein beeindruckender Mensch sitzt vor mir, blickt mich eindringlich an – und ich bin vom nächsten Trick gefangen, in dieser Bar, die ich vorher nicht kannte, von einem Menschen, der mir das erste Mal begegnete. Elegant bewegt er sich, fast tänzerisch. Seine schlanken Finger beeindrucken mich. Seine Ausführungen zu den Tricks, die er zeigt, sind perfektioniert und eloquent und eine weitere Quelle des Einfangens. Der Magier und das Kind … so fühle ich mich. Ich könnte ihm stundenlang zusehen. Doch irgendwann, irgendwann ist Zeit, Abschied zu nehmen.
Ungern gehe ich, wünsche mir eine weitere Vorstellung. Ein bisschen in andere Welten eintauchen, sich Inspiration holen, sich von der Täuschung nicht täuschen lassen, denn hinter den Tricks steckt jahrelange Übung.
So ist die Magie eine Welt für sich, in die ich immer wieder gerne blicke – ohne dort ganz hängen zu bleiben, denn nun sinke ich Morpheus‘ Arme, verzaubert und bezaubert – und träume weiter.
Die Traumnovelle, sie begleitet mich seit einiger Zeit, dieses wundervolle Buch von Schnitzler, mit dem melancholisch-blasierten Grundton, den verborgenen, kaum geahnte Wünschen des Unmöglich-Möglichen. Das Zeichnen von Was-wäre-wenn ohne Anspruch auf Umsetzung. Der schwermütigen Zauber, das innere Tändeln, die Unlust, wieder in die sogenannte Realität zurückzukehren. Mit dieser Realität war ich in der Tiefe meiner Seele fertig, wie immer es im Äußeren weitergehen sollte. Da lag ein Schwert zwischen Innen und Außen. Beide lagen wie Todfeinde nebeneinander … doch dies ist nur ein Gedanke, ein Hauch von Gedanken - nicht einmal ein Wort.
Also weiter in der Gewohnheit, im Verraten, Betrügen, Lügen? Weiter im Mehrfachleben, das über das Doppelleben hinausgeht? Das Verführerische und die Verführung, die wie eine Laune erscheinen, haben in diesem Moment etwas Reizvoll-Köstliches. Das Bekannt-Bequeme schmeckt dagegen schal, abgestanden – auch in Gedanken, vielleicht gerade in diesen GedankenSplittern.
So schweifen sie unkontrolliert dahin, schlängeln sich durch. Wie man doch immer wieder, durch Worte verführt, alles in träger Gewohnheit benennt und verurteilt. Diese Momente zwischen Mitternacht und dem anbrechenden Morgen, sie sind die schönsten Stunden, um sich diesen Gedanken hinzugeben. Da bin ich vor jeder Störung sicher.
Und dann gleite ich in den Schlaf, dankbar, dass es sich um Gedankenabenteuer handelt, die ich heil überlebte. Ich bin mir im Klaren, dass die Wirklichkeit einer Nacht, ja nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet. Und - kein Traum ist ein ganzer, ein vollkommener Traum.
Die letzten Gedanken für den heutigen Tag … verwundet von der Oberflächlichkeit mancher Antworten heute. Erstaunt von der Gedankenlosigkeit, der Beliebigkeit, der Unnahbarkeit, der Substanzlosigkeit und der Unfähigkeit, mit Inhalten umgehen zu können. Letztlich ist es doch nicht anders zu erwarten gewesen. Überfordert, hilflos … Lichtjahre entfernt. Vielleicht ein wenig mit Illusion versehen und der Täuschung erlegen?
Ich weiß es nicht so recht. Doch keine Wunden, weil Oberflächlichkeit der Tiefe nicht ankann, weil Substanzlosigkeit der Substanz nicht das Wasser abgraben kann. Und weil die Unfähigkeit, mit Innehalten umgehen zu können, nur auf eine Lücke auf der anderen Seite hindeutet.
So lässt es sich einschlafen.
Ein starker Tag mit starken, berührenden Bildern. Die erste Reihe kann sich sehen lassen. Die geballte Ladung an politischen Entscheidungsträgern, Arm in Arm. Gegner gehen schweigend miteinander, fast natürlich, selbstverständlich. Ein Zeichen der Hoffnung, dass scheinbar Unmögliches doch noch möglich wird? Ich weiß es nicht, will mir die Hoffnung darauf nicht nehmen lassen, an diesem zu Ende gehenden Tag.
Und dann diese unglaubliche Masse an Menschen, unüberschaubar, bunt, lebendig, freiheitsliebend, friedlich, traurig. Ich erinnere mich lange nicht an solche Bilder. Und doch geben diese Bilder Anlass zur Hoffnung, dass sich Grundlegendes ändern wird, dass neue Wege eingeschlagen werden im Miteinander.
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