Ralf Bachmann
Eine deutsch-jüdische Familiengeschichte
Sax Verlag
Ohne Unterstützung von Verwandten, Freunden und Förderern hätte dieses Buch nicht entstehen können. Mein Dank gilt vor allem der Stadt Falkenstein und dem Vogtlandkreis. Ich danke auch meiner Tochter Katrin Hartmann, der Grafikerin Birgit Röhling, dem Schöpfer der Ausstellung »Juden in Falkenstein« Ralph Ide, meiner Enkelin Lydia Strauß für die Titelzeichnung, um nur die wichtigsten Helfer zu nennen. Das Umschlagfoto aus Privatbesitz zeigt Mitglieder der Familie Bornstein 1905 am Ostseestrand.
Ralf Bachmann
Vollständige eBook-Ausgabe der im Sax-Verlag erschienenen Druckausgabe, Markkleeberg 2012
ISBN 978-3-86729-106-4
Alle Rechte vorbehalten
© Sax-Verlag, Beucha 2006
Layout und Bildbearbeitung: Birgit Röhling, Markkleeberg
Erstellung eBook: , Michael Steppes, Markkleeberg
www.sax-verlag.de
Vorwort / Einleitung
Zur 3. Auflage
Glücklicherweise hat das Erscheinen der »Bornsteins« nicht nur ein lebhaftes Echo ausgelöst, sondern auch eine Reihe unbekannter Details zur Familiengeschichte zutage gefördert. So kann diese Ausgabe in mehreren Kapiteln ergänzt und um ein neues Kapitel erweitert werden. Das ist auch einigen jener Leute zu verdanken, die sich als Nichtjuden mit wahrer Hingabe, oft neben ihrer beruflichen Tätigkeit, der Erforschung jüdischer Vergangenheit gerade in Orten gewidmet haben, in denen es längst keine jüdischen Mitbürger mehr gibt. Sie halten die Erinnerung an jene Zeiten vor der Judenvernichtung und -vertreibung wach, als deutsch-jüdisches Zusammenleben zum Nutzen aller noch eine Selbstverständlichkeit war. Dafür und für manche wertvollen Informationen bin ich namentlich Herrn Werner Pöllmann, Markneukirchen, Herrn Dr. Jürgen Nitsche, Chemnitz, Herrn Ralph Ide, Falkenstein/Vogtland, Frau Ellen Bertram, Leipzig, und nicht zuletzt Frau Waltraud Schmidt, Plauen, zu großem Dank verpflichtet.
Ich bin mit den »Bornsteins« viel unterwegs gewesen. In über 25 Lesungen habe ich zu ganz unterschiedlichen Bevölkerungskreisen gesprochen. Besonders am Herzen lagen mir die Begegnungen mit den meist sehr aufgeschlossenen Jugendlichen in Schulen und anderswo. Nun, im achten Lebensjahrzehnt, wird das aus Alters- und Gesundheitsgründen zwangsläufig seltener werden. Es wäre eine Genugtuung für mich, wenn trotzdem auch in Zukunft gerade die junge Generation zu diesem Büchlein als einem Lesestoff greifen würde, der ihr authentisch und aus der lebendigen Sicht eines Betroffenen, aber ohne Selbstmitleid und Anklagen vom Schicksal der deutschen Juden in und nach einer der schwersten Prüfungen in ihrer jahrtausendelangen Geschichte erzählt.
Nun, in erster Linie soll es Lesestoff sein, Unterhaltung und Entspannung bringen, auch wenn der Titel nicht danach klingt. Die Bornsteins? Die aus Falkenstein? Wenn schon noch eine deutsch-jüdische Familienchronik, warum dann gerade über stinknormale Juden, die keiner kennt? Warum nicht über die Mendelssohns und was aus ihnen geworden ist? So wird vielleicht mancher Leser nach den ersten Zeilen fragen. Mit der Antwort könnte ich es mir einfach machen: Über die Mendelssohns weiß ich weniger, als schon gedruckt worden ist. Über die Bornsteins aber eine Menge mehr, sogar intime Details, denn ich gehöre zu ihnen. Ich muss davon ausgehen, dass dieses Wissen mit mir ins Grab sinkt, wenn ich es nicht aufschreibe. Das könnte mir und den Lesern gleichgültig sein, gäbe es da nicht einiges, das wohl doch bewahrt werden sollte, das vielleicht zum zweitausendjährigen deutsch-jüdischen Zusammenleben gehört oder es wenigstens verständlicher macht. Erstens sind das in Form von Episoden mit Prismencharakter oder reportagehaft erzählten Geschichten typische Schicksale einer ganz bestimmten und nicht kleinen Gruppe von deutschen Juden – des jüdisch gebliebenen, jedoch recht angepassten städtischen oder kleinstädtischen Mittelstandes – im vorigen Jahrhundert. Zweitens ist das der Stoff für eine Lektüre, in der man keinen Zeigefinger heben muss, in der einfach die Wahrheit für sich spricht, die man mit innerer Anteilnahme, aber oft auch mit Schmunzeln lesen kann. Denn das Judenleben war auch in Deutschlands finstersten Jahren bis zur Schaffung der Massenvernichtungslager nicht nur tragisch und traurig. Es hatte alle Facetten, die das Menschsein nun einmal aufzuweisen pflegt. Niemand braucht sich zu schämen, wenn er vielleicht nach Tränen beim Weiterlesen zu lächeln beginnen sollte. So ist das Leben.
