„Weißt du, ich will ja gar nicht sagen, dass jeder männliche Chef sich früher oder später in mich verlieben wird, aber es könnte halt passieren. Chef und Sekretärin verbringen so viel Zeit miteinander, da kommt man sich irgendwann zwangsläufig näher. Und das will ich einfach nicht nochmal erleben, verstehst du?“
Ich nicke und nippe an meinem Kaffee. Es tut irgendwie gut, ihr einfach zuzuhören und mich zur Abwechslung mal mit den Problemen eines anderen zu beschäftigen, anstatt immer nur mit meinen eigenen. „Aber es gibt doch bestimmt auch männliche Chefs, die ihren Ehefrauen treu sind, oder etwa nicht?“
Sie zieht die Sonnenbrille herunter und sieht mich über dessen Rand an. „Sicher gibt es die. Ganz bestimmt sogar. Es ist ja nicht jeder Mann ein fremdgehender Schweinehund. Aber das weiß ich halt im Vorfeld nicht. Und ich will es wirklich nicht darauf ankommen lassen. Ich habe aus der Sache mit Bill gelernt. Verheiratete Männer sind für mich jetzt tabu, genauso wie Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz. Sowas funktioniert einfach nicht.“
Sie erzählt mir, bei welchen Firmen sie sich bereits beworben hat und wie die Bewerbungsgespräche im Einzelnen liefen. Dabei wird mir wieder bewusst, wie froh ich bin, dass ich sowas nicht mehr tun muss. Ich habe diese Bewerbungsgespräche gehasst! Meistens hatte man sich innerhalb der ersten Sekunde bereits ein Bild von mir gemacht, welches ich dann in den folgenden fünfzehn Minuten zu revidieren versuchte, was meistens nicht funktionierte, weshalb es hauptsächlich Absagen hagelte.
Bei Carmen ist das jedoch anders. Wenn sie einen Raum betritt, sei es das Büro ihres Chefs oder einfach nur einen Supermarkt, dann nimmt sie diesen Raum völlig ein. Ihre Präsenz strahlt wie ein heller Stern und alle drehen sich zu ihr um. Sie geht mit einer gewissen Einstellung zum Bewerbungsgespräch, die den Chefs schnell klarmacht, wer hier eigentlich auf dem Prüfstand steht. Zurecht ist sie von ihren Fähigkeiten überzeugt, ohne dabei arrogant oder überheblich zu wirken. Sie sucht sich ihre Arbeitsstelle aus und beendet die meisten Bewerbungsgespräche mit dem Satz: „Sie hören dann von mir.“
Nachdem wir unser Frühstück restlos vertilgt haben, laufen wir Arm in Arm durch den Stadtpark bis rüber zum Einkaufszentrum auf der anderen Seite. Zwischen den umliegenden Bäumen, am Fuße der Büsche und am Seeufer lauern Schatten, die neugierig wimmernd auf uns zukriechen. Ich gebe mein Bestes, mir vor Carmen nichts anmerken zu lassen. Wenn sie sehen würde, was ich sehe, wäre sie mit Sicherheit schon schreiend davongelaufen. Am liebsten würde ich die Schattenwesen verscheuchen, ihnen zurufen, dass sie sich verpissen sollen! Doch ich tue es nicht, da mir bewusst ist, wie ich damit auf Außenstehende wirken würde. Schreie niemals Dinge an, die andere nicht sehen! Eine der ersten und wichtigsten Regeln, wenn man es mit der magischen Welt zu tun hat.
Während des Laufens fällt mir auf, dass einige Schattenwesen sich an Menschen geheftet haben. Da ist zum Beispiel eine Joggerin, die offenbar gar nicht bemerkt, dass ein Schatten sich wie ein Blutegel an ihren Knöchel geheftet hat. Sie joggt unbeirrt weiter und grüßt freundlich, als sie uns passiert. Ich sehe ihr nach und der Schatten scheint mich ebenfalls bemerkt zu haben. Doch im Gegensatz zu den anderen, kriecht er nicht auf mich zu, sondern bleibt am Bein der Joggerin kleben.
„Alles klar?“, will Carmen wissen und zupft an meinem Ärmel. „Kennst du die Frau, oder warum schaust du ihr so hinterher?“
Rasch wende ich den Blick wieder ab. „Ich… Ähm. Nein, ich kenne sie nicht.“
Carmen kichert. „Und warum guckst du ihr dann so hinterher?“
Ich schlucke und suche rasch nach einer Ausrede, die so weit wie möglich von der Wahrheit entfernt ist. „Ihre Haare! Mir gefielen ihre Haare!“
Wir bleiben abrupt stehen und drehen uns um. Beinahe ängstlich schaue ich der Joggerin nach und lenke meinen Blick zum ersten Mal auf ihre Frisur. Erleichtert atme ich auf.
