Sie stieß, schubste und wurde geschubst, von der Seite gestoßen und ergatterte immer wieder nur einen Blickfetzen. Gierend nach Blicken, vorbei an hektisch aufspringenden Köpfen, die ihren Kampfenthusiasmus grölend Richtung Ring skandierten, wo inzwischen beide Wrestler sich szenisch umtanzend zum Fight anheizten. Zwischen zwei Rückenschwenks entdeckte sie plötzlich einen noch freien, ausgemacht guten Stehplatz und strebte ihm zu. Denn inmitten einer Reihe von anfeuernden Hosenträgern schien bessere Ringsicht zu sein. Gerade rechtzeitig zum Beginn schaffte sie es, auszukeuchen und einen Stehplatz mit Ringperspektive zu ergattern.
Ein älterer Mann in dunkelblauem Zweireiher und Schlips stieg durch die Seile in den Ring. Er stellte sich in die Mitte und schwenkte jovial herausfordernd sein verkabeltes Mikrofon, wartete sich umsehend und mehrmals sich räuspernd ab.
Wie alle im Saal verfolgte die auch zuvor aufgefallene Frau gespannt, wie Rüschenhemd sein Mikrofon zum Mund führte, hörte, wie sein sonorer Bass aus den Hallenlautsprechern Abendankündigungen herausströmte. Zwei Wrestler tanzten aus gegenüberliegenden Ringecken mit Box-, Schlag- und Ausweichbewegungen zur Ringmitte hin. Übliche Beschimpfungen unter Wrestlern im Ring gingen in Begrüßungsapplaus und Zwischenrufen unter.
Ann Lindemann, so hieß die Frau, erschrak plötzlich, als kräftige Hände sie an ihrer Schulter packten und sie dreist weiterschoben. Fast wäre sie dabei gestürzt. Gerade noch schaffte sie es sich, auf einen vorderen Männerrücken zu stützen, worauf ein verschwitztes Männergesicht sich verärgert zu ihr umblickte. Kaum, dass er erkannte, dass die Störerin eine attraktive Frau war, prostete er ihr mit der Bierflasche zu.
Der Moderator in der Ringmitte kreischte amplitudisch hochvibrierend: „Melon Jim – The Challenger from Pennsylvania!“ Rund um den Ring tanzten inzwischen leicht bekleidete Damen in hohen, weißen Cowboystiefeln und hellblauen Fransenblusen. Auf breiten, bunten Schildern stand jeweils der Namen eines angekündigten Wrestlers, unterlegt von dazu eingespielter Country & Western-Musik: Melon Jim gegen Coup Bill.
Ann Lindemann reckte sich wieder mal in Schulterhöhe des ihr die Ringsicht verstellenden Smokings und rief lautstark anfeuernd: „Melon, Melon!“ Gefangen im Anfeuerungsjubel ‚gib’s ihm, pass auf seine Linke auf‘ klapste ihr von hinten jemand auf die Schulter. Irritiert, mit feurigen Augen drehte sie sich um. Ein Bariton mit Schnauzbart, oder umgekehrt, hatte sich vorgenommen, sie zu beschwichtigen: „Ist doch nur Spaß! Prickelnde Unterhaltung! Erst kriegt‘s der eine, dann der andere! Auf die Linke aufzupassen, bringt gar nichts, Lady!“ Daneben drehte sich ein jüngerer Mann südlichen Teints um, ergänzte ziemlich barsch: „Keine Ahnung, wie! Hören Sie auf, so zu schreien, Miss. Der alte Kerl hat doch sowieso keine Chance!“, und ein Dritter erteilte ihr sich umdrehend folgende Abfuhr: „Maul halten, Lady, Sie erobern gerade die falsche Reihe! Eine Faust von Coup Bill, und Sie können ihren Helden von der Matte aufwischen. Wird eh‘ Zeit, dass ihr Methusalem seine Leviten lesen lernt. Was suchen Sie also noch in unserer Höhenlage? Schweigen Sie besser. Gegen sein Epitaph wehren Sie sich vergebens.“
Schockiert wandte sich Ann Lindemann um, starrte grimmig zu einem Hallenscheinwerfer, dessen Licht bedenklich wackelte, dann aber weiterleuchtete.
Die Ringglocke ertönte, der Fight begann. Fäuste prallten gegeneinander, erste Greifmanöver und Schwingungen Richtung Body. Schmerzerfülltes Brüllen im Ring, stampfend sich abschätzende Wrestlerfleischmassen täuschten einander, wo der initiale Griff anzusetzen sei. Dann, Trennung, Atemholen aus Gift und Galle spuckender Distanz.
