Kurt Anglet - Vom Kommen des Reiches Gottes

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Erlösung und Vollendung, Soteriologie und Eschatologie gehören aufs Engste zusammen: «Doch ich erkläre euch: Von jetzt an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen» (Mt 26,64; par Mk 14,62). Das Kommen des Menschensohns, das Kommen des Reiches Gottes vollzieht sich nicht irgendwann nach seiner ersten Ankunft, sondern ist mit seiner ersten Ankunft gegeben. Mit ihrer Vollendung im Kreuzestod Jesu nimmt die Vollendung der Zeit ihren Anfang – nicht erst mit Christi Wiederkunft. Vom Kreuz Jesu aus deutet Kurt Anglet das Kommen des Reiches Gottes nicht zuletzt mit Blick auf einschlägige Zeugnisse unseres Zeitalters wie Edith Steins «Kreuzesliebe» oder Heideggers «Reich des Fragwürdigsten».

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Kurt Anglet Vom Kommen des Reiches Gottes

Kurt Anglet

Vom Kommen des Reiches Gottes

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.d-nb.deabrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH

www.echter-verlag.de

Umschlag: Peter Hellmund

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN

978-3-429-03572-3 (Print)

978-3-429-04685-9 (PDF)

978-3-429-06084-8 (epub)

Inhalt

Erkenntniskritische Vorrede: Theologie und Wirklichkeit

I. Der Kreuzestod Christi – der Anfang der Vollendung
II. Kleiner Exkurs zu den drei großen K – eine kleine Geschichtstheologie der Moderne
III. Das Reich des Fragwürdigsten und das Reich Gottes
IV. Kreuzesnachfolge nach Christus: messianische und eschatologische Zeit
V. Sühne und Vollendung: Eschatologie und Christologie
VI. Vom Kommen des Reiches Gottes

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Erkenntniskritische Vorrede: Theologie und Wirklichkeit

Ich habe mich durch Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel überzeugt und ihn zu meinem Leitstern gemacht: Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen .

G. W. F. Hegel, Brief an Knebel (vom 30.8.1807)

Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist .

Mt 25,34

In seiner Heidelberger Antrittsvorlesung vom Herbst 1816 vermerkt Hegel: »Das zuerst verborgene und verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft, die dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muss sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse geben.« – Szenenwechsel: Im Herbst 2011 ging der Nobelpreis für Physik an Saul Perlmutter, Adam Riess und Brian Schmidt, die herausfanden, dass sich das Universum mit wachsender Geschwindigkeit ausdehnt. Das Ergebnis sei eine bahnbrechende Überraschung gewesen, so das Nobelpreiskomitee in seiner Würdigung, insofern die Preisträger dazu beigetragen hätten, ein Universum zu enthüllen, dass in weiten Teilen der Wissenschaft völlig unbekannt gewesen war und bis heute rätselhaft bleibe.

Deutlicher lässt sich der Gegensatz zwischen dem Weltbild der heutigen Physik und einem Denken gar nicht zum Ausdruck bringen, das sich – nur weil es Einsicht in das Universum nimmt – aufspielt, als würde ihm das Weltall zu Füßen liegen; ja als wäre der Mensch aufgrund seiner »Erkenntnis« dessen Schöpfer. Unter dem Titel der »Wissenschaft« hat das Bewusstsein des Deutschen Idealismus bis in die jüngste Vergangenheit hinein den Zeitgeist bestimmt, der sich über die Schöpfung so erhaben wähnt wie über ihren Schöpfer, so dass sich heutzutage ein jeder, der auch nur an einen Schöpfer zu denken wagt, gar des Verdachts des »Gotteswahns« aussetzt. Folglich bleibt auch für die Rede vom Reiche Gottes, in dem sich dessen Kommen erfüllt und vollendet, nur ein Nicht-Ernstnehmen übrig. Die Ironie, mit der Hegel es angesichts einer am Horizont heraufziehenden Konsumgesellschaft bedenkt, gehört inzwischen zum guten Ton der Medien, sobald religiöse Themen zur Sprache kommen. Anders denn als eine überflüssige Zugabe zu einer Welt, die alle Bedürfnisse zu erfüllen vorgibt und darin ihre eigene Vollendung zelebriert, vermag man sich beim besten Willen nicht ein Reich vorzustellen, das über die Befriedigung unserer Wünsche und Bedürfnisse hinausreicht, zumal wir noch angesichts seines Einbruchs aufgerufen sind, diese hintanzustellen, ja unser Kreuz auf uns zu nehmen.

