Greg zog den zerknitterten Anzug an und ging in die Küche, wo Akasha bereits am Tisch saß und seinen Kaffee schlürfte. „Eigentlich sollte ich Tee trinken, aber ich bekomme dieses weichgespülte Gesöff morgens nicht durch den Hals“, sagte er. „Mein Körper schreit nach einem starken Kaffee. Ohne Koffein komme ich morgens nicht auf Touren. Stark, mit einem Schuss Milch und zwei Würfel Zucker. Was trinkst du, Tee oder Kaffee?“
„Darf ich deinen probieren?“
Akasha hielt Greg die Tasse hin und der nahm einen kleinen Schluck. Kaum hatte er den Kaffee auf der Zunge, liefen seine Geschmacksnerven Amok. Greg sprang auf und lief zur Spüle, wo er das Gesöff wieder ausspuckte. „Willst du mich vergiften?“, rief er aufgebracht. „Ist das die Rache für meine letzten Gemeinheiten?“
Akasha lachte. „Ihr Amerikaner trinkt braunes Wasser und nennt es Kaffee. Bei mir zu Hause in Deutschland landet das als Abwaschwasser im Gully. Ihr habt keine Kultur, erst recht keine Kaffeekultur.“
„Dachte ich mir doch, dass du aus Deutschland kommst“, meinte Greg. „Dein Akzent hat dich verraten. Woher aus Deutschland? München? Ich kenne das Münchener Oktoberfest.“
„Aus Bremen.“
„Bremen? Nie gehört.“
Greg nahm einen großen Becher aus dem Regal, füllte ihn zu einem Drittel mit Akashas aufgebrühtem Kaffee, den Rest füllte er mit heißem Wasser auf.
„Ich wollte duschen und stand mit den Füßen in einer abgestandenen Brühe. Von oben kam kein Wasser. Ist das bei dir immer so?“
„Der Wasserdruck lässt nach einmal Duschen nach. Du musst zwei Stunden warten, dann stehst du unter den Niagarafällen. Das mit der Brühe tut mir leid, wahrscheinlich liegt es daran, dass der Abfluss verstopft ist. Vermutlich sind im Ausguss zu viele Haare.“
Für ein paar Minuten herrschte Stille in der Küche. Die beiden Männer saßen friedlich am Tisch und tranken ihren Kaffee. Sie schauten aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Haus. Bis Akasha das Schweigen brach: „Wer wollte dich heute Nacht umbringen? Und warum?“
„Meine Abteilung hat zwei Milliarden Euro verzockt. Ich habe es vorgezogen, erst einmal unterzutauchen, bis sich der Sturm gelegt hat. Dass mein oberster Boss so schnell nach mir suchen lässt, habe ich allerdings nicht erwartet. Wahrscheinlich haben die Bluthunde bereits meine Wohnung auf den Kopf gestellt, um nach Unterlagen zu suchen. Die Jungs machen das sehr gründlich. Bei mir zu Hause wird es aussehen wie auf dem Schlachtfeld. Dagegen ist deine Wohnung hier ein aufgeräumtes Luxusappartement.“
„Du erzählst mir Schauermärchen!“
„Meinst du, wenn es anders wäre, würde ich hier sitzen und mit dir Kaffee trinken? Ich müsste längst im Büro sein. Ich werde später meine Sekretärin anrufen und sagen, dass ich krank bin. Das gibt mir die Gelegenheit, die Situation zu überdenken. Momentan habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich aus diesem Schlamassel heil herauskomme.“
„Du hast nicht wirklich zwei Milliarden Dollar verzockt, oder? Mein Gott, so viel Geld! Damit könnte ich mir ein prima Studio einrichten, mit allen Schikanen. Für jeden Kunden gäbe es zur Begrüßung ein Glas Champagner. Und den Rest würde ich an die Dritte Welt spenden. So wie Bill Gates.“
Greg lächelte. „Die zwei Milliarden fehlen in der Bilanz der Bank, die gibt es nicht in bar. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Die gesamte Abteilung hatte ihre Hände im Spiel. Doch ich bin, beziehungsweise ich war der Boss der Truppe. Auf mich wartet der Henker.“
„In diesem Haus bist du sicher, hier sucht dich kein Mensch.“
Greg holte sein Handy aus der Hosentasche. „Übrigens habe ich Che Guevara gegoogelt”, wechselte er das Thema. „Der Mann wurde am 9. Oktober 1965 in Bolivien in einem winzigen Schulgebäude erschossen. Es gibt Fotos von seiner aufgebahrten Leiche und jede Menge Augenzeugenberichte. Ein CIA-Agent namens Felix Rodríguez behauptet, die Pfeife von Guevara zu besitzen. Che soll sie ihm geschenkt haben, bevor er von einem betrunkenen Soldaten erschossen wurde. Also erzähle mir nicht, Ramon Juarez sei Che. Der echte Guevara hatte auch keine Narbe auf der linken Wange. Der alte Mann über uns hat eine blühende Phantasie.“
Akasha schlürfte weiter seelenruhig seinen starken Kaffee. In seinem weiten, langen Micky-Mouse-T-Shirt und der blauen Jogginghose saß er wie ein kleiner Buddha auf dem knallroten Küchenstuhl. Die Ruhe und Gelassenheit, die der Mann ausstrahlte, machte Greg erneut unruhig.
