„Ann, nicht so laut! Die beiden Herren wollen dein Gequake bestimmt nicht länger ertragen. Was sollen sie nur von uns denken?“
„Magst du mir deine Gäste nicht vorstellen, James? Außerdem können es doch alle hören, wer dich besucht, oder? Der Laden hier kniet doch vor dir, wenn du nur die Stirn runzelst. Du bekommst deine Donna Reed, ich bekomme meinen Montgomery Clift, abgemacht? Nichts hättest du mehr verdient als Abwechslung, Spaß, Freizeit. Was rede ich, du gehst ja neuerdings, wann du willst. Ihr Ingenieure dürft Freizeit haben, soviel ihr wollt, ist es nicht so?“
„Ann, das reicht jetzt! Verschwinde und lass mich zu Ende essen!“
„Noch nicht gemerkt, du kannst mir gar nichts. Was ich will, nehme ich mir! Kleines Amüsement mit dem Bruder so zwischendurch, na und? Da wird wohl niemand was gegen haben.“
„Äh, Ann, ich fahr übers Wochenende runter nach Connecticut!“
„Ach ja, Bruderherz, das wollte ich dich auch noch fragen. Kannst du mir nicht für ’n paar Tage die Schlüssel überlassen?“
„Das gehört nun wirklich nicht hierher, Ann! Ruf‘ mich doch am Freitagabend Zuhause an. Dann finden wir bestimmt eine Möglichkeit, aber lass mich jetzt bitte in Ruhe! Du siehst ja, die beiden Herren hier erwarten ganz begierig Möglichkeiten von mir.“
Die temperamentvolle Schwester wandte sich den beiden argwöhnisch beobachtenden Besuchern zu:
„Auf Möglichkeiten warten Sie beide, woher Sie auch kommen mögen? Bei meinem lieben Bruder vergebens, das sag‘ ich Ihnen gleich auf den Kopf zu. Enttäuscht? Wenn mein Bruder keine Schnitzel verdrückt, lebt und stirbt er fürs Unternehmen. Eine Gesinnung ist das!? Hätte ich eine solche Gesinnung, würde ich bald schon mit dem Rollator fahren. Übrigens, deine Gäste sollten sich auch mal einen längeren Spaziergang gönnen, so blass, wie die aussehen. Ist Ihnen nicht zu warm in Ihren muffigen Trenchcoats? Unpassend zur Jahreszeit! Wir springen, jenseits des Unternehmenszauns bricht der Frühling aus!“ Ins Deutsche wechselnd: „Was ist mit den Schlüsseln, Hans? Am Freitagabend sind die nächsten beiden Tage arbeitsfrei, wenigstens für mich! Connecticut ist immer eine Fahrt wert, findest du nicht?“
„Und sie bekommen sich beide?“, fragte James auf Englisch sich ihr zuwendend, ohne weiter auf die Schlüsselfrage einzugehen.
„Ja, leider, das ist der kleine Fehler im Drehbuch. Du hast sowieso nichts zu tun, James? Der Krieg ist kalt! Munition wird global gerade kei..., weniger vergeudet. Gönn‘ deiner kleinen Schwester wenigstens Burt Lancaster neuen Kriegsfilm. Vielleicht ballern sie wieder mit deiner Haubitze, nur diesmal auf der Leinwand, ohne Opfer im Saal. Erinnerung pur für amerikanische Jungs! Kann ich heute Abend für zwei reservieren oder wollen die beiden Herren im Trenchcoat uns begleiten?“
„Wir, oh, nein, viel zu brutal für uns! Wir legen höchstens die Beine hoch, wenn Vivien Leigh oder Audrey Hepburn auf der Leinwand glänzen.“
„Na, dann nicht. Meinte auch nur, Sie könnten wenigstens James dazu bewegen, mit mir ins Kino zu gehen. Sie müssten sich auch was anderes anziehen, Schade!“
„Und wrestlen, Ann?“
„Lenk' nicht ab, Brüderchen. Hat einer deiner Kollegen wieder gequatscht? Experten in ballistischer Berechnung, aber Freizeit für berstende Knochen vergeuden, na ja. Melon Jim kämpfte letzten Samstagabend einen seiner letzten Fights. Da musste ich eben am Ring bangen! Solltest du auch mal, als Alternative fürs unendliche Schuften. Sich reinziehen, wie Kerle sich nur mit Muskelkraft gegenseitig umnieten.“
„Nicht so laut, Ann, in der Kantine hört schon jeder mit!“
„Jede auch, nicht vergessen!“
„Gar nicht auszudenken, was meine beiden Gäste von dir denken.“ Ann sah sich kurz in der Kantine um.