Die meisten Beiträge sind ursprünglich als selbstständige Arbeiten, entweder als Artikel oder als Manuskripte für Lesungen geschrieben worden. Biografien konnten und sollten so nicht entstehen. Aus den Lebensläufen wurden dramatische Höhe- oder Tiefpunkte herausgegriffen. Vollständigkeit darf man nicht erwarten. Hier und da kommt es zu Doppelungen. Ich hätte das durch Streichung beseitigen können, aber ich habe es nicht getan, weil es möglich sein soll, jedes Kapitel für sich zu lesen und doch den Gesamtzusammenhang zu erkennen. Alle Kapitel von 1 bis 10 sind nach dem wirklichen Ablauf der Ereignisse, wie ich sie erlebte oder erzählt bekam, unter Nennung der Namen und der Orte geordnet. Fotos und Dokumente aus hundert Jahren, die vielseitig wie ein jüdisches Familienalbum die meisten im Text genannten Ereignisse widerspiegeln, bieten dem Leser dann und wann die Möglichkeit zu einer Art optischer Kontrolle des Textes.
Die Kapitel 11 und 12, deren Held Primo ist, haben ebenfalls dokumentarischen Charakter. Da ist nichts ausgedacht. Nur im Interesse noch lebender Personen oder auch der nächsten Angehörigen inzwischen Verstorbener habe ich die Namen der Akteure verändert und manche Handlungsabläufe neu geknüpft. Inwieweit Primo mit dem Autor, mit dessen Bruder oder mit dessen bestem Freund identisch ist, muss ich aus dem gleichen Grund von Fall zu Fall dem Ratschluss des Lesers überlassen. Er ist jedenfalls weniger Person als Komposition.
Da und dort tauchen im Text einige jiddische und aus dem Hebräischen stammende Ausdrücke und Bezeichnungen auf. Soweit es den Gedankengang nicht allzu lang und abrupt unterbricht, werden sie unmittelbar im Anschluss übersetzt oder erklärt. Ansonsten sei auf den umfangreichen Teil »Anmerkungen und Erläuterungen« im Anhang verwiesen, in dem auch selten gebrauchte Fremdwörter (im Text mit * versehen) interpretiert werden und einige Langfassungen von im 8. Kapitel zitierten Heine-Gedichten zu finden sind.
Ralf Bachmann
1. Kapitel
Opa Max, der Kapitalist,
und Hoelz Max, der Anarchist
Vom Kaufmann in Lissa zum ersten Juden in Falkenstein / Vogtland
An einem sonnigen Sommernachmittag des Jahres 1886 saß in einem kleinen jüdischen Café der damals preußischen Stadt Lissa (Provinz Posen) der 23-jährige Kaufmann Max Bornstein mit einem guten Freund zusammen, der gerade von einer längeren Reise quer durch Sachsen zurückgekommen war. Er erzählte sehr bildhaft und immer wieder die Sätze mit einer oder gar zwei fast malenden Handbewegungen unterstreichend von Leipzig, dem aufblühenden »Klein Paris«, das vor allem zu Messezeiten wie ein Magnet Handelsleute aus allen Kontinenten anziehe, vom Elbtal und der unvergleichlichen Silhouette der königlichen Metropole Dresden. Aber Max Bornstein spielte ein wenig ungeduldig mit dem Kaffeelöffel. Er wollte etwas anderes hören. Das kam doch alles für ihn als Startpunkt einer neuen Existenz nicht in Frage, da brauchte man viel Geld, gute Beziehungen, den kaltschnäuzigen Geschäftssinn eines Shylock und Erfahrungen im Umgang mit Gaunern und Kuponabschneidern.
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