Was er hörte ergab Sinn. Tatsächlich ließen Dribs Worte das elende Gefühl in seiner Magengegend verschwinden. Aber so schnell, wollte Erif nicht glauben, dass er nichts falsch gemacht hatte. Diese Menschen waren schließlich durch ihn umgekommen.
„Aber sie hätten dabei nicht sterben müssen, es wäre doch sicher auch anders gegangen.“
Drib gab ein langgezogenes Geräusch von sich. Ob das wohl ein Seufzer gewesen war?
„Erif, weißt du wo der Unterschied zwischen jemanden, der sich wehrt und einem Mörder liegt? Der Mörder will jemanden töten und müsste es aber nicht tun. Jemand der sich verteidigt, will niemanden töten, ist aber manchmal gezwungen es zu tun. Außerdem hast du doch versucht den Kampf zu verhindern. Ich habe dich schließlich beobachtet. Vielleicht hätte sich die Auseinandersetzung auch wirklich verhindern lassen, aber das was dazu nötig gewesen wäre, hattest du nicht. Dir fehlte die Erfahrung.“
Dieses Mal war Erifs Nicken aufrichtig. Er hatte niemanden töten wollen. Das einzige was er gewollt hatte, war sich sein Leben zu bewahren. Die Banditen hatten ihn gesucht nicht er sie. Das elende Gefühl hatte sich mittlerweile verflüchtigt. Trotzdem blieb ein bitterer Beigeschmack. Nach wie vor war er nicht stolz darauf die Räuber oder die Soldaten auf der Lichtung getötet zu haben, aber Drib hatte recht. Er hatte den Kampf nicht gesucht.
Dankbar blickte er zu dem Feuerfalken hinauf. Seine Worte waren Balsam für Erifs Seele gewesen. Immer noch unbewegt saß Drib auf der Dachkante der Taverne und sah ihn forschend an.
„Und? Geht es dir jetzt besser?“
„Ja. Ich denke es wird schon wieder.“
„Das freut mich zu hören.“
„Ich möchte mich noch einmal entschuldigen. Beschimpfen wollte ich dich wirklich nicht. Es tut mir leid.“
Drib betrachtete ihn noch eine Weile bevor er antwortete.
„Ich nehme deine Entschuldigung an.“
Eine Frage drängte sich Erif auf. Wieso war Drib eigentlich gekommen?
„Warum bist du überhaupt hier? Ich gehe nicht davon aus, dass dich nur um meine Seele kümmern wolltest.“
„Ich bin gekommen um mich für eine Weile zu verabschieden.“
Erif war verwirrt.
„Du hast sicher deine Gründe dafür. Dürfte ich wissen was du zu erledigen hast? Vielleicht könnte ich dir dabei helfen.“
„Nein, das ist etwas wobei du mir nicht behilflich sein kannst. Ich danke dir dennoch für dein Angebot. Ich werde meine Artgenossen davon unterrichten, dass der Phönix erschienen ist. Man sagt wir seien gleichzeitig die Abbilder, als auch die Diener und Vertrauten des Phönix. Es ist also die Pflicht jedes Feuerfalken unsere gesamte Art darüber zu informieren, wenn er auftaucht.“
Erif fiel es schwer sich eine Versammlung von Feuerfalken vorzustellen. Bis vor kurzem hatte er noch nicht einmal gewusst ob es sie noch gab, geschweige denn, dass sie sprechen konnten.
„Wie lange wirst du in etwa brauchen?“
„Das kann ich nicht sagen. Wir sind weit verstreut.“
„Gibt es viele von euch?“
„Mehr als du glaubst.“
Damit konnte Erif nicht viel anfangen. Er hatte vor einigen Wochen noch nicht einmal gedacht einen Feuerfalken zu Gesicht zu bekommen.
Ein Hauch von Trauer überkam ihn. Drib hatte er erst heute wirklich kennen gelernt und dennoch fand er seine Anwesenheit als angenehm.
„Solltest du mich suchen, Drib, dann findest du mich vermutlich in Latípac oder auf dem Weg dorthin.“
Der Feuerfalke ließ seinen Blick Richtung Süden schweifen.
„Dein Ziel ist also die Hauptstadt des Hochkönigreiches. Sei vorsichtig auf dem Weg dorthin. Es lauern überall Gefahren. Aber mach dir keine Gedanken, ich finde dich schon, egal wo du bist.“
Erif hatte zwar keine Ahnung wie Drib das anstellen wollte, zweifelte aber nicht im Geringsten daran. Feuerfalken kannten offenbar Mittel und Wege um dergleichen zu bewerkstelligen. Drib breitete seine Schwingen aus.
„Danke, Drib.“
Der Feuerfalke senkte seinen Blick auf Erif.
