Noch lange redeten wir über das Hagel-Mikroskop, wir erwärmten uns gewissermaßen daran. Es war nach den Enttäuschungen mit der sonstigen Freundschaft wirklich ein Labsal.
Und als Paulus Hagenkötter schließlich ging, war es doch nach zwölf geworden. Die fünfhundert Mark trug er bei sich. Wir hatten beschlossen, daß er sich sofort ein Mikroskop kaufen und mit den Tropfenversuchen beginnen sollte. Ich aber hatte es übernommen, das ganze Projekt Herrn Justizrat Steppe vorzutragen und ihn um Finanzierung anzugehen.
15. Kapitel
Der ewig mißtrauische Justizrat – Ich habe einen ›kapitalistischen‹ Wutausbruch – Umsonst, Paulus Hagenkötter entschwindet
Angesichts des Freundes waren mir am Abend unsere Pläne einfach erschienen, als ich dann aber am nächsten Mittag den kniffligen, kleinen Justizrat Steppe anschaute, wußte ich gleich, daß es Schwierigkeiten geben würde, und fand keinen Anfang. Der Justizrat hatte es so an sich: wenn man ihm etwas vorschlug, das ihm nicht gefiel, erstarrte er in Schweigen. Er sagte nicht ja, nicht nein, nicht so – er schwieg bloß und ließ einen alles dreimal sagen, bis man völlig leergelaufen war, ein Faß, das einmal etwas enthalten hatte, aber nun war bestimmt nichts mehr darin.
Er ist eben mein Freund, sagte ich am Ende ärgerlich, und schließlich ist es mein Geld!
Der Justizrat schwieg.
Ich sah Karla an, und Karla nickte mir ermunternd zu, mit fest geschlossenem Mund.
Ich habe ihm meine Hilfe versprochen! sagte ich noch ärgerlicher. Er wird ja das Geld nicht alles auf einmal brauchen. Aber vielleicht für den Anfang tausend Mark. Oder fünfhundert ...
Ich werde mit Obersteuerrat Neumann sprechen. Es muß wirklich wieder einmal eine Besprechung angesetzt werden. Die Sache rückt und rührt sich nicht.
Sie haben noch nichts zu der Erfindung meines Freundes gesagt, Herr Justizrat.
Ich verstehe nichts von Erfindungen. Ich bin Jurist. Aber ich habe mal in einem Buche gelesen, daß ein Erfinder sein und aller Freunde Vermögen verpulvert hat – für den Stein der Weisen!
Der Stein der Weisen ist kein Mikroskop!
Meine Pflicht ist es, Sie vor Schaden zu bewahren. Wenn Sie mich nach irgendeinem Papier fragen, sage ich: Gut, Herr Schreyvogel, es hat den und den Kurswert. – Über eine Erfindung kann ich gar nichts sagen.
Sie sind aber dagegen, Herr Justizrat!
Weil so etwas uferlos ist. Einmal haben Sie gesagt, er hat für seine Versuche zehntausend Mark verlangt, das nächste Mal sagten sie zwanzigtausend. Das ist eine Abweichung von hundert Prozent. So etwas ist kein Geschäft.
Er setzte hinterhältig hinzu: Sie sind noch nicht so lange reich, Herr Schreyvogel, daß Sie nicht mehr wissen: Zehntausend Mark sind sehr viel Geld, mehr Geld, als die meisten Menschen in ihrem Leben je auf einmal zu sehen bekommen. Wie denn erst zwanzigtausend –!
Karla sagte: Aber wenn Max es doch gerne will, Herr Justizrat! Bei der großen Erbschaft fallen zehntausend doch wirklich nicht so ins Gewicht!
Der Justizrat seufzte. Wenn es bei den zehntausend bliebe, liebe, verehrte gnädige Frau! Aber in dem Buch, das ich gelesen habe, hat der Erfinder sogar die Wäsche seiner Kinder verkauft, er hat seiner Frau Geld aus der Tasche gestohlen!
Man könnte vielleicht eine bestimmte Summe festsetzen –? schlug Karla vor.
Sehen Sie! rief der Justizrat und belebte sich. Wir machen einen Vertrag. Das ist immer das Beste. Der eine Teil weiß, was er zu geben, der andere, was er zu leisten hat. Ja, unsere liebe junge Frau! Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit – ich muß mich erst erkundigen, auch einen Patentanwalt befragen. Es werden einige Kosten entstehen, Herr Schreyvogel ...
Selbstverständlich! sagte ich. Einverstanden!
Aber es wurde mir doch etwas bänglich, als ich sah, welchen Apparat ich auf meines Freundes Hagenkötter Erfindung losließ. Über eine Woche lang hörten wir nichts. Paulus Hagenkötter ließ sich nicht sehen, trotzdem ich ihm doch bei den Herren Matz und Hutap freies Geleit erwirkt hatte. Und Herr Justizrat Steppe, den wir viel zu oft, nämlich im Durchschnitt zweimal täglich sahen, erwähnte diese Sache nicht.
