Er begann abwechselnd sorgfältig gegen den Knoten zu klopfen oder kräftig an ihm zu reiben. So entstand entweder ein vernehmliches Pochen oder ein kaum hörbares Schaben. Schwingungen, die vom Metall aufgenommen und weitergeleitet wurden. Er wiederholte die Nachricht und fügte am Ende jene Zeichen hinzu, die ihn als Kommunikations-Verstärker des Nord-West-Stammhauses identifizierten. Die Intensität der Schwingungen hatte ihm verraten, dass die Warnung des Süd-Süd-West-Stammhauses aus dem Süden und aus sehr großer Entfernung kam. Sein Zusatzzeichen würde am nachgeordneten Knoten darauf hinweisen, dass 74231 die Nachricht nur aufgenommen und weiter vermittelt hatte.
74231 beendete die Nachricht und stieß den neben ihm kauernden Namenlosen mit der Spitze des Klangstabes an. „Eile zum Stammhaus und überbringe der oberen Königsherrin die Nachricht“, forderte er den anderen mit den typischen Klick- und Zischlauten des Volkes auf. „Sie kommen und wir müssen sie aufhalten.“
Der andere Namenlose presste sich zur Bestätigung flach auf den Boden, richtete sich wieder auf und huschte davon. Auch wenn er ein einfacher Arbeiter und kein Krieger war, so begriff er doch die Bedeutung der Botschaft. Die Zweiläufer kamen und sie mussten sterben.
Mono-Rail, Panzerzug 03, Richtung Nord
„Noch ungefähr vier Stunden bis zum Ziel, junge Lady.“ Leroy hatte Joanas Frage vorausgeahnt, als sie erneut die Leiter zum Führerstand heraufkam. „Schneller geht leider nicht. Ich musste die Geschwindigkeit sogar noch weiter drosseln. Sie brauchen mir nicht zu sagen, dass Sie es eilig haben und dass Menschen in Gefahr sind.“ Er beugte sich zur Seite und klappte den Sitz für sie nach unten. „Das Radar hat Aussetzer. Ich fürchte, wir kommen in einen Sturm.“
„Ist das für diesen soliden Zug gefährlich?“
„Lady, hatte ich Ihnen nicht schon einmal gesagt, dass da ganze Felsen aus dem Wirbel geschleudert werden können? Solche Brocken sind auch für unseren gepanzerten Zug ein Risiko. Was die elektrischen Entladungen angeht … Nun, da können Sie sich beruhigt zurücklehnen und das Naturschauspiel genießen. Dieser ganze Zug ist ein rollender faradayscher Käfig. Da verpufft all der Saft, den dieser Wirbel gegen uns schleudern mag.“ Der Lokführer zog seine Eisenbahnermütze tiefer in die Stirn. „Es gibt sogar eine spezielle Isolierung zwischen unserer Radarkuppel, der Funkantenne und dem Rumpf meiner Lok.“
„Verstehe.“ Joana legte ihren Helm auf die Oberschenkel. „Das bedeutet also, dass Radar und Funk von einem Blitz getroffen und zerstört werden könnten?“
„Hm, das stimmt wohl“, brummte er. „Ist auf der West-Route schon einmal vorgekommen. Der Zug kam aber gut in Anlage 4 an.“ Er warf einen raschen Blick auf ihren Helm. „Vorhin hatten Sie das Ding aber nicht dabei.“
Sie lächelte. „Basari hat mir einen symbolischen Tritt in den Hintern verpasst und mich daran erinnert, dass der Druck da draußen recht unfreundlich ist und falls der Wagen ein Loch bekommt …“
„Solange ich am Steuer sitze, bekommt hier nichts ein Loch“, erwiderte der Lokführer pikiert. Dann lächelte er. „Na ja, es sei denn, so ein Brocken kommt geflogen. Wer ist Basari? Einer Ihrer Troopers?“
„Mein Sergeant-Major und ein guter Freund.“ Sie bemerkte das Flackern des Radardisplays und blickte durch die Scheiben hinaus. Es war ungewöhnlich hell für die Verhältnisse auf dieser Welt. Im Blau und Violett des Wirbels bildeten sich an einigen Stellen grünlich leuchtende Spiralen, die innerhalb des Sturms rotierten. Gelegentlich glühten sie weiß auf, doch Joana konnte keine Blitze beobachten. „Das wäre was für unsere Meteorologen“, murmelte sie.
