„Und dass, während wir schliefen. Wer macht nur so was? Ausgerechnet Grit, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.“ Unter Klagen und Heulen schob der Bauer seine Frau, vorsichtig zurückbewegend über die Schwelle der Zimmertür in den Korridor zurück.
„Ein Mord, hier auf dem Hof, wo Sie und ich wohnen.“ Hofhilfe Ute sah den Bauern ebenfalls verheult an.
„Nach was sieht’s denn aus? Sieht so aus, als hätten wir heute Morgen eine Tote zu beklagen. Frag mich nicht, wer, warum. Ich habe keine Ahnung, wer in unserer Nähe so brutal wütete. mit Ahnungen kann ich daher nicht viel anfangen. Grit wurde diese Nacht aus dem Schlaf gerissen und ihr wurde die Kehle aufgeschlitzt. Sie verlor viel Blut - ein qualvoller Tod.“
„Beim Allmächtigsten, mein Zimmer ist doch am nächsten dran, und ich habe nichts gehört.“
„Das wirst du … der Polizei … Ich muss runter, die Polizei verständigen. Wird hektisch werden hier in den nächsten Tagen, aber wer rechnet denn mit so was: Mord an einer Magd auf einem abgelegenen Bauernhof.“
Während der Bauer im Eiltempo die Treppe herunterflitzte, lehnten die Ältere und die Jüngere verwirrt und immer wieder schluchzend an der Korridorwand. Sie glitten dann hinunter, heulten gemeinsam weiter, stammelten immer wieder: „Grit, Grit, wer nur hat dir das angetan?“
„Und nun“, flüsterte Ute unter Tränen. „Ist mal mit ihr etwas gewesen? Aus dem Korridordunkel starrte Frederike die allzu naive Fragerin an und wiederholte ungläubig: „... gewesen? Was soll denn mit Grit gewesen sein? Vier Jahre und ein paar Monate war Grit bei uns. Du weißt ja selber, wie sie gerackert hat. Malte erzählte mir gerade, als wir dich schreien hörten, dass ihm heute Morgen seltsame Schneespuren auf der Wiese hinterm Haus aufgefallen sind. Hast du davon etwas bemerkt, Ute?“
„Ja, stimmt, dass da jemand war, hatte ich vorhin beim Gang zum Kuhstall bemerkt.“
„Und das sagst du erst jetzt erst?“
„Wann hätte ich denn erzählen sollen, es ging ja alles so schnell heute Morgen. Haben denn die Spuren was … beim Allmächtigen, ich kann es noch gar nicht fassen.“
„Warum sollten Fußspuren sonst hinterm Haus sein? Werde ich mir trotzdem gleich mal ansehen. ‚Spuren aus verschiedenen Richtungen führten zum Kellereingang und wieder zurück‘, erzählte mir Malte vorhin. Schon das allein wäre ein Fall für die Polizei, nun aber ein Mord in unserem Haus!? Sieht so aus, als ob die Spuren mit dem Mord zusammenhingen, einfach furchtbar das Ganze! Nicht auszudenken, Einbruch in mörderischer Absicht, ausgerechnet bei uns. Als ob man urplötzlich aus seinem Leben gedrängt wird, herrje.“
Inzwischen war Malte Lennartz die Treppe runter in das kleine eingerichtete Büro hinten im Flurtrakt zum Telefon geeilt, hob den Hörer ab und wählte den Polizeiruf 112. Nur mit Mühe und nach mehrmaligem Verstottern schaffte der Bauer es, von Mord zu sprechen und zu erklären, wer das Mordopfer war. Der Polizeibeamte am Apparat verweigerte ihm anfangs, abzunehmen, dass eine Magd das Opfer sei, er riet stattdessen, den Hausarzt zu holen. Der würde schon, wenn was sei, alles Notwendige in die Wege leiten. Als Lennartz dann auf die Blutlache am Tatort hinwies, reagierte der Polizeibeamte endlich, nahm die Adresse des Bauernhofs auf und sicherte zu, den Fall an das Hamburger Kriminalkommissariat weiterzuleiten.
Genervt verließ Bauer Lennartz sein Büro, ging zurück in den Flur. Die Türklinke der Kellertür schon gedrückt, trat er noch mal einen Schritt zurück, schaute zurück zur Treppe und rief fragend aufwärts, ob ‚alles in Ordnung’ sei. Geradezu idiotische Frage, auf die er keine Antwort bekam.
