Vorbei am Wartegedränge vernahm die voraneilende Frau plötzlich ihren Namen aus der passierten Menge. ‚Miss Lindemann‘ wurde ihr vonseiten an einer Tribünenwand lehnender Männer nachgerufen: „Miss Lindemann, was machen Sie denn hier? Ausgerechnet Sie inmitten dieses auf Krawall gepolten Schuppens?“ Verdutzt hielt sie inne, ging neugierig ein paar Schritte rückwärts, um zu erfassen, ob die Männerstimme demjenigen gehörte, den sie spontan assoziiert hatte. Mit erstaunter Miene, die vermitteln sollte, dass Zeit knapp sei, drehte sie sich dem Sprecher zu, schaute stumm aufwärts. Ein schlanker, schon älterer Mann in hellblauem Hemd und altmodischen Hosenträgern, einen Pappbecher in der Hand schwenkend hatte seine Kundin von vor einem Jahr entdeckt.
„Noch nicht unter Fittichen, Miss Lindemann? Ach, wäre ich nur jünger ... Was machen Sie denn hier im hintersten Scranton, und dazu noch spätabends in solch einer verloderten Wrestlinghalle? So was ist doch kein Platz für Sie, oder hab’ ich da was verpasst?“
„Immer noch ganz der Alte, was? Sie sitzen doch sonst in Big Apple hinterm Schreibtisch wie festgeleimt?“
„Festgeleimt? Ja, sicher, warte, dass wer eintritt und sich einen fahrbaren Untersatz leistet. Sonst, nur gestern und heute nicht! Ihre Bissigkeit scheinen Sie ja in dem einen Jahr nicht verloren zu haben, wie? Fährt er wenigstens gut, Miss Lindemann?“
„Auch noch samstagabends dieselben Fragen? Muss man so was in Ihrer Branche eigentlich auswendig lernen?“
„Oh, nein, Miss Lindemann! Dass Sie sich für ausgeschlagene Zähne und Platzwunden interessieren, hatten Sie mir gar nicht erzählt.“
„Ich Ihnen nicht erzählt? Ach, Mister …?“
„Cummings! Wohl unser Schicksal. Unsereinen behält man nicht. Kein Jahr, und schon wird das Blatt mit unserer Telefonnummer aus dem Notizbuch herausgerissen.“
„Oh, so würde ich das nicht sehen. Wenn der Rover schrottreif gefahren sein wird, erinnere ich mich wieder Ihrer, versprochen! Nur, die Zeit, wie fast überall im Leben, drängt.“
„Das waren Sie doch vorhin, nicht? Ganz anders, als ich Sie mir vorgestellt hätte. Ist doch nicht schlimm, wenn mal einer zu Boden geht! Kratzer, blauer Fleck, und weg!“
„So, wie haben Sie sich mich denn vorgestellt?“
„Sie, und dieser muskelbepackte Wrestler? Sie sind doch nicht mit dem Rover die ganze Strecke von Boston bis Scranton runtergefahren?“
„Ach, Mr. Cummings, das passt jetzt gar nicht. Ich muss dringend nach Melon Jim sehen. Wir können ja wieder telefonieren, wenn ich einen Neuen brauche. Vorerst aber bestimmt nicht! Fährt übrigens prima – mein Rover.“
„Natürlich, Miss Lindemann, Marotte von uns, überall und zu jeder Zeit zu akquirieren. Ja, was wollte ich sagen, der Wrestler mit der zerquetschten Melone, Wahnsinn? Sehen Sie nur nach ihm, ha, ha, und grüßen Sie ihn von mir. Wir fänden bestimmt etwas Passendes in seiner Größe! Visitenkarte?“
Als der Automobilverkäufer kurz hinter sich griff, seiner früheren Kundin mit seinem Pappbecher zuprosten wollte, war sie schon in der vorbeiziehenden Menge verschwunden.
