Da war sie, die Vergangenheit die traurig macht. Die drei schauen auf die Wasseroberfläche, auf ihre Blinker, ob sich was bewegt.
Elfriede redet dann weiter. „Das ist ja toll. Und dann bist du in deine Heimat gefahren und Tom hat dich auf der Autobahn aufgelesen.“
„Das war der erste annehmbare Mann, der mir in meinem Leben begegnet war.“ Dann flüstert sie, aber so, dass es Freddy hört. „Ich wusste ja nicht, dass es noch bessere gibt.“
Er lacht. „Dass es auch Männer gibt die nicht angeln können“, weil bei Fried wieder einer angebissen hat.
„Aber wieso bist du nicht in Berlin geblieben?“ bohrt Elfriede weiter.
„Ja. Wieso eigentlich nicht?“ will auch Freddy wissen. „Wieso kehrt eine Frau wie du der Hauptstadt, in der es alles gibt, den Rücken und geht in diese ländliche Gegend?“
„Hier bin ich geboren. Hier kenne ich mich aus. Hier weiß ich was mich erwartet. Baden ist zwar ein winziger Landstrich. Aber er ist der wichtigste Landstrich der Erde.“
„Da bin ich mal gespannt wieso“, unterbricht Freddy. „Freiburg ist vielleicht die südlichste und angenehmste deutsche Großstadt. Das war‘s aber schon.“
Zora lächelt süffisant. „So ein Nordlicht wie du hat doch keine Ahnung. In Baden wurden das Fahrrad und das Auto erfunden. Aus Baden kamen solche Giganten wie Jürgen Klopp, Oliver Kahn, Jogi Löw, Steffi Graf und Boris Becker. Ein Badener hat sogar Amerika erfunden. Da bist du platt.“
Elfriede kräuselt ihre Nase. „Wie kann man Amerika erfinden?“
„Der Entdecker und Navigator Amerigo Vespucci hatte damals die amerikanischen Küsten erforscht. In Offenburg lebte der Kartograph Martin Waldseemüller. Der hat aus Vespuccis Daten die erste Weltkarte gemacht und den neuen Kontinent, zu Vespuccis Ehren, America genannt. Mit A am Schluss, weil Kontinente weibliche Namen tragen.“
Freddy schaut fasziniert. „Was unsere Frau Doktor so alles weiß.“
An Elfriede gewandt erklärt Zora: „Ettenheim hat tausend Jahre lang zu Straßburg gehört. Bis Napoleon es badisch gemacht hat. Als Straßburgerin bist du hier also richtig.“
„Damit werde ich mich noch näher beschäftigen“, verspricht sie.
Die Fische sind für alle gedacht und kommen in Toms Küche, um die eigene vorm Fischgeruch zu verschonen. Die Küche wird inzwischen Kantine genannt. Seit die vier ehemaligen Soldatenfrauen integriert wurden, ist die Küche zu klein für alle. Das Essen wird nun buffetartig auf dem Herd und der Arbeitsfläche bereitgestellt. Ab zwölf kann dann jeder vom Stapel einen Teller nehmen und sich schöpfen. Kommen alle auf einmal, zum Beispiel weil es draußen regnet, müssen sich die späteren ins Wohnzimmer setzten und warten, bis es Platz gibt. Essen im Wohnzimmer ist verboten. Außer Zora, Freddy und Fried, beteiligen sich alle am Küchendienst. Dadurch haben Stella und Tom immer eine saubere Küche. Und die anderen auch, weil sie zuhause nicht kochen müssen.
Der Patient bekommt Täglich Besuch. Von Katy, von Paul, Tom, Hasan. Nachts bemuttert ihn die Krankenschwester Heidi. Morgens wird Sergei erst spät wach. Er schlafe schlecht, beklagt er sich. Am sechsten Tag fährt das Hospitalpersonal mit ihm hoch zum Krankenhaus. Sie röntgen das Bein. Alles in Ordnung. Dann wird es eingegipst. Am siebten Tag findet Elfriede im Müll einen gefüllten Kondom.
„Ihr braucht sowas ja nicht. Kann es sein, dass er von unserem Patienten stammt?“ Zora und Freddy schauen sich an. Sie wissen, dass Heidi gerne Nachtwache schiebt und Sergei lange braucht um aufzuwachen.
„Der gehört Sergei“, behauptet Freddy einfach. „Bring ihm den.“
Elfriede stülpt einen Gummihandschuh über, fast den Kondom mit den Fingerspitzen an und legt ihn dem Patient auf den Nachttisch. „Das hättest du auch einer Samenbank spenden können“, ihr Kommentar.
