Elduria
Runa oder das Erwachen
Fantasy-Roman
Norbert Wibben
Elduria
Runa oder das Erwachen
Elduria, Band 1
Für meine Tochter Maraike,
die immer in meinen Gedanken ist!
In Erinnerung an viele schöne Vorleseabende mit meinen Kindern verpacke ich auch diese Geschichte in den bekannten Dreizeiler:
Ein Huhn und ein Hahn – …
Übersichtskarte Übersichtskarte Lage der Königreiche Elduria und Merion.
Überfall!
Ein Missgeschick
Das zweite Gesicht
Auf der Straße
Der Elfenwald
Der Weg zum Haus im Wald
Eine Falle
Drachenangriff
Ein Kochbuch
Gestaltwandler
Ein Spitzel
Wo ist Dragon?
Ein kleiner Streit
Atropaias Notizen
Danrya
Drakonia
Eine Überraschung
Ein Test
Atropaias Informationen
Zauberunterricht
Beobachter
Der Angriff
Abschied
Gefahr!
Im Schafstall
Ein Versteck
Hai und Makrele
Gefangen
Frerk
Flucht!
Auf dem Weg nach Grimgard
Dragon
Das Erwachen
Zaubersprüche
Danksagung
Lage der Königreiche Elduria und Merion.
Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an
Runa ist ein fast normales Mädchen. Sie hat ihre Eltern nie kennengelernt. Das ist für ein zwölfjähriges Kind in Homarket schon ungewöhnlich. Deshalb träumt sie vermutlich manchmal davon, zusammen mit Vater und Mutter zu leben.
Sie schüttelt unwillkürlich den Kopf. Es ist nicht so, dass sie meint, eine besonders schwere Kindheit gehabt zu haben. Wenn sie sich mit anderen Kindern vergleicht, hat sie es eigentlich ganz gut getroffen, na ja, fast zumindest.
An ihre frühen Lebensjahre erinnert sie sich so gut wie gar nicht. Doch ein Ereignis ist ihr aus dieser Zeit wie ins Gedächtnis gebrannt.
Die erste Person, die sich liebevoll um sie kümmerte, war Atropaia. Sie nannte Runa manchmal »Winterkind«, auch wenn diese nicht verstand, weshalb. Dabei ist das so einfach wie logisch, das Mädchen wurde in einer kalten Winternacht geboren und deshalb so genannt. Atropaia wirkte an einem Nachmittag geheimnisvoller als sonst. Gleichzeitig war sie von einer großen Unruhe erfasst, was an ihren ungewöhnlich hastigen Bewegungen erkennbar war. Runa erinnert sich daran, als wäre es heute gewesen. Die gütig blickende alte Frau forderte sie auf, ihre derzeitige Tätigkeit zu unterbrechen und zu ihr zu kommen.
»Paia«, so nannte das damals fünfjährige Kind sie, »ich muss doch zuerst die Kaninchen füttern. Und Puschel sieht krank aus. Kannst du ihn untersuchen und gesund machen?« Das Mädchen wendete den Kopf Richtung Atropaia und warf ihr einen bittenden Blick zu. Dieses Mal konnte die Amme dem Anblick der dunkelblauen Augen widerstehen.
»Es ist sehr, sehr wichtig. Du musst unbedingt etwas erfahren!« Die Frau klopfte mit einer Hand neben sich auf das Sofa. Dorthin sollte sich das Kind setzen.
»Aber, wenn Puschel krank ist, stirbt er vielleicht!« Es ist offensichtlich, was für Runa dringender war.
»Ich untersuche das Kaninchen gleich, versprochen. Doch das, was ich dir sagen muss, ist wichtiger! Wirklich!« Der ernste Blick ließ das Mädchen erschauern. Es streichelte das weiße Tier. Es hatte schwarze Ohren und einen dunklen, herzförmigen Fleck auf der linken Seite.
»Wir kümmern uns gleich um dich.« Nach diesen Worten erhob es sich und rannte zum Sofa hinüber. Runa wollte schnellstmöglich erfahren, was Atropaia zu sagen hatte. Danach könnten sie gemeinsam Puschel untersuchen. Das Kind saß neben der Frau und blickte erwartungsvoll zu ihr auf. Doch wider Erwarten sprach diese nicht sofort. Sie erhob sich, eilte zur Haustür und öffnete sie. Sie lauschte angestrengt und verriegelte dann die wieder geschlossene Eichentür, bevor sie zum Sofa zurückkehrte. Runa wunderte sich. Was hatte das zu bedeuten? Der Riegel wurde sonst nie vorgelegt. Erst recht nicht am Nachmittag. Das Haus lag verborgen in einem Buchenwald und wurde nur selten von anderen Menschen besucht. Vor den Tieren des Waldes mussten sie sich nicht derart schützen.
