Der dritte Versuch
Magische Wesen
Fantasy-Roman
Norbert Wibben
Der dritte Versuch
Magische Wesen
Der dritte Versuch, Band 1
Für Fritz und Manuela
Ihr seid und ward uns verlässliche Freunde!
In Erinnerung an viele schöne Vorleseabende mit meinen Kindern verpacke ich auch diese Geschichte in den bekannten Dreizeiler:
Ein Huhn und ein Hahn – …
Blutmond
Im Westen
Ein Alptraum
Kings Crown
Cian und Kayleigh
Der Drache
Alarm in Munegard
Ein Urteil
Erneut in der Gefängniszelle
Ein ungeplanter Halt
Die Späher
Ein Rettungsauftrag
Unerwartete Hilfe
Auf dem Weg zur Elfensiedlung
Der Fall der Königsburg
Rückzug und Suche
Vorbereitungen
Dunkle Pläne
Im Hochmoor
Verwandlung
Auf nach Munegard
Beobachtungen
Rettung
In der Scheune
Munegard
Ein Überfall
Die drei Heere
Die Suche
Die Elfensiedlung
Ritt in den Norden
Überlegungen
Suche nach magischen Wesen
Das Ende der Südelfen
Drachengeist
Erkenntnisse
Verwüstungen
Seltsame Ereignisse
Das dritte Heer
Ungeahnter Erfolg
Berichte
Vor einhundert Jahren
Zaubersprüche
Danksagung
Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an
Finn rutscht von einem Ast ab, den er gerade mit viel Mühe erklommen hat, und stürzt seitlich zu Boden. Er hat sich von der etwas erhöhten Position einen Überblick erhofft, um seinen weiteren Weg besser erkennen zu können und schimpft nun laut über sein Missgeschick. Sein Herz pocht ihm bis zum Hals. Ein großer Schatten verdunkelt im Moment, als er fällt, kurz den ohnehin düsteren Himmel über ihm. Ein Schauer läuft über seinen Rücken. Ihm wird bewusst, dass er gerade unverschämtes Glück gehabt hat. Der Schatten ist absolut tödlich. Finn konnte ihn nicht kommen hören, da dieser Angreifer für seine Opfer stets lautlos und meistens mit tödlicher Präzision daherkommt. Der Schreck lässt ihn im ersten Moment auf dem Boden in eine Schockstarre fallen. Der Instinkt des Gejagten sorgt für dieses Verhalten, um sein Überleben zu ermöglichen. Eine Bewegung würde den scharfen Augen des Gegners sofort seine Position verraten. Ob er dann erneut so viel Glück hätte, bezweifelt er. Ihm ist bei dem Sturz auf den weichen Waldboden nichts geschehen.
Ganz langsam dreht er seinen Kopf. Wo mag der Feind stecken. Finn weiß, er wird nicht auf dem Boden hocken. Nein. Er lauert jetzt etwas erhöht auf einem der großen Felsbrocken oder auf einem Baum und sucht nach ihm. Eine schnelle Bewegung wird ihm dabei nicht entgehen, so gut wie er in der Dunkelheit zu sehen vermag. Da! Ist jetzt ein näherkommendes Rauschen zu hören? Finn weiß, dass er seinen Feind nicht hören wird, sein Angriff wird leise und für ihn überraschend erfolgen, so wie vorhin. Obwohl sich der Schatten soeben in eine andere Richtung bewegt, horcht er nun gespannt dorthin, wo er gerade etwas zu hören meint. Sollte dort eine weitere Gefahr auf ihn lauern, dann ist es sicher besser, zu flüchten. Alles in ihm rät zur Flucht. Nur schnell weg von hier. Doch halt, das Geräusch wurde von Blättern verursacht, erkennt er jetzt. Der Wind hat wohl trockenes Laub vor sich hergetrieben, auch wenn er im Wald nicht so ungehindert wehen kann. Plötzlich kommen zwei leuchtende Augen auf Finn zu, die innerhalb eines hellen, herzförmigen Gesichtes sitzen. Adrenalin schießt in seine Blutbahn, setzt ihn in höchste Alarmbereitschaft. Er macht einen verzweifelten Sprung seitwärts und rast los. Obwohl das Verhalten nicht zu seiner augenblicklichen Gestalt passt, schlägt er jetzt wieder unerwartet einen Haken. Diese Bewegung rettet ihm das Leben. Spitze, tödliche Krallen verfehlen ihn nur knapp. Warum hat er sich nur für diese Gestalt entschieden? Eine Haselmaus ist wirklich nicht besonders geeignet, um große Gefahren zu überstehen. Außerdem ist er so nicht nur den Tagjägern, sondern auch denen der Nacht, fast schutzlos ausgeliefert. Finn schüttelt den kleinen Kopf. Er darf sich jetzt nicht unnötigen Überlegungen hingeben. Seine schwarzen, kleinen Knopfaugen suchen nach einem Versteck, während er vorwärts hastet.