Plötzlich, kaum eine Minute bis zur ersten Ringpause: Melon Jim lag im Würgegriff schon auf der Matte, drehte sich um die eigene Achse. Coup Bill drückte Melon Jim mit flacher Hand nieder, mit der anderen setzte er mehrmals an, des Gegners Oberschenkel von unten zu umfassen, was ihm auch nach mehreren Ansätzen gelang. Mit enormer Kraft zog Coup Bill Melon Jim an den beiden Unterschenkeln hoch, regelrecht in den Handstand, dass der Wrestlerkopf knapp über dem Ringboden bedrohlich baumelte. Sobald Coup Bill Melon Jim kerzengrade aufgerichtet hatte, ließ er seinen Gegner gestisch lächelnd wieder los und zu Boden krachen. Kaum lag Melon Jim ausgesteckt auf dem Ringboden, packte Coup Bill beide Beine, zog seinen so überwältigten Gegner triumphierend im Kreis herum. Appellierende Anfeuerungsrufe aus dem Publikum, aber auch betretenes Schweigen. Melon Jim am Boden, aber nicht ganz. Aus niedergerungener Zwangslage heraus schaffte Melon Jim, ein Bein frei zu winden, und mehrmals energisch in Richtung Coup Bill’s Bauch zu treten. Doch auch das nutzte nichts. Coup Bill fasste ein Bein und drückte es kraftvoll nach hinten, dass Melon Jim im Bemühen, aufzustehen, an Höhe zu gewinnen, auf den Rücken zurückfiel und reglos liegen blieb.
Kaum hatte er es geschafft, sich zu erheben, versetzte Coup Bill ihm einige harte Faustschläge gegen die Brust. Melon Jim fiel erneut zurück und blieb ausgestreckt am Boden liegen.
Dem Sieg, so früh, ganz nah. Der vom Ringrichter demonstrativ angezählte Countout zählte die Anti-Melon-Jim-Fraktion in der turbulent erregten Halle ab drei laut mit. Coup Bill, schon in Siegerpose, entfernte sich und boxte unter wild entbrandendem Jubel in die nach allen Ringseiten durchschwirrte stickige Hallenluft.
Trotz ihres nicht gerade günstigen Blickwinkels hielt es sie nicht mehr länger, Melon Jim angeschlagen und angezählt sich am Boden wälzen zu sehen. Schiedsrichter Finch zählte aufwärts, am erhobenen Arm hoch fingernd. Der Gongschlegel schien bereits schlagbereit angesetzt zu sein.
Bei Zahl 6 durchdrang eine Frauenstimme mutig laut schon hektisch aufwühlenden Ringtumult: „Melon, you do succeed! I am on your side. Please, don’t disappoint myself!“
Melon, du hast Erfolg! Ich bin an deiner Seite. Bitte enttäusche mich nicht.
Irritiertes Raunen quirlte durch alle Publikumsreihen. Glühend gespannte Augenpaare verfolgten ringsum, was in den angezählten letzten Sekunden im Ring vor sich ging. Der Ringmoderator setzte schon sein Mikrofon zur Verkündigung des ersten Siegers dieses Abends an. Vollkommen unerwartet, zum Staunen aller richtete sich Melon Jim bei acht auf, hievte sich gelenkig in den herausfordernden Wrestlerschritt, spottete, grinste frech, boxte ein paar Mal in die Ringluft. Coup Bill kam zögerlich von den Seilen zurück, signalisierte mit Handzeichen seinem zur Kampffortsetzung bereiten Gegner so was wie ‚du willst mich bezwingen? Versuch es, wenn du noch nicht genug hast.‘ Ein paarmal in die Luft boxend nahm der Herausgeforderte die Herausforderung an. Ging in Angriffshaltung gebückt auf Melon Jim zu, aber kassierte, sobald Coup Bill in die Ringmitte sich vorgetanzt hatte, einen treffsicher platzierten Tritt in die Magengrube, woraufhin er kopfüber krachend zu Boden ging. Coup Bill wälzte sich zwar vor Schmerzen, stand aber wieder auf und blinzelte arglistig Melon Jim zu.
Wieder erstauntes Raunen in der Halle! Der Wrestlingkampf sollte also weitergehen, war noch nicht ausgestanden. Der tönende Gong beendet die erste Runde.
Melon Jim wrestelte in den nächsten beiden Runden mit leichten Vorteilen für sich. In der vierten Runde presste ein Beugegriff Melon Jims Coup Billys Oberschenkel ziemlich brutal zusammen. Coup Bill humpelte, und ein weißes Handtuch flatterte zugunsten Melon Jims in den Ring.
Pause bis zum nächsten Fight!
Kaum war die Pause angekündigt, zwängte sich Ann Lindemann verschwitzt, freudig erregt in Richtung Ausgang. Ihr Ziel hieß Melon Jims Backroom. Nicht nur, um dem Wrestler zum Sieg zu gratulieren, sondern auch, um ihrem muskulösen Favoriten mit Grips hinter der Stirn Nahe sein zu können. Ein freundlich lächelnder Security-Hüne wird mich schon zu den Backrooms durchwinken.
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