Eike Stern
Der Tod des Houke Nowa
Königin der Westsee Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel Eike Stern Der Tod des Houke Nowa Königin der Westsee Teil 1 Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10.Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17.Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
Impressum neobooks
Zahllose Dachgärten, Dattelpalmen und der traditionelle Karawanen-Rastplatz außerhalb des Stadttors verliehen dem alten Aschkelon das Gepräge des Vorderen Orients. Alle drei oder vier Tage kroch eine neue Karawane wie eine dünne Staubfahne aus den goldbraunen Bergen hervor. Wenn sie eintraf, entfaltete sich ein reges Treiben um die von Akazien und Mimosen beschatteten Teiche vor der Mauer. Zumeist bestand die Ladung aus Gestrüpp, neben Schaf- und Kameldung in diesen holzarmen Ländern das wichtigste Brennmaterial. Dumpf aufprallend fielen die aufgetürmten Lasten von den hohen Rücken geduldiger Dromedare. Die befreiten Lasttiere vollführten lustige Sprünge, grunzten zufrieden und beschnupperten und liebkosten einander. Schlürfend und mit triefenden Lefzen mahlend, wälzten sie sich mit peitschendem Wedel im glitzernden Sand oder verharrten hängenden Kopfes, mit gespreizten Beinen und träumender Seele im Farbenchaos der sinkenden Sonne.
Ein hochgewachsener junger Mann in einem luftigen Chiton musterte zerknirscht die verwitterten Gesichter der zum Teich taumelnden Lastenträger. Er hatte leidenschaftliche Lippen und trug die dunkelblonden Locken hinter die Ohren gestrichen, das betonte seine hohe Stirn. Der Name Houke passte zu ihm und seinen lebhaften Bernsteinaugen, die Sandalen verrieten, hier kam kein Hungerleider. Ihm war in die Wiege gelegt, dem größten Mann seiner Zeit Paroli zu bieten, doch er würde sich kreuzweh lachen, hätte man ihm das zu diesem Zeitpunkt prophezeit. Er war ein Luftikus, gehörte zu denen, die darin glänzen, endlos über alles reden zu können. Widersprüche pflegte er mit leichter Hand hinweg zu fächeln. Was ihn nicht vergnügte, lehnte er ab, schaltete dann stur auf Gleichgültig gegenüber allem, was zwischen zwei Mahlzeiten liegt und entwickelte eine erstaunliche Fertigkeit, sich vor jeglicher Verantwortung zu drücken. Mit anderen Worten, er war das Nesthäkchen im Haus seiner Väter, weigerte sich, erwachsen zu werden und hielt das für Stärke. Gewohnheitsmäßig vergewisserte er sich mit einem Griff in die Umhängetasche, ob der handzahme Hamster, den er darin spazierentrug, noch an seinem Platz war. Neben diesem possierlichen kleinen Gesellen begleitete ihn gewöhnlich ein gleichaltriger Bursche von schlaksiger Gestalt, der sich in einem Fetzen von Ziegenfell nicht wesentlich von den halbnackten Trägern abhob. Lausbübisch grinsend machte er Houke auf eine Gruppe vornehmer Reisender aufmerksam, alle in wallenden weißen Gewändern, reich bestickt und Goldreife an den Unterarmen.
Auf dem Schlitten in ihrer Mitte stapelten sich wachsbeschichtete Silberttafeln. Es erweckte den Eindruck, die Verantwortlichen gingen die jüngsten Verluste an Lasttieren durch. Der Älteste im Führungsstab der Karawane hantierte gekonnt mit einem Stahlgriffel. Ein reger Wind bauschte seinen Leinenmantel, während er den verlesenen Namen mit einem Haken versah. Der Freund wies Houke mit dem kleinen Finger diskret jenen, der sich aufmerksam dazu am Kinnbart fummelte, es erhaben abnickte und eigentlich nur mit regloser Miene lauschte. „Schau dir mal seine Ringe an.“
Freudig registrierte Houke einen klotzigen Smaragd an dessen Hand und war schon mit drei Schritten zu dem Mann hin. „Verzeiht, edler Herr, wenn ich störe“, unterbrach er sie forsch. „Seid Ihr der Karwan-Baschi?“
Der Angesprochene leitete immerhin ein Konsortium, das sich aus 87 Händlern und Krämern und 873 Lasttieren zusammensetzte und fühlte sich nicht auf Augenhöhe mit ihnen. Ärgerlich hob er das spitze Kinn.
