1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 „Das rote Haus?“, fragte Greg ungläubig. Er starrte auf das besagte Gebäude. „Hier holen wir den Sauerstoff für Ihren Ramon ab? In dieser Bruchbude?“
Es war ein altes Haus aus rotem Backstein, mit verwitterten Fenstern und einem Labyrinth aus stählernen Feuerleitern, die wie Parasiten in der Wand hingen, um sich von dem alten Gemäuer zu ernähren, bis alles Leben aus den Steinen verschwunden war. Greg fragte sich jedes Mal, wozu diese Feuerleitern eigentlich gut waren. Vermutlich waren sie die Erfindung eines Hollywood-Regisseurs, der eine passende Kulisse für seine Actionfilme benötigte.
Bahar war inzwischen ausgestiegen. Ihre Lederjacke hatte sie ausgezogen und auf den Sitz geworfen. Sie ging die Treppen zur Eingangstür hoch und drückte auf einen der Klingelknöpfe. Greg folgte ihr. Ihm war nicht wohl zu Mute. ‚Auf welches Abenteuer habe ich mich hier eingelassen? Ich weiß nichts von dieser Frau. Was ist, wenn sie mich wirklich in die Falle lockt und in der Wohnung die Männer von der Security auf mich warten?’ Greg wollte sich das Szenario lieber nicht ausmalen.
Er schaute auf das Klingelschild, auf dem kein Name stand. Das Papier war vergilbt, der Klingelknopf hatte Patina angelegt.
„Wann hat hier zum letzten Mal jemand geklingelt? Ich meine vor Ihnen, viele können es nicht gewesen sein“, meinte Greg, während er sich anschickte, die Namen auf den restlichen Schildern zu entziffern. „Dieses schmucke Haus wird ausschließlich von Aliens bewohnt“, sagte er. „Welcher menschliche Amerikaner heißt schon Harataffenrut oder soll es Harallemsut heißen? Was haben Sie mit mir vor?“
Ehe Bahar antworten konnte, summte es an der Tür. Sie stemmte sich mit der rechten Schulter dagegen und stieß sie mit ihrem ganzen Körpergewicht auf. „Diese Tür macht mich noch wahnsinnig“, sagte sie.
Greg folgte ihr unaufgefordert durch den halbdunklen Flur. Von der Decke baumelte eine einsame Glühbirne, ihr matter Schein tauchte die Wände in gespenstisches Licht. Greg konnte nicht viel erkennen.
Im Erdgeschoss wurde eine Wohnungstür geöffnet. Eine hünenhafte Gestalt trat in den schummrigen Flur. Greg erschrak. Er hatte nicht wirklich Angst, aber für einen Moment waren seine Nerven zum Zerreißen gespannt.
Greg kam vorsichtig näher. Da erkannte er, dass der Mann vor ihm ein Indianer war. Er hielt verdutzt inne und starrte ihn ungläubig an. Der Indianer war um die 30 Jahre alt, groß und korpulent. Sein langes schwarzes Haar hatte er zu zwei Zöpfen geflochten, der massige Leib steckte in einem gelben XXL-T-Shirt, dazu trug er eine kurze, blaue Wollhose.
„Hier“, sagte dieser zu Bahar, „zwei volle Flaschen für Ramon Black Bear.“ Die Zeit für ihn ist noch nicht gekommen, ins Land der Tausend Zelte zu wandern.“ Er stellte die schweren Flaschen vor sich auf den Boden.
„Das ist Greg“, sagte Bahar und deutete auf ihren Begleiter. „Er hat mich hergefahren.“
Der Indianer musterte Greg kurz und murmelte ein „How Kola“ zur Begrüßung, ehe er ihm die Stahlflaschen in die Hand drückte. „Für mich sind sie zu schwer“, sagte Bahar.
„Es ist spät“, murmelte der Indianer, „ich habe Frühschicht und muss ein paar Stunden schlafen.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür.
Bahar machte kehrt und ging schnellen Schrittes in Richtung Ausgangstür, während Greg wie versteinert mit den beiden Flaschen im Flur stehen blieb. „Das war ein Lakota“, murmelte er. ‚Verdammt, werde ich diese Wilden nie los? Was macht ein Lakota in New York und was hat er mit Bahar und diesem Ramon zu tun? Und wer zum Teufel ist Black Bear?“
„Willst du hier Wurzeln schlagen?“ Die Frage von Bahar riss Greg aus seinen Gedanken. Sie stand an der geöffneten Tür und wartete. „Schön, dass wir endlich du zueinander sagen“, meinte er lächelnd.
