„Oh man, vier Wochen? Das ist eine lange Zeit. Und dann kommst du zurück und hier, in der Realität ist keine Sekunde vergangen?“
„Genau. Ich dachte, so wäre es auch für Chris am einfachsten, da wir dann in der realen Welt gar nicht voneinander getrennt gewesen wären. Aber er war total außer sich, dass ich diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zog!“, erzähle ich und bin froh, dass ich mit meinen Erläuterungen nun endlich an diesem Punkt angelangt bin. „Er hat sich sowieso verändert, seitdem wir wiederauferstanden sind, irgendwas ist mit ihm los.“
„Inwiefern hat er sich verändert? Er ist doch immer noch gut zu dir, oder? Du weißt, wenn er dir nur ein Haar krümmt, dann bekommt er es mit mir zu tun! Ganz egal wer oder was er ist, vergreift er sich an meiner Scarlett, dann kann er mich aber kennenlernen!“
„Nein, er ist gut zu mir, keine Sorge. Er würde mir nie etwas tun“, sage ich rasch, da ich weiß, dass sie ihre Drohung ernst meint. „Aber ich glaube, die Zeit im Limbus hat bei ihm Spuren hinterlassen, denn seitdem wir von den Toten auferstanden sind, verliert er all seine Mannwolf-Attribute. Und als er sich heute Morgen verwandelt hat, war er ein vollständiger Wolf, mit langem Fell, Schnauze, Lefzen, spitzen Ohren, grellgelben Augen, vier Pfoten und einer Rute.“
Carmens Augen werden immer größer. „Echt jetzt?“
Ich nicke und ziehe die Stirn kraus. „Es wird an meinem Inviolabilem-Zauber liegen. Ich glaube, Chris wird dafür bestraft, dass er den Tod ausgetrickst hat. Es ist meine Schuld, dass die jahrhundertelange Arbeit seiner Vorfahren zunichte gemacht wurde.“
„Das kann doch nicht sein“, sagt Carmen und zieht mich an sich, als sie sieht, dass mir schon wieder die Tränen in die Augen steigen. „Sie können ihn doch nicht dafür bestrafen, dass dein Zauber auf ihn übergegangen ist! Wäre das nicht passiert, wäre er doch jetzt tot!“
„Ja, ich weiß! Deswegen bereue ich auch nicht wirklich, den Zauber angewandt zu haben“, entgegne ich schniefend und ziehe die Nase hoch. „Ich habe ihm heute Morgen angeboten, zum Vatikan zu reisen und die Sache vor Ort mit den Obrigkeiten zu klären, doch da meinte er, dass ich ihn so wie er jetzt ist nicht mehr lieben würde.“
Auch mit meinem Kopf auf ihrer Schulter kann ich spüren, dass sie eine Grimasse zieht und dabei den Kopf schüttelt. „Männer!“, seufzt sie und ich könnte schwören, dass sie dabei die Augen im Kopf verdreht. Dann greift sie nach meinen Schultern und schiebt mich vor sich, wo sie mich ernst ansieht. „Macht er dir als Wolf, Werwolf, oder was auch immer, Angst? Hast du Angst vor ihm? Stört dich, dass er sich verändert hat?“
Ich schüttle mit dem Kopf. „Nein, er macht mir keine Angst. Wirklich, er würde mir nichts tun, niemals! Und es ist mir auch egal, was er ist! Ob nun Mannwolf, Werwolf, Troll, Vampir, Kobold, oder was weiß ich! Selbst wenn er Big Foot höchstpersönlich wäre, würde ich ihn noch immer genauso sehr lieben!“
Sie lächelt und legt den Kopf leicht schief. „Hast du ihm das gesagt? Weiß er, dass es dir egal ist, was er ist?“
Nickend senke ich den Blick. „Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn liebe, egal was er ist. Aber er denkt, dass ich nur auf die Insel geflüchtet bin, um ihm aus dem Weg zu gehen, weil er jetzt wölfischer ist.“
„Was für ein Quatsch!“, brüllt Carmen mit beinahe keifender Stimme. „Das ist so typisch, Bill war auch so! Wann immer ich etwas vorhatte, was ihn nicht mit einbezog, dachte er, ich gehe ihm aus dem Weg.“ Sie tippt sich gegen die Stirn und verdreht die Augen.
„Chris ist normalerweise nicht so. Wir haben eigentlich in der ganzen Zeit, die wir nun schon zusammen sind, nie groß miteinander gestritten. Wir hatten zwar hin und wieder Meinungsverschiedenheiten, aber da hat er sich nie verwandelt und ist einfach abgehauen, so wie die letzten beiden Male.“
„Also ist er erst so schräg drauf, seitdem er immer mehr zum Wolf wird?“, fasst Carmen zusammen und legt nachdenklich die Fingerspitzen an ihr Kinn.