„Sag was dazu“, forderte er Akasha auf.
„Was soll ich dazu sagen?“
„Warum du und Bahar überzeugt seid, dass der halbtote Ramon Che Guevara ist. Das ist doch lächerlich.“
„Findest du?“
„In unsere Bank kam mal ein Kunde, der behauptete, er sei Aristoteles Onassis. Er wollte eine Milliarde Dollar von seinem Konto abzuheben. Als er höflich aber bestimmt gebeten wurde, die Schalterhalle zu verlassen, wurde der Mann rabiat. Sicherheitsbeamte mussten ihn festhalten, bis die Polizei kam. Der Kerl war aus der Psychiatrie ausgebrochen.“
„Du hast Glück, dass Che einen Narren an dir gefressen hat. Ich hätte dich längst vor die Tür gesetzt. Du bist eine respektlose Person, der jedes Benehmen fehlt. Es wundert mich nicht, dass dich die Indianer aus dem Reservat geworfen haben. In meinen Augen bist du ein Krimineller, der seinen Arbeitgeber um viel Geld gebracht hat. Ich bin kein Kapitalist und kein Freund von Banken, aber so einen großkotzigen Typen wie dich hätte ich auch nicht gerne als Angestellten.“
Akasha erhob sich von seinem Stuhl, baute sich vor Greg auf und sah ihn abschätzig an. Dieser verbale Angriff kam für Greg völlig überraschend. Er wollte keinen Streit mit dem kleinen Tätowierer und versuchte ihn zu besänftigen, aus Sorge, Akasha könnte ihn vor die Tür setzen.
„Ich habe das nicht so gemeint“, bemühte er sich, die Situation zu entschärfen. „Die Geschichte mit Che ist aber auch zu außergewöhnlich, das musst du zugeben. Wie und wo hast du eigentlich Ramon kennengelernt?“
Akasha hatte sich wieder beruhigt. Er schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. „Möchtest du ein Spiegelei?“, fragte er Greg.
Der nickte mit dem Kopf. „Ja gerne, ich habe Hunger.“
Im Fernsehen liefen die Nachrichten bei NBC. Greg wurde kreidebleich, als er das Gebäude der JP Morgan über den Bildschirm flimmern sah.
„Amerikas profitabelste Bank, die JP Morgan Chase, hat mit riskanten Finanzwetten rund zwei Milliarden Dollar verloren“, sagte der Sprecher. „Bankchef Jamie Dimon bestätigte den Skandal bereits. In einem Interview mit NBC sagte Dimon: `Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir schlampig und dumm gehandelt haben. Es gab mehrere Fehleinschätzungen.’ Dimon kündigte eine Untersuchung an und schloss personelle Konsequenzen nicht aus. Die Aktie von JP Morgan Chase verlor an der New Yorker Börse 9,3 Prozent und sackte auf 36,96 Dollar. Die Börsenaufsicht hat sich eingeschaltet.“
Der Bericht endete mit der Ankündigung: „Ein ausführliches Interview mit Jamie Dimon sehen Sie im Mittagsmagazin.“
„Glaubst du mir jetzt?“, wendete sich Greg aufgebracht an Akasha, der seelenruhig vier Eier in der Pfanne brutzeln ließ.
„Doch kein Märchen“, grummelte der Tätowierer. „Echt krass. Ich bin nur froh, dass ich mein Geld nicht bei JP Morgan angelegt habe.“ Er lachte und schwenkte die Pfanne.
„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“
Akasha blickte Greg fragend an. „Was erwartest du? Du hast mir die Wahrheit erzählt und das finde ich lustig. Diese Ehrlichkeit hätte ich von dir nicht erwartet. Das amüsiert mich.“
„Ich werde gejagt und du lachst. Weißt du, welche Nachricht morgen in den Zeitungen stehen könnte? Manager der JP Morgan Chase begeht Selbstmord. Das Motiv ist nicht bekannt. Die Bank trauert um seinen Mitarbeiter und spricht den Angehörigen ihr Beileid aus. Du trinkst Kaffee mit einem Todgeweihten.“
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