„Wir müssen los, Akasha wartet auf uns. Ramon geht es wirklich schlecht, er benötigt seinen Sauerstoff.“
Greg spürte, wie sie voller Sorge um den alten Mann war. Befürchtete sie wirklich, dass dieser Ramon sterben könnte? Greg folgte ihr durch die Tür zum Auto. Umständlich hievte er die zwei Sauerstoff-Flaschen auf die engen Rücksitze seines Porsches. Er und Bahar stiegen rasch ein, Greg gab Gas und schon war das Haus mit den Feuerleitern aus dem Rückspiegel verschwunden.
„Wer war das?“, fragte er.
„Ein Freund, er heißt Jeff.“
„Wie kommt ein Indianer an zwei Sauerstoff-Flaschen?“
Bahar sah ihren Fahrer abschätzig an, als wollte sie abwägen, was sie ihm erzählen durfte und welche Informationen sie besser für sich behielt.
„Jeff arbeitet als Pfleger in einem Krankenhaus“, antwortete sie.
„Ein Lakota, der in einem Krankenhaus als Pfleger arbeitet, ich fasse es nicht.“
„Woher weißt du, dass er ein Lakota ist?“ Diesmal klang echte Überraschung in ihrer Stimme.
„Woher ich das weiß?“ Greg atmete tief durch. „Das ist eine lange Geschichte, zu lang für diese kurze Autofahrt. Wenn es dich wirklich interessiert, erzähle ich sie dir eines Tages."
Jetzt war Bahar neugierig geworden. „Nur kurz“, bat sie. „Ein New Yorker Banker, der nachts einen Indianer vom Stamm der Lakota erkennt, erkläre mir dieses Phänomen!“
„Ich bin in South Dakota unter den Lakota aufgewachsen. Wir lebten am Rande der Reservation in der Stadt Rapid City.“
„Hast du indianische Wurzeln?“
Greg machte ein erschrockenes Gesicht. „Gott behüte, nein. Mein Vater war Mitarbeiter der Regierung. Er arbeitete in der Behörde für indianische Angelegenheiten. Ich bin so weiß, wie man weißer nicht sein kann.“
„Du musst eine spannende Kindheit gehabt haben. Nach dem, was du erzählst, stelle ich sie mir sehr interessant vor.“
„Im Gegenteil, meine Kindheit war schrecklich und ich bin froh, dieser Welt entkommen zu sein. Ich lebe gerne in New York und ich habe nicht die Absicht, je wieder nach Rapid City zurückzukehren.“
„Besuchst du deine Eltern nicht?“
„Mein Vater ist tot. Mit meiner Mutter treffe ich mich einmal im Jahr in Florida. Wir machen zusammen ein paar Tage Urlaub. Länger geht es mit uns beiden nicht gut, wir leben in zu verschiedenen Welten.“
Bahar musste an ihre Mutter denken, an diese stolze und mutige Frau. Wie gern würde sie mit ihr in den Urlaub fahren, mit ihr lachen und über das Leben philosophieren!
Sie blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Die beleuchteten Hochhäuser huschten, wie an einem Band gezogen, an ihr vorbei. Die Erinnerungen an ihre Mutter machten Bahar wehmütig. Sie sehnte sich nach ihrer Familie und ihrer Heimat. In Momenten wie diesen spürte sie den warmen Wind, der im Sommer durch Tabriz strich, auf ihrer Haut. Es war wie eine sanfte Berührung aus einer anderen Welt.
Greg war erleichtert, dass Bahar nicht mehr Geschichten aus seinem Leben mit Indianern hören wollte. Wie beiläufig wechselte er das Gesprächsthema. „Was ist das für eine Tätowierung auf deinem Unterarm?“, fragte er. „Das muss höllisch wehgetan haben.“ Dabei deutete er auf das Tattoo, das er nur schemenhaft sehen konnte.
Greg war kein Freund von Tattoos. Im Gym waren sie fast alle tätowiert, Männer wie Frauen. Greg fand das affig. Besonders bei Frauen, die oft ihren ganzen Körper mit bunten Bildern zugestochen hatten. Er kannte ein Mädchen, das sich zwei rauchende Colts auf die Oberschenkel hatte tätowieren lassen, eingerahmt von roten Rosen. Und auf der oberen Schulter prangte das Konterfei von Billy the Kid.
Besonders beliebt bei den Frauen im Gym waren indianische Motive. Knochenketten, Adlerfedern und Armbänder. Greg konnte nicht verstehen, wie man sich als halbwegs intelligenter Mensch freiwillig so verstümmeln lassen konnte.
Bahar streckte ihm wortlos ihren linken Unterarm entgegen. Greg warf einen kurzen Blick darauf und erschrak. Bahar hatte sich das Porträt von Che Guevara auf den Unterarm tätowieren lassen.
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