Houke ahnte, es waren die üblichen Vorbehalte gegen die Jugend und steckte es mit verkniffenen Lippen weg. Aber er war kein Kameltreiber, hatte sich nie mit niedriger Arbeit die Hände schmutzig gemacht. Ihn regte auf, wie eine lästige Schmeißfliege mit einer ungnädigen Handgeste abgeschüttelt zu werden. „Es geht mir um eine überfällige Sendung Gewürze aus Babylon“, fügte er hastig bei. „Verantwortlich ist ein gewisser Jawan. Führt ihr den oder einen Unterhändler namens Aguschi in den Listen? Ist ein Sohn des Egibi, ansässig am Tuchbazar Babylons. Wenn ja, wo finde ich den?“
Der Älteste der Anführer des Zuges kratzte sich gelangweilt die hagere Wange und überflog flüchtig die letzte Tafel. „Du redest wirr daher. Bei uns hat sich weder ein Jawan noch ein Aguschi eingeschrieben. Beide Namen befremden mich.“
Der Karwan-Baschi lächelte milde. „Oh. Vermutlich schrieb er sich bei der Karawane ein, die zwei Tage vor uns Medina passierte.“
Er trat dichter an Houke heran und senkte die Stimme. „In dem Fall habe ich üble Neuigkeiten. Bei Omars Oase gab es ein Massacker. Sämtliche Geier, Schakale und Hyänen von hier bis Damaskus haben sich eingefunden.“
estürzt starrte Houke auf das lebensfeindliche öde Sandmeer hinaus und verzog den Mund, als hätte ihm etwas den Appetit verdorben. Die heimliche Befürchtung, räuberische Beduinen könnten das Ausbleiben der überfälligen Gewürze verschulden, hatte sich erschütternd bewahrheitet. Der Verlust einer kompletten Sendung dürfte die Geschäftsbeziehung mit ihrem Mann in Babylon erheblich trüben. Weil nämlich sein Vater mit dem, was Kardamon und Pfeffer aus Babylon einbrachte, das Olivenöl bezahlte, das er seinerseits per Karawane in den Fernen Osten sandte.
Houke war alt genug, es nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und zu jung, die wahre Tragweite für die eigene Person so schnell zu erfassen. Für gewöhnlich oblag ihm, den Händler für Gewürze abzufangen und ins Haus der Väter einzuladen. Nun fiel ihm zu, die folgenschwere Nachricht dem Vater zu überbringen, und sein Freund merkte, wie einsilbig er wurde und verabschiedete sich.
Langsam breitete sich schon das Zwielicht in den verwinkelten Gassen aus, die hinter dem Stadttor auf die Hauptstraße mündeten. Wie immer zu dieser Stunde spielten die nackten Kinder aus dem Gesinde vor dem Hauseingang mit ihren Murmeln.
Sein greiser Vater verbrachte die Stunde des Dämmerns gewöhnlich im Garten des Innenhofs, unter offenem Himmelszelt. Der Geruch reifender Früchte lag in der Herbstluft, und der verflieste Säulengang versank allmählich im Schatten der Nacht. Hartak, der Patriarch, der die Fäden im Haus Nowa zog und das Siegel verwahrte, saß vorgebeugt auf der Steinbank, die Hände im Nacken gefaltet, die Augen düster gesenkt auf das vergilbte Laub zwischen dem Immergrün.
Houke fasste sich ein Herz, berichtete also und schloss mit dem Gedanken, „demnach dürfen wir davon ausgehen, unser Olivenöl erreichte unbeschadet Egibis Lagerhaus. Uns trifft kein Verschulden, da wir unseren Teil des Geschäfts erfüllt haben. Du solltest froh sein, Vater.“
Ohne mit einer Wimper zu zucken hörte der Alte ihn an und musterte Houke mit einem ganz und gar ungläubigen Ausdruck um den Mund, wie im zarten Knabenalter, als er allen Ernstes fragte, ob andere Städte auch einen so großen Mond hätten. „Froh?“, wiederholte er tonlos. „Das wäre zuviel. Wenigstens haben wir Klarheit.“
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