Wieviel –?
Fünfhundert Mark.
Billig! sagte der Anwalt und lehnte sich lächelnd zurück. Eine sehr billig erkaufte Erfahrung. Für fünfhundert Mark die Erfahrung erkauft, daß man in Gelddingen auch dem besten Freund nicht trauen darf. Wirklich äußerst billig.
Nach dem, was Sie mir erzählt haben, fing nun auch Justizrat Steppe an und wandte sich dabei an den Patentanwalt, werde ich sofort Betrugsanzeige erstatten. Sicher wird ein Teil des Geldes noch zu retten sein ...
Nichts werden Sie tun! schrie ich und sprang in solcher Wut auf, daß ich mindestens zwei Schnapsgläser umstieß. Aber das war mir jetzt ganz egal. Was fällt Ihnen denn überhaupt ein, hier über mich zu verfügen und mich anzumeckern?! Ich kann tun und lassen, was ich will! Ich kann Geld geben, wem ich will! Paulus Hagenkötter ist mein bester Freund ...
Mein sehr verehrter, lieber Herr Schreyvogel –! hörte ich die beschwörende Stimme von Justizrat Steppe.
Aber ich ließ mich nicht mehr halten, zu viel hatte sich in mir angesammelt. Es war mein erster kapitalistischer) Ausbruch – Justizrat und Patentanwalt imponierten mir nicht mehr die Bohne! Sie waren meine Angestellten, ich bezahlte sie, also schrie ich sie an.
Ich muß sagen, für den ersten Ausbruch meines Lebens machte ich meine Sache ausgezeichnet. Ich schrie wie beim Zahnbrecher – es war mir ganz egal, was Matz und die beiden Stenotypistinnen im Nebenzimmer sich dachten! Ich sehe noch Karlas große dunkle Augen ganz erschrocken auf mich gerichtet – dies hatte sie nicht in mir vermutet! Justizrat Steppe war nicht ganz so erschrocken, aber er hielt jetzt immerhin den Mund und malte mit dem Finger das gepreßte Samtmuster der Sessellehne nach. Der dicke Patentanwalt sah mich unverwandt an, er war der Ungerührteste, er zog regelmäßig an seiner Zigarre – sein elender Gleichmut machte, daß mein Zorn viel zu schnell verpuffte.
Na also! sagte er, als ich schließlich ermattet schwieg. Das war doch eine Erleichterung! Ich kenne das, Herr Schreyvogel, es ist bitter einzusehen, daß die Menschen alle aus Lehm gemacht sind. Lehm ist nur ein anständigeres Wort für Dreck. Vielleicht versöhnt Sie ein wenig der Gedanke, daß auch Sie aus Lehm gemacht sind, sprich Dreck, also in gleicher Lage auch nicht anders handeln würden als Ihr Freund.
Er sah aufmunternd zu dem Justizrat hinüber. Aber der Justizrat sprach kein Wort, er zeichnete weiter an seinem Sesselmuster. Ich bedauerte tief, daß mir erst jetzt aus dem Brief des Onkels Eduard der Konkurrent Justizrat Mehltau einfiel – den hätte ich ihm auch noch versetzen müssen!
Dann hörte ich Karlas Stimme: Wenn die Welt nur aus Gemeinheit bestünde, dann lebten längst keine Menschen mehr. Es gibt bestimmt Anstand und Ehrlichkeit und Freundschaft.
Ich schämte mich meiner bösen, rachsüchtigen Gedanken.
Der Anwalt sagte: Sie sind sehr jung, gnädige Frau. Zwanzig?
Mein Alter hat gar nichts damit zu tun, daß ich an Freundschaft und solche Dinge glaube!
Doch! Doch! Aber wer wie ich im Erwerbsleben steht! – Kommen wir also zur Sache! Wollen Sie mich drei Minuten ruhig anhören, Herr Schreyvogel?
Aber lassen Sie meinen Freund in Ruhe! drohte ich.
Ich werde überhaupt nicht von Ihrem Freund, ich werde nur zur Sache reden.
Jeder reiche Mann, sagte der Patentanwalt, bekommt ständig Bettelbriefe. Unter diesen Briefen machen die Anliegen sogenannter Erfinder einen hohen Prozentsatz aus. Sie zeichnen sich meist dadurch aus, daß sie, wird die Ausführung der Erfindung nur finanziert, dem Geldgeber für eine ganz geringe Einlage Millionengewinne versprechen. Meistens sind die Erfindungen außerdem noch segensreich für die ganze Menschheit –
Ich wagte Karla nicht anzusehen.
