„Das kann ich nicht akzeptieren“, sie schüttelte den Kopf.
„Er muss schon persönlich kommen“, sie gab ihm den Pass zurück.
„Aber das bin ich !“, Richard freute sich über die Schwierigkeiten, die sie ihm machte.
„Sind Sie die Schwester?“
Sie griff wieder nach dem Pass, den Richard noch in der Hand hielt und sah vom Pass zu Richard und wieder zurück.
„Entschuldigen Sie“, meinte sie irritiert und reichte ihm das Päckchen.
Als er mit dem Päckchen aus der Postfiliale heraustrat, erhielt ich sofort einen Anruf.
„Isa, das kannst du dir nicht vorstellen“, ich verstand ihn kaum, weil er so lachen musste.
„Ja, du hast dich tatsächlich verändert“, lachte ich und hörte mir zum x-ten Male an, wie er den Gesichtsausdruck der Bediensteten beschrieb, als er ihr sagte, dass ja ER der Herr Zimmermann war.
„Ja, aber man erkennt ja trotzdem, dass ich keine Frau bin“, sagte er nach einer Weile.
„Nein, Richard, du siehst ja, dass sie dich für eine Frau gehalten hat“, entgegnete ich.
„Ja, aber nur, weil ich lange Haare habe“, widerspricht er mir schon wieder.
„Nein, weil du eine frauliche Stimme hast und weil du einfach unmännlich bist“, sagte ich.
„Naja, egal. Ich habe mich trotzdem gefreut… und wie sie mich dann angesehen hat“, wieder brach er in schallendes Gelächter aus.
Ich stimmte mit ein und stellte mir die Frau mit offenem Mund vor.
„Ja, ihr blieb wirklich der Mund offenstehen, als ich ihr sagte, dass ja ICH der Herr Zimmermann bin“, er konnte es nicht oft genug wiederholen.
„Jetzt bist du ja bald wirklich eine Frau“, sagte ich und zählte an den Fingern, „Sieben Monate noch.“
„Meinst du, dass ich das Richtige mache?“, fragte er unsicher.
„Weißt du schon, wie du heißen wirst?“, lenkte ich von der Frage ab, die ich schon zur Genüge mit bestem Wissen und Gewissen beantwortet hatte.
Was war schon das Beste oder das Richtige?
Wie in Gottes Namen sollte ich das wissen?
Was war schon richtig, was war falsch?
„Riccarda. Der weibliche Name für Richard eben?“, antwortete er unsicher.
„Ja, gefällt mir“, sagte ich, war mir aber nicht so sicher.
„Aber meinst du nicht, dass mich die, die mich kennen, dann doch immer wieder Richard nennen, weil die beiden Namen sehr ähnlich sind?“, fragte er unsicher.
„Hm. Das könnte schon sein, was den Nachteil hat, dass vielleicht wieder jemand „er“ sagt. Wenn du einen völlig anderen Namen wählst, dann ist das bestimmt einfacher“, bestätigte ich ihm.
„Was hältst du von Emma?“, fragte er, „oder Viktoria, Katharina oder Celine?“
„Also wenn du mich fragst, dann würde ich einen einfachen Namen wählen. Ja, so wie Emma oder so“, meinte ich abwägend.
„Was sagst du zu Romy?“, fragte er plötzlich lebhaft.
Ich brauchte nicht lange zu überlegen: „Ja, ausgezeichnet, finde ich gut.“
In Gedanken stellte ich mir ihr Gesicht vor und fand Romy auf Anhieb passend.
„Ja, Romy Riccarda“, sagte sie feierlich.
Natürlich begleitete ich sie zum Gemeindeamt.
Ihr war etwas mulmig zumute, als wir das Büro des Gemeindesekretärs betraten, der uns freundlich und etwas neugierig begrüßte und den sie schon als Kind kannte.
Aber er reagierte sehr gelassen auf Romys Ansuchen auf Namensänderung und erzählte uns, dass das nicht seine erste Namensänderung in einer solchen Situation war.
Das fanden wir sehr interessant.
Es war irgendwie eigenartig.
Beim Eintreten ins Gemeindeamt war er noch Richard, beim Verlassen hatte sie eine neue Geburtsurkunde in der Hand.
ROMY RICCARDA war geboren!
Romy/Richard, 2012, neue Identität
Im Krankenhaus gab es viel Gemunkel über das Wesen Richard/Romy, aber das Krankenpflegepersonal und die Ärzte gewöhnten sich schnell an die neue Situation. Seine/ihre Haare waren nun lang, er/sie bekam weibliche Dienstkleidung und er/sie kam geschminkt zur Arbeit.
