Stanley Deschle
DAS LACHEN DES
PIMMEL-GOTTES
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2014
Stanley Deschle
Geboren 1982 in Leipzig. Gymnasium im beliebten Viertel Mockau.
Widerstrebend abgeschlossen. Zivildienst als OP-Zivi inder Uniklinik. Studium der Geophysik: abgebrochen. Studium der Soziologie: vollendet. Dann Arbeitslosigkeit. Maßnahmen waren: Begleitung von jungen Erwachsenen, die ihren HS oder RS nachholen wollten und Hausaufgabenhilfe (eigentlich Nachhilfe & Betreuung) für Kinder von Migranten.
Internetseite:
www.stans-portfolio.de
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Coverfoto © jonnysek - Fotolia.com
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
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Titel Stanley Deschle DAS LACHEN DES PIMMEL-GOTTES Engelsdorfer Verlag Leipzig 2014
Über den Autor Stanley Deschle Geboren 1982 in Leipzig. Gymnasium im beliebten Viertel Mockau. Widerstrebend abgeschlossen. Zivildienst als OP-Zivi inder Uniklinik. Studium der Geophysik: abgebrochen. Studium der Soziologie: vollendet. Dann Arbeitslosigkeit. Maßnahmen waren: Begleitung von jungen Erwachsenen, die ihren HS oder RS nachholen wollten und Hausaufgabenhilfe (eigentlich Nachhilfe & Betreuung) für Kinder von Migranten. Internetseite: www.stans-portfolio.de
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Coverfoto © jonnysek - Fotolia.com Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Ich arbeitete als freier Journalist und Schriftsteller. Einer der Redakteure schickte mich auf ein Konzert. Musik war meine Spezialität. Jean Pierretot ist mein Name.
Der Redakteur hatte etwas von Studenten erzählt. Aber ich brauchte das Geld, nahm meinen Notizblock und ging hin.
Auf dem Weg dachte ich: du Hure, was willst du dort nur? Du bist 42, dein Studium, oder der Versuch liegt über 20 Jahre zurück und nun kriechst du dort hin?
Allerdings.
Aber wirklich: was ich damals mitbekommen hatte an Studentenmusik, hatte mich abgestoßen. Weiße Musik, d.h. nette, beherrschte Musik mit internationalem Anstrich: ein bigotter Zwitter.
Das wird was werden, heute Abend, dachte ich. Aber für den Notfall hatte ich meinen Flachmann in der Innentasche meiner Lederjacke.
Der Ort war ein altes Kino; oder Theater; und auf den Granitstufen am Eingang standen Menschen, drängten sich zu plapperten Gruppen zusammen. Aus der Entfernung erschienen sie wie Schorf über einer Wunde.
Wie ich näherkam, verstärkte sich für mich der Eindruck des Ausgeschiedenen an den Leuten. Aber ich sah Gruppen von Menschen vor Gebäuden immer an als Ameisenkinder, die in den geschwollenen Schoß der Übermutter zurückkriechen wollten. Tief in mir drin war ich ziemlich schüchtern, ängstlich. Ich nahm einen Schluck aus dem Flachmann.
Ich stand beobachtend da, atmete tief. Der wollene Hauch des Windes strich mir durchs Haar. Noch ein Schluck und endlich fand ich den Mut und ging hinein; Atem flach, Berührungen vermeidend.
Im Foyer sah ich mich blinzelnd um. Schmutziges, rauchiges Licht. Es roch nach Schweiß, vermischt mit Deodorants: Kokosschweiß, Vanilleschweiß, Rhabarber, Möhren und etwas wie Bockwurst. Ich nahm einen Schluck aus dem Flachmann. Stimmfetzen wie Ohrfeigen verwandelten das Foyer in eine Vogelvoliere. Ich fand den Kassenschalter. Der Typ grinste blöd angesichts meines Presseausweises und ich bezahlte mit dem Vorsatz, es dem Redakteur auf die Rechnung zu setzen. Ich bestand auf einer Quittung: »ist nicht«; hinter mir begannen sie ungeduldig zu werden. Schließlich bekam ich eine handschriftliche Notiz und das war ᾽ s.