„Ja. Könnte man so sagen“, stimme ich ihr zu. „Aber das Schlimmste war, dass er meinte, seine Schwester Bianca hätte vielleicht Recht, als sie behauptete, Hexen können niemals eine wahre Gefährtenverbindung eingehen.“
„Das hat sie gesagt?“ Ihre Augen formen sich zu schmalen Schlitzen. „Und Chris stimmt ihr zu? Das darf doch nicht wahr sein! Was mischt sich seine Schwester überhaupt ein? Das geht sie doch alles gar nichts an!“
Ich zucke nur mit den Schultern, während ein stechender Schmerz sich in meinem Brustbein ausbreitet. „Offenbar gab es zuvor noch keine Gefährtenverbindung zwischen nicht-wölfischen Wesen.“
„Aber Scarlett, du zweifelst doch jetzt nicht ernsthaft eure Gefährtenverbindung an, oder? Du hast mir doch selbst erzählt, dass dieses Kitzeln zwischen deinen Brüsten ein Beweis dafür ist!“
„Es ist mehr ein Kribbeln, hinter dem Brustbein.“
„Was auch immer! Das war doch der Beweis dafür, dass ihr zwei Gefährten seid, oder irre ich mich? War es nicht so?“
„Doch, so ist es! Chris sagt außerdem, dass er direkt wusste, dass ich seine Gefährtin bin, als er mich zum ersten Mal gesehen hat. Und ich habe mich ja auch sofort Hals über Kopf in ihn verliebt, obwohl ich es anfangs noch ignorieren wollte, weil ich mir keine Chancen bei ihm ausgerechnet habe. Aber als er mich dann küsste, zum allerersten Mal, da habe ich sowas gespürt, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe“, erinnere ich mich und schüttle lächelnd mit dem Kopf. „Das hatte nichts mit menschlichem Verliebtsein zu tun. Es ging viel tiefer und es war plötzlich egal, dass ich ihn erst wenige Stunden kannte. Ich wusste, dass er mein Mann ist, der einzige, den ich für den Rest meines Lebens lieben würde.“
Carmen legt die gefalteten Hände an ihr Herz und seufzt. „Sowas will ich auch mal erleben. So eine richtig tiefe Liebe, wo beide füreinander alles andere stehen und liegenlassen.“
In diesem Moment wird mir bewusst, dass sie immer davon ausging, zwischen ihr und Bill herrsche diese Art von Liebe. „Hast du eigentlich mal wieder was von Bill gehört?“, frage ich und sie lässt ihre gefalteten Hände in ihren Schoss fallen.
„Nein, zum Glück nicht. Ich habe seine Nummer aber auch blockiert, selbst wenn er versuchen würde, mich zu kontaktieren, würde ich nicht dahinterkommen, und das ist auch gut so. Er ist ein Lügner und Heuchler, ein Ehebetrüger und ein Verlierer. Ich bin froh, dass ich ihn los bin! Ich bereue nur, dass ich so lange gebraucht habe, um zu erkennen, was für eine Art Mann er wirklich ist!“
„Okay, okay, das war deutlich“, sage ich und hebe ergebend die Hände.
„Ich werde mich auf jeden Fall nicht mehr unter Wert verkaufen, das ist klar! Der nächste Mann, den ich an mich ranlasse, muss mir die Welt zu Füßen legen!“
Bestätigend nicke ich ihr zu. „Genau!“
Sie leert den restlichen Kaffee aus ihrem Becher in einem Zug und sieht mich mit strahlenden Augen an. „Also, hast du schon eine neue Haartönung mitgebracht, oder wollen wir dieses Mal zu einem echten Frisör?“
Lachend werfe ich den Kopf in den Nacken. „Du kennst mich einfach zu gut, Carmen!“
„Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass Scarlett Schneider, entschuldige, Taylor , ihre Beziehungsprobleme immer mit einer neuen Frisur bewältigt!“
Carmen kann mich überreden, dieses Mal zu einem echten Frisör zu gehen, anstatt meine Haare bei ihr Zuhause im Bad zu färben. Auch wenn ich behaupte, dass meine Probleme mit Chris nicht so gravierend sind, dass sie nach einer Typveränderung schreien, argumentiert Carmen mit dem Zustand meiner spröden Spitzen und den ausgewaschenen roten Strähnen.
„Da muss ein Profi ran, Scarlett. Außerdem kann man auch ohne Beziehungsprobleme ab und zu mal zum Frisör gehen!“, sagt sie und wirft eine meiner trockenen Haarsträhnen hinter meine Schulter. „Aber vorher gehen wir frühstücken und lassen uns die Nägel machen! Und ein neues Outfit würde dir auch nicht schaden! Wir frühstücken am besten bei dem kleinen Bistro am Stadtpark, da soll es super Bagels mit Lachs geben, habe ich gehört.“
Читать дальше