»Gibt es hier denn kein Loch oder eine kleine Höhle?« Er duckt sich, wühlt sich unter einen umgestürzten Baum und versucht, auf der anderen Seite hervorzukommen. Doch der Schlupfweg ist enger als erwartet. Mit mehreren heftigen und verzweifelten Rucken zwängt er sich durch und rast vorwärts. Plötzlich streckt die kleine Maus die Beine nach vorne und bremst ab. Erneut verfehlen die Krallen sie. Die Eule hätte sie gleich gehabt, wäre sie weitergelaufen. Der Nachtvogel stößt einen schrillen Schrei der Enttäuschung aus. Finns Herz rast. Es scheint aus der kleinen Brust springen zu wollen. »Bin ich denn total verblödet?« Er dreht schnell um und ist mit wenigen Sprüngen bei dem liegenden Baum, unter dessen Stamm er sich in den lockeren Humus wühlt. Er vernimmt einen erneuten Schrei der Eule, die jetzt vermutlich in der Nähe auf einem Ast hockt und darauf wartet, dass er sich erneut blicken lässt.
Nur langsam beruhigt sich Finns Herzschlag. Sein kleiner Körper zittert nach der überstandenen Jagd. Er spürt die Todesangst, die ihn umklammert hält. Soll er versuchen, weiterzukommen. Nein. Der Nachtjäger wird nicht so schnell aufgeben. Also muss er sich noch gedulden. Falls der Raubvogel keine andere Beute finden sollte, kann das möglicherweise sogar bis zum Morgen dauern. Aber dann will und muss er zu seinem Ausbilder zurückkehren.
Seine Gedanken kehren zum Beginn seiner Flucht zurück. Er erinnert sich daran, wie gestern ein rötlicher Mond in seine Kerkerzelle hereinleuchtete. Finn kennt die Bezeichnung für dieses seltene Schauspiel. Wegen der rötlichen Färbung wird der Himmelskörper von den Menschen »Blutmond« genannt. In dessen Schein gelang es dem jungen Elfen endlich, seine silbernen Handschellen aufzubrechen. Er spürt auch noch als Maus die Druckstellen, die sie an seinen Handgelenken hinterlassen haben. Wie ihm das Kunststück gelungen ist, weiß Finn nicht wirklich. Ein Hilfsmittel, das er als Werkzeug einsetzen konnte, hatte er in den Wochen seiner Gefangenschaft nicht entdecken können. Er wurde nur unregelmäßig von einer vermummten und schweigsamen Person mit Nahrung versorgt, die aber auf keine Frage von ihm reagierte. Das Essen schmeckte seltsam, hielt ihn aber bei Kräften. Es gab immer nur eine Art Suppe, die in zerbrechlichen Tonschalen gebracht wurde. Erst, wenn er die geleerte Schale nach etwa einer Stunde unversehrt zurückgab, bekam er am kommenden Tag eine neue. So war es ihm unmöglich, diese als Hilfsmittel zur Befreiung zu nutzen.
Also versuchte er irgendwann, die Kettenglieder, die von den Handschellen zur Kerkerwand führten, zwischen Handgelenk und Handschellen hindurchzuzwängen. Mit Hilfe der eisernen Kettenglieder gelang es wider Erwarten relativ einfach, das weichere Silber zu quetschen, bis es schließlich zerbrach. Als er das geschafft hatte, atmete der Elf auf, da er jetzt seine Zauberkräfte nutzen konnte. Zuerst massierte er seine Handgelenke und trat zur Kerkertür, um zu horchen. Da tagein, tagaus ein dumpfes Dröhnen zu hören war, glaubte er nicht, dass das leise Klirren seiner Ketten gehört worden war. Aufatmend stellte er die Richtigkeit seiner Vermutung fest. Zwischen den dunklen, wiederkehrenden Tönen waren keine Geräusche von näherkommenden Schritten zu hören.
Jetzt musste er sich entscheiden, welche seiner magischen Fähigkeiten er nutzen sollte. Obwohl Finn für einen Elf noch sehr jung ist, mit 28 Jahren zählt er bei den Mittelelfen zu den Jugendlichen, wollte er nicht übereilt vorgehen. Er überdachte also seine Situation.
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