„Wofür?“
Ein leichtes Lächeln stahl sich auf Erifs Lippen. So wie es aussah würde er Drib tatsächlich vermissen.
„Für das Gespräch gerade eben und dafür, dass du mir auf der Lichtung das Leben gerettet hast.“
Hätte Drib Lächeln können, so hätte er es jetzt vielleicht getan.
„Du musst mir nicht danken. Ich habe es gern getan, das gilt für beides. Nur hätte ich auch Naidraug gerne das Leben gerettet. Wie dem auch sei, ich wünsche dir eine gute Reise und ich hoffe du findest bald die Antworten, welche du suchst. Auf Wiedersehen, Erif.“
Der Feuerfalke zögerte kurz.
„Eines noch, Erif. Deine Schuldgefühle sind etwas, das dich von einem Schlächter unterscheidet. Es ist ein Zeichen, dass du ein guter Mensch bist. So, nun genug der Worte.“
Drib drückte sich vom Dach der Taverne ab und schwang sich in die Lüfte. Erif hob seine Hand zum Abschied.
„Auf Wiedersehen, Drib“
Ein paar Flügelschläge später war die Silhouette des Feuerfalken am Nachthimmel verschwunden. Erif blickte noch einige Zeit hinaus in die Nacht, bevor er wieder zur Gaststube ging. Die schmutzigen Fenster warfen Licht auf die Straße.
Der Wirt erwartete ihn an der Tür und lugte an Erif vorbei auf den zerbrochenen Humpen.
„Den Krug zahlst du aber Freundchen, ja?“
„Natürlich, gibt es noch etwas zu essen?“
Der Gastwirt verzog die Miene.
„Ja, aber was Warmes kriegst du um diese Zeit nicht mehr, klar?“
Mürrisch stapfte der Wirt davon. Nachdem Erif die Türe geschlossen hatte, begab er sich unter dem andauernden Knarren des Holzbodens wieder zu seinem Tisch. Er grübelte über das Gespräch mit Drib und den Kampf mit den Banditen nach. Die Worte des Feuerfalken hatten ihm Trost gespendet, der Kampf ließ ihn aber dennoch nicht los.
Den Wirten bemerkte er erst, als dieser ihm ein Brett mit Brot, Käse und etwas Wurst mitsamt einem Humpen Bieres auf den Tisch stellte. Mit einer bestimmten Geste schob Erif den randvollen Bierkrug von sich weg.
„Nein, danke. Das brauche ich heute nicht mehr.“
Brummend nahm der Gastwirt das Bier wieder mit.
„Na, bist wohl doch nicht ganz so trinkfest, Bürschchen.“
Diese Bemerkung ließ Erif im Raum stehen und machte sich sofort über das Mahl her. Als er angekommen war, hatte er keinen Hunger gehabt. Zu dem Zeitpunkt hatten ihn nur seine finsteren Gedanken beschäftigt. Nun wunderte er sich darüber, wie er den Hunger nicht hatte spüren können.
Das Essen schmeckte, im Gegensatz zum Bier, durchaus annehmbar und der Wirt hatte auch reichlich davon aufgetischt. Es dauerte nicht lange und Erifs Brett war leer.
Vollkommen satt zahlte er beim Wirten das Essen samt dem zerbrochenen Krug. Der Humpen konnte unmöglich so teuer gewesen sein wie der Wirt behauptete, doch Erif zahlte ohne zu murren die volle Summe. Danach machte er sich müde über eine Holztreppe, die noch lauter zu knarren schien als der Boden, auf den Weg zu seinem Zimmer.
Der kleine Raum war ebenso heruntergekommen wie die Stube einen Stock tiefer. Das Fenster war dreckig und das Bett schien älter zu sein als alles andere im Raum. Ein kleiner Tisch stand in einer Ecke, ein Stuhl dazu fehlte jedoch. In einer anderen Ecke hatte eine Spinne ihre Weben gespannt. Nur die Bettlaken schienen sauber zu sein.
Im Moment war Erif das alles egal. Er wollte nur schlafen. Bevor er sich auf das Bett warf, zog er sich seine Kleidung aus und warf sie auf den Tisch. Es dauerte eine Weile bevor ihn die Gedanken an den heutigen Tag schlafen ließen, aber schlussendlich fiel er in einen tiefen Schlummer. Die Bilder vom Kampf mit den Räubern waren verschwunden.
Eriseds Elitesoldaten saßen ab. Bis hierher hatten sie die Spuren aus dem Wald verfolgen können. Die einzelnen Gruppen hatten den Befehl erhalten sich bei dieser Scheune zu sammeln. Die Morgendämmerung war eben angebrochen. Am Horizont waren die ersten Sonnenstrahlen deutlich zu erkennen.
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