»Du weißt seit längerer Zeit, dass ich deine Amme bin.« Das Kind nickte zur Bestätigung. Das war ihm egal, denn es liebte die Frau genauso, als wäre sie die leibliche Mutter. Atropaia fuhr gehetzt fort. »Das wurde ich, weil Raika, so lautet der Name deiner Mom, gestorben ist, als du gerade geboren warst. Ich habe versucht, dich bestmöglich zu umsorgen.« Das war dem Mädchen alles bekannt. Was sollte daran wichtig sein? Die nächsten Sätze bekam es nicht mit, da seine Gedanken darum kreisten, was womöglich der Grund für Puschels plötzliches Unwohlsein sein würde. Runa hatte zu dem Kaninchen geschaut und wurde von Atropaia geschüttelt. »Du hast nicht aufgepasst, mein Winterkind. Wie solltest du auch wissen …« Die Frau unterbrach sich und horchte Richtung Tür.
Lauter werdender Hufschlag drang ins Innere. Da der Waldboden derartige Geräusche dämpft, mussten die Reiter bereits dicht bei dem Häuschen sein. Runa sah, wie die Amme zusammenzuckte. Doch die in ihren Augen steinalte Frau reagierte unheimlich schnell. Sie konnte die Bewegungen kaum verfolgen. Sie fühlt noch heute, wie diese liebevoll die Hände auf ihren Kopf legte. Dabei murmelte sie die unverständlichen Worte »Muto speciem«. Runa spürte ein feines Kribbeln und die Umgebung wuchs gleichzeitig zu riesigen Ausmaßen heran.
»Rette dich! Such dir ein Versteck!«, forderte Atropaia hastig, dann barst die Tür mit einem blendend hellen Blitz und lautem Getöse.
Grimmig blickende Männer drängten in die Wohnstube. Einige hielten lange Messer, andere aber gespannte Bogen in Händen.
Runa erinnert sich, wie ihr Herz aufgeregt und rasend schnell schlug. Trotzdem meinte sie, die Ereignisse genau verfolgen zu können, nur aus einer anderen Perspektive. Einer der Eindringlinge hatte im ersten Moment ein silbern schimmerndes Netz über Atropaia geworfen. Das Mädchen verstand nicht, was gerade passierte, doch es wollte und musste der Amme helfen.
»Lasst meine Paia los, ihr Feiglinge«, versuchte sie zu brüllen, vernahm aber lediglich ein feines Piepsen. Sie erstarrte vor Schreck. Was war mit ihrer Stimme geschehen?
Sie sah, wie ihre Amme vom Sofa zu Boden gerissen, und komplett in das Netz gewickelt wurde. Sie kämpfte verzweifelt, um sich aus den Maschen zu befreien. Durch die heftigen Schwingungen der Sitzfläche wurde Runa von dem Möbel geschleudert und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Sie schüttelte sich, um wieder klar sehen zu können. Zuerst erschienen dem Mädchen seine Bewegungen seltsam langsam, so, als würde es im Traum versuchen, zu laufen, ohne von der Stelle zu kommen. Das Kind wusste nicht, was es gegen die Eindringlinge hätte tun können, doch aufgeben, war keine Option. Es musste Atropaia retten, koste es, was es wolle. Die Amme hatte Runa schließlich liebevoll aufgezogen und verdiente im Gegenzug ihre Unterstützung.
Einige der Bewaffneten hatten Atropaia inzwischen gefesselt und waren mit ihr schon aus dem Häuschen, bevor das Mädchen ihr beistehen konnte. Sie rannte zum Ausgang, wo die halb herausgerissene Tür schief in den Angeln hing. Doch nicht alle Männer waren nach draußen gegangen. Fünf von ihnen polterten durchs Haus und schlitzten mit den Messern Kissen und die Polsterung des Sofas auf. Sie warfen Schränke um und kletterten sogar in der Küche mit Fackeln in den Kellerraum hinab. Urplötzlich fühlte Runa einen heftigen Stoß gegen die Seite und flog quer durch den Raum. Wie war das möglich? Während sie darüber grübelte, führte die Flugbahn sie an einem Spiegel vorbei. Ein schneller Blick hinein verwirrte das Mädchen noch mehr. Es sah darin eine Haselmaus, die durch die Luft flog. Sollte es das Tierchen sein? Dann war das nicht Realität, sondern ein Traum, hoffte es.
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