„Wer war denn das, Ken?“, fragte, Richtung Ring guckend, ein glatt rasierter Schlipsträger über die Schulter. „Sieht ja hübsch aus, die Miss! Ist die vielleicht noch zu haben?“
„Wer, die Lindemann? Hast wohl nicht zugehört, was? Zum Abschminken, und für uns Schönen zu clever. Für die musst du einen Kurs extra mit Prädikat ablegen! Möchte nur wissen, was so eine in einer Wrestlinghalle unter lauter Schwachköppen und Angebern wie uns beiden zu suchen hat? Im wirklichen Leben verkehrt die mit der Hautevolee.“
„Wall Street?“
„Falsch? Die bei Minusgraden noch Mäuse machen!“
„Militär?“
„Nicht ganz! Nicht Leichen! Mäuse – das aber milliardenfach.“
„Rüstung. Deine kesse Lady ist doch nicht etwa ein Weißkittel, die Puffpaffs und Haumichdraufs zusammenschraubt?“
„Nein, könnte zur bekannten Nylonfraktion gehören, wenn sie nicht anders drauf wäre, als alle, die dir mal begegneten. Dass sie den ganzen Tag nur Kaffee macht und sich einen englischen Sportwagen der Extraklasse leisten kann, brachte ich schon damals in keinen überzeugenden Zusammenhang. Junge Misses, wie sie, ledig, attraktiv, zu viel Selbstbewusstsein und jede Menge Stolz begegnen einem nur, wenn man die erlesensten, superfeinen Karossen verhökert. Ausgelesener Geschmack und äußerst temperamentvoll! Musst mal hören, wenn sie spricht. Du glaubst, sie hätte manche Worte für dich erfunden, so beschlagen kann sie sein.“
„Hm, das kann auch an deiner miserablen Schulbildung liegen.“
„Steuer, Farbe, Lack - alles musste bei der bis aufs i-Tüpfelchen stimmen. Kannst du es ihr nicht besorgen, hast du bei ihr unweigerlich verschissen. Musste mehrmals Abbitte leisten, damit sie mir wieder ihre Aufmerksamkeit schenkte.“
„Ach, hör auf! Aufmerksamkeit? Sitzt an der Quelle, und trotzdem fehlt dir das gewisse Gespür, dir so eine kesse Lady gefügig zu machen, Unfug, sag‘ ich.“
„Wenn ich‘s dir doch sage. Eh du dich versiehst, winkt sie dir zum Abschied an der Officetür. Bis du sie wieder auf der Matte hast, hast du dir die Finger wund gewählt.“
„Was für ‘nen Rover hast du ihr denn verhökert?“
„Was schon? Wer Rover bei uns bestellt, will Außergewöhnliches. Das weißt du, das weiß ich!“
„Angeber! Eine spätpubertäre Miss! Konntest du nicht vom Fließband ihr was aufschwatzen, jedenfalls was Amerikanisches? Ausländische Wirtschaftserzeugnisse auf unseren Straßen brummen zu sehen, ist so demütigend.“
„Nein, Miss Lindemann wollte einen britischen Rover! Nicht irgendeinen, sondern einen ganz Bestimmten, welcher ihr, wie vorgestellt, aus England auch fahrbereit nach Monaten geliefert wurde!“
„Bin ich froh mit meinen Ford-Kunden! Von denen braucht keiner sich was vorzustellen, denn die kommen und gehen wieder genügsam. Fährt doch alles sowieso geschniegelt und gestriegelt vom Fließband.“
„Äußerst seltene Kundenkategorie, fast schon erlesen. Erst recht bei ihrem Alter! Mit Marke und Liste voller sich vorgestellter Details kam sie zu mir ins Büro. Ein Sportwagen sollte es sein. Nur wer kauft sich einen Sportwagen im Winter? Und dass, wenn es draußen schneit, friert, als wollte der Weihnachtsmann Eskimo werden? Einen Rover Jet 1 mit Gasturbinenantrieb! Sie hätte das Ding im Herbsturlaub am Sunset-Boulevard in Los Angeles vorbeifahren sehen, und sich spontan in ihn, wohlgemerkt, in einen Sportwagen, verliebt.“
„Ungewöhnlich bei jungen Misses, dass sie sich Autoschnauzen krallen.“
„Das hat sie wirklich mir erklärt! Neu, nach ihrer Façon – sie könne es sich leisten.“
„Hat sie eben Glück, dass sie nicht in Detroit arbeitet. Dann wäre sie meine Kundin geworden, und ich wäre viel schneller mit ihr fertig gewesen! So ein Ford ist jede Meile wert!“
„Da irrst du dich aber gewaltig, mein Freund. Was die will, setzt sie auch durch, egal wie groß der Widerstand ist. Als sie zuerst in unseren Laden kam, vor meinen Schreibtisch trat und sich vorstellte, dachte ich an Irrweg und Gebrauchtwagenhändler. Eher an was Kleines, leicht zu Steuerndem, ohne Schrammen Einzuparkendes, und so. Als sie mir dann ihren Karossenwunsch in allen Details auseinanderdividierte, war ich so was von den Socken! Was meinst du, wie oft ich bei Rover im englischen Coventry transatlantisch anrufen musste, nur um das eine oder andere Detail mit denen abzustimmen? Allein das Dunkelgrün des Lacks. Wie viele Ferntelefonate es brauchte, bis der anspruchsvollen Dame der Farbton passte? ‚Britisch Racing Green‘, wer weiß denn so was auf Anhieb?“
„Ich, aber wer kann sich das noch leisten – Farbton von Autolack? Sie ist doch gerade mal dreißig und so viel Kröten verdient so eine doch auch noch nicht?“
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