„Stimmt, hier ernähren sich nur Kerle, natürlich außer mir! Reißen dich die beiden Typen wenigstens aus der Langweile? Sonst liest du doch den ganzen Tag Magazine, nicht? Kalt ist der Krieg, da braucht Uncle Sam keine Waffen, nur schuften darf die Sekretärin bis Ultimo, verdammt in alle Ewigkeit. Übrigens, wenn du, Bruderherz, in der Kantine eine mit einer Säge siehst, halt' sie fest, sperr sie ein – eine von den feisteren Damen ist auf meinen Stuhl versessen! Schade, war nett, Minuten ohne Abmachung zu verbringen. Ich muss wieder stenografieren, tippen oder sonst was, wer weiß, meine Stechuhr rotiert bestimmt schon. Tschüss, James und die beiden anderen Mister.“
Kaum hatte sie sich entfernt, neigte Hawknight sich über den Kantinentisch und fragte so diskret wie möglich: „Das eben war wirklich Ihre jüngere Schwester, Dr. Lindy? In unserer Kantine wäre sie mit ihrem lockeren Auftreten schon längst unten durch, das können Sie mir glauben.“
„Ann? Ich kann sie mir gar nicht anders vorstellen als garstig bis launisch, schlichtweg unberechenbar. Ihr Talent ist ihre aggressive Art Schlauheit und Witz zu mischen. Ziemlich gekonnt zwar, kommt aber wohl nicht überall gut an. Sie kann ja auch viel, und das lässt sie jeden und jede wissen, der ihr begegnet. Machen Sie mal die Probe aufs Exempel und kritisieren Sie sie. Als sie vor gut einem Jahr bei uns unterschrieb, schärfte ich ihr ein, ihre rebellische, mitunter beleidigende Art zu zügeln. Was dabei herausgekommen ist, lernten Sie ja gerade kennen. Ann springt in ihren Gedanken und Sätzen nach Lust und Laune. Ist sie erst mal so richtig drauf, macht sie es einem nicht gerade einfach, mit ihr auf gleicher Ebene zu bleiben. Trotzdem, man glaubt es nicht, Ann kann auch anders.“
„Nur gerade nicht.“
„Das war wohl gerade ihre Vorstellung, im Restaurant, in einer Bar oder beim Strandspaziergang kenne ich Ann ganz anders. Gesprächig, fragt nach, erinnert sich an früher – eine vollkommen andere Ann scheint mir dann zu begegnen. Als Sekretariatsleiterin meint sie, unersetzbar zu sein, weswegen sie meint, sich alles herausnehmen zu können. Bisher wurde ihr ihr Schalk noch nicht im Unternehmen krummgenommen, weil Ann schlichtweg die Beste ist! Geschäftsbriefe, von ihr redigiert und getippt, müssen Sie mal lesen. 'So kriege das keine hin', lobte Ann kürzlich unsere Geschäftsführung. Ob im Schreibmaschinenschreiben, beim Stenografieren oder beim Diktat, an Elan und Verstand übertrifft Ann jede andere im Sekretariat. Es gibt keinen im Unternehmen, der sie wegen ihrer Fähigkeiten nicht schätzt.“
„Außer Ihnen, Dr. Lindy?“
„Das habe ich überhört! So einer müssen Sie von vorneherein Paroli bitten, sonst macht sie mit Ihnen, was sie will. Schon, dass ich so was als ihr Bruder sagen muss ..., na ja, man nimmt das Leben eben, wie es kommt!“
„Ihre amüsante Schwester warnte doch eben, dass wer an ihrem Stuhl säge?“
„Reine Nonchalance! Ann weiß nur zu gut, dass die Sägezähne stumpf sind und nichts ihrer Stellung und ihrem Ansehen nichts anhaben können.“
„Bravo, das muss eine erst nachmachen. Nur fiel mir eben auf, dass Ihre Schwester dort, wo unsereins zu oft hinschaut, einen anderen Namen als Sie trägt? Lindemann, warum denn das, Dr. Lindy? Durchblicken ließ Ihre Schwester eben, dass sie nicht verheiratet ist, sie trägt auch keinen Ring. Wie also erklären Sie Ihre beider unterschiedlichen Nachnamen?“
„Ha, das ist schnell erklärt, meines Herrn! Ann trägt nach wie vor den Familiennamen unserer Eltern, sie heißt also mit Nachnamen ‚Lindemann‘. Als ich zu studieren begann, änderte ich ‚Lindemann‘ in ‚Lindy‘ und meinen deutschen Vornamen ‚Hans‘ in ‚James‘ um. Ich amerikanisierte ihn, weil ich mir dadurch höhere akademische und gesellschaftliche Anerkennung erhoffte.“
„Wie beides ja wohl auch eingetroffen ist.“
„Ja, natürlich, etliche deutsche Immigranten hatten schon im 19. Jahrhundert ihre deutschen Namen amerikanisiert. Müller wurde zu Miller, Schmidt zu Smith und so weiter. Bei Ihren Namen, Mister Engelheim, stelle ich es mir schwieriger vor. Engelheim zu Angelhome oder vielleicht Angeles, witzig, nicht? Sie haben es auch so geschafft, trotz Immigrantengeschichte in der Familie, nicht? Kompliment, als Inspektor in Staatsdiensten muss man bestimmt ganz schön aufwärtsrackern, nicht schlecht! Lindemann hätte im Nachhinein gesehen für mich auch funktioniert, aber wer konnte das damals schon wissen. Seit Highschoolzeiten bin ich James Lindy, nur Ann nennt mich manchmal, wie Sie gerade hörten, bei meinem Geburtsvornamen, also Hans. Aber hat es mir geschadet, eindeutig nein! Auch aus Ann ist was geworden! Nur zäher, serpentinenartig, verschlungener! Sie hat sich ihre Garstigkeit hart erarbeiten müssen! Mehrere Chefs sprangen nach ihrer Probezeit vom Angelhaken, und so weiter. Bis sich ihr Traum irgendwann erfüllte, ging es manchmal bis an die Schmerzgrenze, und oft auch darüber hinaus.“
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