Nun liegt die Sache aber doch so, mein lieber Herr Schreyvogel, daß alle Fabriken, Werkstätten, Laboratorien der Welt ständig auf der Jagd nach brauchbaren Erfindungen sind. Das menschliche Gehirn ist gar nicht so klug, wie wir Menschen uns einbilden. Im besten Falle alle Jahrhundert fällt einem Menschen etwas wirklich ganz Neues ein. Es gibt praktisch keine verkannten Erfinder mehr. Über jede halbwegs brauchbare Idee stürzen sich Dutzende. Was da so an die reichen Leute schreibt, das sind entweder Phantasten oder – Betrüger!
Er sah mich fast väterlich freundlich an. Mir war schrecklich elend zumute. Ich wollte die Welt nicht so kalt und nüchtern sehen, ich wollte meine Illusionen behalten. Gewiß, manchmal hatte auch ich leise Zweifel an der Durchführbarkeit von Paulus Hagenkötters Plänen gehabt, dafür hatte schon Karlas nüchterner Kopf gesorgt, aber ich hatte ihn so gerne bewundert. Ich wollte mir nicht allen Glauben nehmen lassen ...
... Die Idee nun, die geschliffene Glaslinse durch einen anderen Stoff, Wasser, farbloses Öl oder dergleichen, zu ersetzen, wird mindestens alle Jahre einmal beim Patentamt angemeldet. Sie ist aber nicht patentfähig. Das moderne Linsensystem eines Mikroskops, Fotoapparates, Fernglases ist ein so kompliziertes Gebäude verschiedenartig geschliffener Linsen, daß es nie gelingt, Wasser oder einen anderen flüssigen Stoff ähnliche Formen annehmen zu lassen. Zudem verändert das Wasser, gelänge es selbst, es in eine bestimmte Linsenform zu bringen, unter dem Einfluß von Luft und Licht ständig seine Masse. Die Linse würde bei Lufttrockenheit beispielsweise immer dünner werden – ich erkläre Ihnen das ganz primitiv, Sie verstehen doch –?
Wider meinen Willen mußte ich mit dem Kopf nicken.
So etwas ist nur ein Hirngespinst, mein lieber Herr Schreyvogel. Solche Sachen kann man sich dutzendweise ausdenken. Auswertung der Blitze, Benutzung vulkanischer Kräfte und Wärme, Anzapfen von Regenwolken – alles Phantasterei! Es bleibt nun die Frage, ob Ihr Freund –
Er hat es bestimmt ehrlich gemeint, sagte Karla eilig. Vielleicht ist er wirklich ein bißchen phantastisch.
Darum hätte ich ihn gerne gesprochen. So ein armer Kerl verrennt sich schließlich in seine Idee, glaubt sich verleugnet von der ganzen Welt und landet schließlich bei dem Perpetuum mobile – ein vertanes Leben!
Herr Justizrat Steppe ließ sich endlich wieder vernehmen: Immerhin hat er, entschuldigen Sie, Herr Schreyvogel, aber es ist eine Tatsache, daß er sich immerhin sehr eilig fünfhundert Mark hat geben lassen. – Er setzte hinzu: Und daß er jetzt nicht kommt, es ist gleich halb sieben ...
Wieder war ich im Begriff, hitzig zu werden, da öffnete sich die Tür, und Bürovorsteher Fiete trat ein. Allein. Er trug in einer Hand ein poliertes braunes Holzkästchen, in der anderen einen Brief. Herr Hagenkötter kommt also nicht! sagte Justizrat Steppe, und ich hätte ihn umbringen können für den rechthaberischen Ton, in dem er dies sagte.
Der Anwalt nahm das Holzkästchen, öffnete es und sah hinein. Ein Mikroskop, teilte er mit. Anschaffungswert etwa fünfzig Mark. Neu.
Er sah mir freundlich ins Gesicht.
Ich öffnete den Brief, ich öffnete ihn ungern vor den beiden fremden (feindlich gesinnten) Zeugen, aber ich wußte nicht, wie ich es anders hätte tun sollen. Karla sah über meine Schulter.
In dem Brief war Geld: Silber und Scheine. Dazu ein Zettel.
Lieber Maxe, hieß es da, das hättest du nicht tun sollen, Erkundigungen über mich einziehen! Kracht glaubt, es ist etwas mit Alimenten oder der Polizei. Ich hatte Zank mit ihm deswegen, aber er hat mir nicht geglaubt, sondern hat mich entlassen.
Es kommt alles von dem schrecklichen Geld. Ich hätte die fünfhundert Mark nicht nehmen sollen. Ich schicke sie Dir wieder und das Mikroskop. Der Optiker wollte es nicht zurücknehmen, es hat 48 Mark 50 gekostet.
Ich mag nicht mehr in Radebusch sein. Ich gehe nach Berlin. Ich bin Dir nicht böse, ich weiß, es ist das schreckliche Geld! Wir sind immer Freunde gewesen und werden es immer weiter sein. Sobald ich eine Stellung habe, schreibe ich Dir.
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