Bis er uns lächelnd mitteilte, der Fall scheine ihm nun hinreichend geklärt. Er habe für alle Fälle Herrn Patentanwalt Kreis aus Berlin zugezogen. Wenn es uns recht sei, heute um halb sechs hier im Hotel –? Er werde Herrn Hagenkötter bitten lassen ...
Ein wenig bänglich sahen wir dem Nachmittag entgegen, Karla und ich. Paulus war immerhin unser letzter Freund.
Er wird es schon verstehen, tröstete mich Karla. Dir gegenüber ist Paul noch nie übelnehmerisch gewesen. Daß man über so etwas einen Vertrag abschließen muß, ist doch klar.
Aber unsern Herzen war es nicht ganz klar. Ein Freund ist ein Freund, und man hilft ihm, wenn man kann, ohne Erkundigungen und ohne Vertrag! Jetzt hatte alles einen so kalten, geschäftsmäßigen Anstrich bekommen, etwas so Unfreundschaftliches ...
Also es kamen nun Herr Justizrat Steppe und Herr Patentanwalt Kreis. Der Herr Doktor Kreis war ein blühender, rosiger Mann mit vielen Schmissen im Gesicht; er brachte einen Duft von Lavendelseife, Zigarren, gutem Essen und herrlichen Schnäpschen in unser ödes Zimmer.
Da haben wir also einen neugeborenen Millionär, sagte er lachend und klopfte mir ermutigend auf die Schulter. Na, für eine Neugeburt sehen Sie ganz stattlich aus, Herr Schreyvogel! Haben Sie es einigermaßen überstanden? Nun, ich sehe schon, das Übliche. Aber Sie werden sich daran gewöhnen! Das Schlimmste liegt hinter Ihnen, was, Herr Kollege –?
Und er lachte dröhnend, während Herr Steppe nur dünn lächelte. Aber er war erfrischend, der Herr Patentanwalt. Er hatte so gar keine Ehrfurcht vor uns und unserem Geld. Er bat um Kaffee, Kognak und Zigarren und erzählte uns zehn Geschichten von Leuten, die bloß das große Los gewonnen hatten und darüber verdreht geworden waren. – Sie müssen eine beneidenswerte Geistesgesundheit haben, Herr Schreyvogel! Nichts Tolles angestellt? Gar nichts? Eigentlich schade! Na, jetzt lassen Sie sich mit Erfindern ein, das ist wenigstens ein kleiner Anfang! Wo bleibt denn unser Erfinderchen? Es ist dreiviertel sechs.
Bis sechs sahen wir noch einigermaßen geduldig auf unsere Uhren, dann aber wurde Fiete hereingerufen, der sich so lange bei Sekretär Matz ohne Kaffee, Kognak und Zigarren die Zeit vertrieben hatte, und nach der Wohnung von Paulus Hagenkötter in Marsch gesetzt. Karla und ich wechselten Blicke, wir verstanden nicht, warum Paulus nicht kam. Und wir verstanden es doch sehr wohl: er wollte nicht, er hatte dieses ganze Aufgebot als Mißtrauen aufgefaßt und war böse mit uns!
Jaja, sagte der Justizrat und rieb nachdenklich seine Wange.
Ihr Bürovorsteher wird umsonst gehen, erklärte der Patentanwalt lächelnd. Ich kenne das –!
Wieso –? fragten wir.
Doch! Ich kenne das, wiederholte Doktor Kreis. Würden Sie mir eine Frage gestatten, Herr Schreyvogel –?
Aber gerne!
Und werden Sie bestimmt auch die richtige Antwort geben?
Aber natürlich!
Sie müssen sich nämlich vor Herrn Justizrat und mir nicht genieren. Wir wissen, wie Geld wirkt – auf alle.
Paulus Hagenkötter ist mein Freund!
War es, war es, mein lieber Herr Schreyvogel, war es! Sie werden sehen, er wird nicht kommen!
Ich machte eine ärgerliche Bewegung.
Der Anwalt sagte beschwörend: Werden Sie nicht jetzt schon böse! Sie werden es noch erfahren, daß es dort, wo es um Geld geht, weder Freunde noch Verwandtschaft gibt.
Paulus Hagenkötter ist anders!
Das hat vorher noch jeder gesagt! Und nun meine Frage: haben Sie unserem Erfinderchen schon Geld gegeben –?
Ich ärgerte mich wahnsinnig über den rosigen, schmissigen, dicken Mann, der so bereit war, meinen langjährigen Freund Paulus zu verdammen, ohne ihn angehört, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Aber ich hatte versprochen, die Wahrheit zu sagen, und so gestand ich denn, nach einem raschen Blick auf Karla, die mir unmerklich mit den Augen zuwinkte: Doch, das habe ich getan.
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