Ganz anders der Wissenschaftsbegriff der Physik unserer Tage, die um ihre Grenzen weiß; ja die sich selbst zurücknimmt, gerade weil ihre Erkenntnisse die Grenzen unserer Vorstellungskraft sprengen: angefangen bei der Entstehung des Weltalls aus einem winzigen Punkt, weit kleiner als ein Atomkern, bis hin zu seiner rasanten Ausdehnung, obgleich ihr Zeitbegriff dem der christlichen Apokalyptik nähersteht (vgl. 2 Petr 3,8–13) als Hegels Zeitauffassung, die über rein historische Zeiträume nicht hinausreicht und auch in kosmologischer Hinsicht ganz dem Weltbild der mechanistischen Physik ihrer Zeit befangen bleibt. Kaum zufällig hat Hegel in seiner Religionsphilosophie die Eschatologie eliminiert und die messianische Dimension des christlichen Glaubens ausgehöhlt; diesen auf eine säkularisierte Allerweltsreligion reduziert, die weder Erlösung noch Vollendung kennt, sondern über die Selbstzerrissenheit des Menschen und über die Vergangenheit nicht hinausführt. Kaum zufällig auch daher sein Scheitern der Begründung der Religion durch den Systembegriff, weil kein System Schöpfung, Erlösung und Vollendung zu begründen vermag, die in der Offenbarung Gottes ihr einziges Fundament besitzen. Die Vermessenheit, sich über sie zu erheben, sei es im Sinne einer rein naturalistischen, sei es einer rein historischen Auffassung des Menschen, kennzeichnet die Fortschrittsgläubigkeit unserer Epoche, bis hinein in die Theologie, soweit sich deren Vertreter ihrem Geist andienten, um mit unserer Zeit Schritt zu halten.

Doch wie das beschleunigende Tempo eines unablässigen Weltalls dem Gedanken, der damit Schritt zu halten trachtet, den Atem nimmt, so auch der Lauf der Zeit dem menschlichen Geist, der sich anmaßt, in unserer Weltzeit, gar in unserer Gesellschaft so etwas wie einen Zustand der Vollendung erkennen zu wollen. Nicht allzu lange ist es her, dass der amerikanische Zeitdiagnostiker Francis Fukuyama – unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des kommunistischen Ostblocks – seinen Bestseller Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? [München 1992] schrieb. Heute könnte er jenes »Ende« um ein mögliches Ende der eigenen westlichen Kultur ergänzen. So hat jüngst Niall Ferguson in Civilization. The West and the Rest [London 2011; deutsch: Der Westen und der Rest der Welt. Die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen , Berlin 2011] – für einen Kulturhistoriker recht ungewöhnlich, da sich diese in der Regel mit einer rein immanenten Betrachtung der Geschichte begnügen – seiner Schlussbetrachtung einen kleinen Abschnitt mit einem apokalyptischen Ausblick vorangestellt: »Naht das Ende aller Tage?«

Bemerkenswert daran ist zunächst die Schilderung von Verfall und Untergang des Römischen Reiches – so der Titel des monumentalen Werkes von Edward Gibbon, der für seinen Untergang einen historischen Zeitraum von 1400 Jahren, von 180 bis 1590 ansetzt; also eine »Geschichte der langen Dauer« [andere haben gar sein Ende mit dem förmlichen Erlöschen des Römischen Reiches Deutscher Nation unter Napoleon im Jahre 1807 in Zusammenhang gebracht]. Doch Ferguson nimmt den entscheidenden Zeitraum im Zuge der Invasion der Germanenstämme im 5. Jahrhundert in den Blick und vermerkt in Anlehnung an Ward-Perkins: »Am erstaunlichsten an dieser modernen Lesart der Geschichte ist die Geschwindigkeit, mit der das Römische Reich zusammenbrach. In nur fünf Jahrzehnten ging die Einwohnerzahl der Stadt Rom um drei Viertel zurück. Archäologische Zeugnisse aus dem späten 5. Jahrhundert – ärmlichere Wohnungen, primitivere Töpferwaren, weniger Münzen, kleinere Hausrinder – zeigen, dass der zivilisatorische Einfluss Roms im übrigen Westeuropa schnell verschwand. Was ein Historiker das ›Ende der Zivilisation‹ nannte, trat tatsächlich innerhalb einer einzigen Generation ein.« (430) Und genau jene Geschwindigkeit ist es, die dem Lauf der Geschichte eigen ist – ganz im Gegensatz zum historistischen Zeitbewusstsein des 19. Jahrhunderts, über das sich Nietzsche in seinem Aphorismus

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