„Das ist perfekt!“, ruft Carmen aus und deutet auf die Frau. „Immer noch lang, aber luftiger und schön durchgestuft! Und was ist mit der Farbe? Willst du auch diesen Aubergine-Ton? Er würde gut zu deinen Augen passen, soviel ist klar!“
Ich nicke einfach nur. Alles ist besser als dieses rausgewachsene, halb verwaschene Irgendwas, das ich jetzt auf meinem Kopf trage.
Der gesamte Vormittag geht für unser Beauty-Programm drauf, das nach Carmens Aussage die offizielle Behandlung gegen Liebeskummer jeglicher Art ist. Sie hat zwar gerade keine Beziehung und auch keinen Liebeskummer mehr, aber sie zieht ihr Programm trotzdem vorbeugend durch. Ich denke zwar jede Minute an Chris, aber ich muss zugeben, dass es mir unendlich guttut, mich einfach nur mal mit so banalen Fragen zu beschäftigen wie „ Welcher Nagellack passt am besten zu meiner neuen Haarfarbe?“ Es ist eine Wohltat, einfach nur etwas für mich zu tun, was zur Abwechslung mal keine Katastrophen in der magischen Welt nach sich zieht. So profane Dinge wie Haareschneiden, Nägel lackieren und eine Gesichtsmaske aufgetragen zu bekommen, sind keine Zeitverschwendung, auch wenn die meisten in meiner Branche das wahrscheinlich denken mögen. Ich bin immer noch ein Mensch und vor allem eine Frau. Ich will Zeit mit meiner besten Freundin verbringen, mich um unwichtige Dinge kümmern und an ihrem rein menschlichen Leben teilhaben. Wie sehr mir das in der letzten Zeit gefehlt hat, merke ich erst jetzt.
Mit frisch gefärbten und kürzeren Haaren, dazu passend lackierten Finger- und Zehennägeln in „ Aubergine Passion “ und einer Gesichtshaut, die noch nie zuvor so porentief rein war, fühle ich mich richtig frisch, erholt und von Kopf bis Fuß verwöhnt.
„Du siehst fantastisch aus!“, sagt Carmen zum wiederholten Male und fuchtelt mit ihren Fingern in meinem Haar herum. „In der Sonne kommt die Farbe so richtig gut zur Geltung! Und die Länge ist perfekt! Du kannst noch immer einen Zopf machen, aber wenn du die Haare offen trägst, wirken sie jetzt viel lebendiger.“ Sie nimmt eine meiner Strähnen, hält sie zwischen ihren Fingern und zieht die Stirn kraus. „Aber ich verstehe nicht, warum diese weißen Strähnen überhaupt keine Farbe annehmen. Wie ist das möglich? Sie haben doch wirklich alles versucht!“
Ich zucke mit den Schultern. „Ist doch nicht so schlimm. Ich mag die weißen Strähnen.“
Einen Moment mustert sie mich, dann kommt sie einen Schritt näher und flüstert. „Das hat was mit deiner Arbeit zu tun, oder? War es nicht so?“
„Hmm-Hmm“, murmle ich nickend. „Wenn man ein dunkles Wesen tötet, bekommt man diese Strähnen.“
Sie tritt zurück und schlägt die Hand vor den Mund. Ihre Fingernägel haben nun denselben Blauton wie ihr Kleid. „Bei Chris auch? Und bei Elvira?“
Mit einem Grinsen auf den Lippen nicke ich. „Daher kommen diese weißen Strähnen“, gebe ich stolz zu und muss an Chris´ von weißen Haaren durchzogene Mähne denken, sowie an den grau-melierten Bob meiner Tante.
„Oh man, oh man… Dann pass aber bitte auf, dass ich niemals so ein dunkles Wesen auf dem Gewissen habe, okay?“
„Das sollte dich im Ernstfall aber nicht davon abhalten, ein dunkles Wesen zu töten, sollte es dir nach dem Leben trachten!“, bemerke ich lachend.
Sie hebt die Hände und schüttelt mit dem Kopf. „Nein, das mach ich nicht! Dafür habe ich ja schließlich dich! Weißt du außerdem, wie schrecklich ich mit weißen Haaren aussehen würde? Nein, das kommt absolut nicht in Frage!“
Lachend suchen wir uns einen Platz beim chinesischen Restaurant im Einkaufszentrum und bestellen etwas von der Mittagskarte, bevor wir weiter zu Carmens letztem Punkt auf der Tagesordnung kommen: Mir ein neues Outfit zu besorgen.
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