Natürlich sprach man über sie/ihn.
Es war eine schwierige Zeit für Richard/Romy.
Er/sie stand mitten im „Umbruch“.
Er/sie befand sich sozusagen zwischen zwei Welten.
Aber um von seinen/ihren Problemen abzulenken und sich die Bestätigung zu holen, dass er/sie bereits wie eine Frau aussah, ging er abends häufig aus.
Er/sie trug meist Jeans und eher unauffällige Shirts.
Aber dann kam der Tag, an dem er/sie sein/ihr erstes Kleid kaufte.
Seine/ihre Beine, unerhört gut geformt und lang, gefielen ihm/ihr in dem kurzen, engen Kleid.
Für meine Verhältnisse war das Kleid zu kurz, zu eng und etwas obszön. Ich sagte ihm/ihr das. Es war ihm/ihr egal.
Richard/Romy stürzte von einem Abenteuer in das nächste.
Von einem Fest ging er/sie einmal in den Morgenstunden mit zwei Südamerikanern nach Hause, die ihm/ihr dort „Salsa-tanzen“ beibringen wollten.
Gutgläubig folgte er/sie ihnen nach Hause, aber die Männer versperrten die Türe und wollten mehr von ihm/ihr.
Von Salsa war keine Rede mehr.
Der eine hielt ihn/sie fest und der andere zog schon an seinem/ihrem Kleid.
In seiner/ihrer Panik, dass sie ihn/sie nackt sehen würden und dann merkten, dass er/sie keine „richtige“ Frau war, versprach er/sie, ihnen „einen zu blasen“, wenn sie von ihm/ihr ließen.
Als er/sie mir das erzählte, war ich in arger Versuchung, ihn/sie an Ort und Stelle zu ermorden.
„Hast du total den Verstand verloren!“, schalt ich ihn/sie.
„Ja, ich weiß, es war dumm von mir…“, ich ließ ihn/sie gar nicht aussprechen.
„Was heißt hier dumm? Du bist das Dämlichste, was mir je untergekommen ist!“
Ich konnte mich erst gar nicht beruhigen.
„Stimmt“, sagte er/sie und senkte den Kopf, „ich denke, die hätten mich umgebracht, wenn sie gemerkt hätten, dass ich keine richtige Frau bin.“
„Darauf kannst du wetten“, ich war noch immer außer mir.
„Weißt du“, begann er/sie und sah mich unschuldig an, „ich hatte das erste Mal in meinem Leben richtig Angst.“
Das konnte ich mir vorstellen.
„Sie wollten mich vergewaltigen, fuhr er/sie fort und ich schüttelte unablässig den Kopf.
„Hundertprozentig“ bestätigte ich und er/sie erzählte mir auch, wie er/sie die beiden Männer beim Tanzen „heiß“ gemacht hatte.
Ich kannte seinen/ihren Blick und seinen/ihren Augenaufschlag, wenn es um das Flirten ging.
„Mach das nie mehr wieder!“, sagte ich und sah ihm/ihr ganz fest in die Augen, die er/sie sofort niederschlug.
„Weißt du was eine Hure ist?“, fragte ich nach einigen Minuten.
Er/sie sah mich verwirrt an, offensichtlich wusste er/sie nicht, auf was ich hinauswollte.
„Natürlich weiß ich, was eine Hure ist“, er/sie zog die Augenbrauen zusammen und sah mich finster an.
„Was ist der Unterschied zwischen dir und einer Hure?“, wollte ich weiter provozieren.
„Was soll das?“, fuhr er/sie mich an.
„Die Huren verlangen Geld dafür“, sagte ich trocken und wartete auf seine/ihre Reaktion.
Er/sie biss sich auf die Lippen.
„Aber ich mache das nur, weil ich die Bestätigung brauche“, verteidigte er/sie sich.
„Es ist aber ein Unterschied, ob ich mir beim Flirten beweise, dass Männer auf mich fliegen, ob ich sie küsse, oder ob ich mit ihnen ins Bett gehe. Und da gibt es dann abermals eine Differenzierung, nämlich: weiß ich am nächsten Tag noch seinen Namen, oder nicht mehr?“, ich hob eine Augenbraue und sah ihn/sie böse an.
„Um das geht es nicht. Ich will eine Frau sein!“, rief er/sie zornig.
„Aber Frau sein ist nicht gleichzusetzen, mit Beine-breit-machen“, ich versuchte nach Worten zu suchen, um ihm/ihr zu erklären, was ich unter „Frau-Sein“ verstand.
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