An der Garderobe ging ich vorbei. Ich war misstrauisch.
Ich entdeckte eine unscheinbare Ecke und dort stellte ich mich hin, an die Wand gelehnt, und ich spürte, wie sich eine Decke über das prasselnde, grelle Klatschen der vielen Stimmen legte; ich spürte, wie sich das Klatschen verwandelte in ein rhythmisches Pulsieren, in Harmonie, in ein schlafendes Herz, träumend vom Leben und Tod, purzelnde Wellen küssten den Mond. Der Schnaps begann zu wirken.
Da sprang unvermittelt etwas dazwischen, wie das bröselnde Knirschen einer Diele in der Stille der Nacht. Es berührte mich wie vereinzelte Regentropfen. Ich kannte dieses Gefühl und ich mochte es nicht: jemand beobachtete mich wie eine Katze ihren schlafenden Besitzer. Und dieses Ding hinter meiner Empfindung war stark wie ein Mann. Verunsichert trank ich von dem Schnaps in meinem Flachmann, aber er wehrte sich, krallte sich in meinen Hals; ich musste husten.
Ha, du Schriftsteller, wie machtlos du bist. Dich können sie heute Abend noch richtig durchnehmen, die Mundwinkel aufschneiden, die Finger zertreten; wenn du daraus nichts machst, kein großes Stück Schrift, interessiert es keine Sau, du bekommst nicht einen Pfennig dafür. Wie arm, wie machtlos, wie sagenhaft, wie groß, wie ewig.
Ich beschloss, Eine zu rauchen, nur um meine Gefühle zu glätten und ging raus.
Hell brannte die Glut, denn ich zog heftig; der Qualm stieß hervor wie aus einer Halsschlagader. Es war warm und ich zitterte.
Meine Güte, dachte ich, was bist du nur für ein Feigling? 42 und schüchtern wie eine Jungfrau. Dort drinnen ist die Kraft, gut; aber hier ist auch eine, verdammt. Also los, du Schriftsteller, nimm es auf Augenhöhe, dann wird ᾽ s so schlimm nicht werden. Ich schnipste die Zig fort, sie schoss davon wie ein Torpedo.
Drinnen ging ich zur Theke und kaufte mir ein Bier. Ich stellte mich wieder in meiner Ecke auf. Diese seltsame Kraft war nicht zu spüren und ich betrog mich, indem ich sie für schwach hielt. Denn sie kam plötzlich zurück, warf sich auf mich, vehement wie ein Vergewaltiger. Ich blickte mich um, suchte die Gesichter der Leute ab. Wenn sie mich so sehen, dachte ich errötend. Ich starrte auf den Boden: Mann, du brauchst neue Schuhe, Pierretot.
Neben mir hing ein Plakat hinter Glas. Im Spiegelbild spähte ich weiter. Da, endlich, eine Bewegung: eine Gestalt löste sich aus der wurmartigen Masse Mensch und kam auf mich zu. Ich drehte mich um, einen Schluck aus dem Flachmann nehmend. Meine Blicke fielen auf das helle Gesicht einer jungen Frau. Blonde Löckchen, wippend und schaukelnd wie Kinder am Klettergerüst; ein kleiner, lieblicher Mund, der lächelnd winzige weißgelbe Zähne entblößte; dunkle, graue Augen, schimmernd im Glanz einer alten Seele; und ich sah in diese Augen wie in einen Bergsee: tja, sie war es. Vor ihr war ich geflohen. Sie schien so um die Mitte Zwanzig. Ich nahm mich zusammen.
»Guten Abend«, sagte ich. (Guten Abend? Na dann: gute Nacht, du Schriftsteller)
»Ja, hallo«, sagte sie, ihr Lächeln nicht einmal unterbrechend.
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