In der Drehbewegung zog seine Hand die Kellertür auf, mit der anderen knipste er das Kellerlicht an und ging flott die Kellertreppe runter. ‚Wenn ich mir nur vorstelle, dass diese Sprossen letzte Nacht leise, heimtückisch, um zu morden gleich mehrmals herauf- und heruntergegangen worden sind!? Trotzdem, nur eine von beiden Spuren kann die vermutliche Mörderin getreten haben. Einfach absurd, Grit in aller Heimtücke den Garaus zu machen.“
Der Kellerraum mit der Kellertür nach außen lag im Dunkeln. Als der besorgte Bauer das Raumlicht andrehte, flackerte es zuerst bedrohlich, ging aber nicht aus, sondern erhellte stattdessen den Kellerraum.
Lennartz erschrak, obwohl er sich hätte denken können, was ihn erwarten würde. Die Kellertür war ein Stück weit angelehnt. Durch den Spalt strömte kalte Morgenluft ein. Das Türschloss, alt und verrostet, war vermutlich bei einem tückisch eingeführten Draht aufgesprungen. Misstrauisch blickte er sich um, schätzte ab und sah skeptisch zur fensterlosen Tür des Kellerausgangs hin. Dann drehte Bauer Malte das Licht aus und orientierte sich im dunklen Keller mit einer Taschenlampe. Wer einbrach, hatte sich wohl mit einer Taschenlampe orientiert. Die Mörderin musste die Kellertreppe raufgeschlichen sein und oben die Kellertür zum düsteren Flur geöffnet, kurz ins Haus hineingehört haben. Dunkel, mucksmäuschenstill, alle schliefen, wie auch anders. Dass Gefahr im Verzug war, ahnte ja keiner. Hinter der Kellertür lag die Haustreppe zu den Schlafräumen. Dann war die Täterin herauf- und den Korridor entlang geschlichen, bis zu Grit Zimmer. Sie muss es unweigerlich sofort gefunden haben. Aus Vertrauen schloss Grit ihr Zimmer nie ab. Wäre auch eine Leichtigkeit gewesen, auch dieses Schloss zu knacken. Wer mordete, war ins Zimmer hineingeschlichen, hatte sie mit vor ihren Mund gehaltene Hand aufgeweckt und dann brutal ermordet – so kann es passiert sein!? Aber warum ausgerechnet Grit? Unsere Magd, die die ganzen Jahre, seit sie bei uns ist, keinerlei Außenkontakte hatte. Jedenfalls keine, die ich erinnere. Moment mal, Grit blutete auch aus dem Kopf. Eine Schusswunde, wahrscheinlich wurde sie mit Schalldämpfer zugefügt. Wer auch immer Grit das antat, hatte sie doppelt hingerichtet. Ein Rachemord vielleicht, und so was bei uns. Darum soll, darum muss die Kriminalpolizei sich kümmern.
Als Bauer Lennartz im dunklen Kellerraum sich den Tathergang szenisch vorstellte, wusste er plötzlich nicht mehr, wie ihm geschah. Wer nachts in und durchs Haus geschlichen war und gemordet hatte, muss genau gewusst haben, wo Grits Zimmer lag. Das Haus musste zuvor schon länger beobachtet worden sein, um zu herauszufinden, welches Grits Zimmer war, oder? Jedenfalls hatte ich bei meinem späten Rundgang gestern Abend niemand hinterm Haus bemerkt. Niemand Verdächtigen, der oder die, wie sonst in Frühling, Sommer oder Herbst, sich entschuldigend wieder Hof entfernte, sobald er ihm oder ihr nähertrat. Meist kam es aber gar nicht erst dazu, höflich zu nachzufragen, was sie suchten.
Gegen elf Uhr vormittags fuhr ein dunkelgrüner Polizei-Mercedes durch das Hoftor und parkte vor dem Bauernhaus. Bauer Lennartz öffnete die Haustür, ging dem aussteigenden Polizisten mit ungutem Gefühl darüber entgegen, dass sich in den nächsten Tagen eine angespannt traurige Stimmung über seinen Hof legen würde.
Zögerlich, immer wieder seinen nächsten Schritt abschätzend, kam der Polizist Bauer Lennartz entgegen:
„Ganz schön rutschig hier draußen. Hatten Sie uns vorhin angerufen?“
„Lassen Sie sich Zeit, denn ich kann’s sowieso noch gar nicht richtig fassen, was diese Nacht im Haus vorgefallen ist. Unsere Hofhilfe entdeckte unsere Magd gegen acht Uhr heute Morgen. Sie wurde in ihrem Zimmer ermordet, bei uns oben im Haus.“
„Ganz schön kalt hier draußen. Dass wir so weit draußen einen Fall annehmen, bin ich ehrlich nicht gewohnt. Hinterstes Poppenbüttel, wo man so was am wenigsten vermutet. Ich musste erst mal tüchtig suchen, um hierher zu finden.“
„Nun sind Sie ja hier, und es wartet Arbeit auf Sie.“
„Ihre Magd also hat’s erwischt?“
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