Leroy hatte sein Headset aktiviert. „Hey, Dongen, mein Radar fällt aus. Wie sieht es bei dir aus? – Mist, habe ich befürchtet. Zieh den Kopf ein, ich fürchte, wir geraten in einen Sturm. – Was? Witzbold. Die Corporation zahlt uns so viel, dass da die Gefahrenzulage schon inbegriffen ist.“
Leroy schaltete ab und blickte kurz auf das Radar, welches nur noch undefinierbares Flimmern zeigte. „Kann nicht mehr lange dauern. Lady, Sie sollten Ihren Troopern sagen, dass es bald etwas zu sehen gibt.“
Joana informierte Captain Kelly und beobachtete dann wieder die vorbei gleitende Landschaft. Ein Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige verriet ihr, dass Leroy die Fahrt erneut reduziert hatte. Drei-Nord fuhr nun nur noch mit hundertsechzig Kilometern in der Stunde.
Obwohl sie darauf gewartet hatte, wurde sie vom ersten Blitz überrascht. Er war weit genug entfernt, so dass sie nicht geblendet wurde, und durchaus beeindruckend. Vielleicht lag es daran, dass der Wirbel bereits in rund fünfzig Meter Höhe begann, denn die Entladung glich nicht dem gezackten Gleißen, mit dem Elektrizität die Wassermoleküle der Luft normalerweise zum Glühen brachte. Sie ähnelte vielmehr einer turmdicken Säule, die urplötzlich zwischen Wirbel und Oberfläche stand.
„Beeindruckend, was?“ Leroy lachte. „Achten Sie beim Einschlag mal auf den Boden. Wenn Sie etwas Glück haben, dann sehen Sie dort eine Art grünes Gespinst aufleuchten. Nur ganz kurz, aber recht hübsch anzusehen.“
Jetzt zuckten immer mehr Blitze in den Boden. Die meisten in großer Entfernung, doch manche schienen Joana recht nahe. Tatsächlich konnte sie an einigen Stellen ein grünes Aufleuchten im Boden beobachten.
„Haben Sie eine Ahnung, was es damit auf sich hat?“
Leroy zuckte mit den Schultern. „Ein Geologe, den ich mal zur Anlage 7 fuhr, hat behauptet, das hinge mit dem grünen Metall zusammen, dass sich wie ein unregelmäßiges Netz durch den Boden zieht und das die Corporation hier abbaut.“
„Interessant“, murmelte sie. „Erscheint mir logisch. Metall zieht Blitze an.“
Über ihnen gleißte es grell. Ein Blitz war nicht in die Oberfläche, sondern von einem der blauen Wirbel in einen anderen übergesprungen worden.
„Hoppla.“ Für einen kurzen Augenblick versteifte Leroy sich.
„Was ist los?“
„Ein Stück neben uns ist gerade ein Felsbrocken eingeschlagen“, antwortete er. „Ein ziemliches Teil. Der hätte uns schwer zugesetzt.“
Der Lokführer schien jedoch nicht besonders beunruhigt. Vielleicht war er Fatalist und sagte sich, dass man das Unausweichliche nun einmal hinnehmen musste, denn der Panzerzug konnte einem aus dem Wirbel stürzenden Felsen schwerlich ausweichen.
Joana zuckte zusammen. Für Augenblicke erlosch die Beleuchtung und alle Anzeigen wurden dunkel. Aus den Tiefen der Lokomotive war das Fluchen von Maschinist Bowler zu hören, dann ein lautes Schnappen und die interne Elektrik des Zuges wurde wieder aktiv.
„Kein Grund zur Sorge, Lady.“ Leroy schob seine Kappe jetzt ein Stück in den Nacken. „Das war ein Einschlag. Obwohl wir prima isoliert sind, kann es schon mal geschehen, dass bei uns die Sicherung herausspringt. Dann drückt Bowler sie wieder rein und alles ist wieder in bester Ordnung.“
Einmal sah Joana eine Sandfontäne aufsteigen. Dort musste ebenfalls ein Felsen eingeschlagen haben. Sie nahm sich vor, bei Gelegenheit einen Meteorologen zu fragen, wie ein Wirbelsturm, der konstant fünfzig Meter über dem Boden rotierte, massive Felsen aus dem Untergrund lösen und mit sich führen konnte. Gab es irgendwo, ähnlich einem Tornado, einen oder mehrere Trichter, die eine Verbindung herstellten und wie ein Saugrüssel funktionierten? Soweit sie wusste, war das Auge der einzige Trichter in diesem planetenweiten Sturm, aber beim Briefing hatten sie und die anderen sich auch nicht für diese Frage interessiert. Inwieweit ähnelte die Wirbel-Welt dem Jupiter im solaren System, der ebenfalls von einem planetaren Sturm umspannt zu sein schien und dessen Auge ein stetes Motiv für Dokumentationen war?
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