Abends gesteht Heidi: „Wir sind ein Liebespaar. Ich will, dass Sergei in mein Zimmer verlegt wird. Es ist nicht nötig, dass er hier noch länger liegt.“
„In deine Wohnung?“ fragt Zora vorsichtshalber. „Nicht in Katys?“
„Er ist jetzt mein Freund. Die Leute können ihn auch bei mir besuchen.“
„Gibt das keinen Ärger? Weiß das Katy?“
„Seit heute“, behauptet Heidi.
Hinter Heidis Rücken meint Freddy: „Wir sollten froh sein, dass sie einen festen Freund hat. So lässt sie hoffentlich während ihrer Nachtwachen die Finger von zukünftigen Patienten.“
Am nächsten Morgen bringen sie Sergei in Heidis Wohnung hoch. Für die Frauen der Gruppe ist das ein positives Zeichen. Es ist also möglich, der Berufsnutte eine Beute zu entreißen. Sie hatten befürchtet, dass Katy jeglichen Männerzulauf bezirzt, verführt, bei sich einquartiert und den anderen nichts lässt. Die Frauen sind beruhigt, dass auch andere eine Chance haben.
Derweil beschäftigen sich die Pferdefreunde mit dem Problem der Zähmung. Was Sergei geschah, darf kein zweites Mal passieren. Alle die sich Pferdekenner schimpfen setzen sich zusammen. Nach stundenlanger, teils kontroverser Beratung, einigen sie sich auf einen Plan, wie aus den wilden Pferden Haustiere gemacht werden sollen. Zuerst fahren sie mit Traktoren und Anhängern ins Nachbardorf, auf das Gelände des Altdorfer Reitvereins. Dort bauen sie in den Ställen sieben Pferdeboxen ab. Die werden in Otmars Scheune an der Längsseite wieder aufgebaut. Es werden Zaumzeug und Sättel organisiert, Pflegeutensilien, eben alles Notwendige für die Pferdehaltung.
An einem Samstagmorgen geht es zur Sache. Fast alle Bewohner der Höfe finden sich als Zuschauer ein. Sie wollen Männer purzeln sehen, scherzen sie. Endlich mal wieder Zirkus, es sei ja sonst nichts geboten. Auch der Notarzt mit der Hospitalbesatzung steht bereit. Mit der härtesten Nuss wird begonnen. Der schwarze Hengst soll an Zaumzeug gewöhnt werden. Die Zuschauer stellen es sich allerdings anders vor, als die Männer es sich ausgedacht haben. Der Teufel wird von der Herde getrennt. Sechs Männer werfen sich auf das nicht besonders große Pferd, halten sich daran fest, während ein siebter das Zaumzeug überstülpt. Mit der Kandare im Maul wird der Hengst ein wenig friedlicher. Weil das wilde Tier sich im Maul verletzen kann, soll später eine Trense verwendet werden. Am Zügel geführt und von sechs Männern geschoben und gehalten, kommt das Pferdchen in eine Box, in der es zukünftig seine Freizeit verbringen muss.
Nun kommt der gescheckte Hengst dran, Elfriedes Lieblingspferd. Als er merkt, dass die Reihe an ihm ist, steigt er fast aus der Koppel. Drei Männer hängen sich an seinen Hals, drei liegen auf seinem Rücken. Roman versucht das Geschirr anzulegen. Das Pferd schiebt sieben Männer hin und her. Es ist eine noch härtere Nuss als der Schwarze.
„Das kann man ja nicht mit ansehen“, schimpft Elfriede. „Falls es Knochen zum zusammenfegen gibt, ich bin im Wohnzimmer und schaue einen Film. Wenn es Leichen gibt, dürft ihr die ohne mich entsorgen.“
Was Elfriede schlimm findet, finden die anderen recht unterhaltsam, wenn nicht sogar lustig. Obwohl die Pferde den Männern ordentlich zu schaffen machen, müssen die Frauen und Kinder immer wieder auflachen. Den Pferdemännern fließt der Schweiß in die Augen, die Hemden werden feucht, die Kehlen durstig. Sieben Pferde auf einmal machen natürlich besonders viel Mühe. Bis alle endlich mit Zaumzeug versehen sind, ist das Mittagessen fertig.
Am nächsten Morgen wird den Pferdchen das Zaumzeug abgenommen, am Abend wieder angelegt. Man versucht die Tiere in der eigenen Box herumzuführen. Tage später werden Sättel aufgelegt und festgezurrt. Die Sättel werden wieder abgenommen, nochmals wird gesattelt. Angeblich sei das für die verängstigten Tiere schonender. Elfriede verdreht nur die Augen. Als diese Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, wird für Zuschauer das Scheunentor geschlossen. Die Männer wollen nun endlich reiten. Täglich gibt es blaue Flecken, Verstauchungen, Schürfwunden. Zora und Freddy sind gut beschäftigt. Irgendwann reiten Paul und Hasan auf zwei trächtigen Stuten aus der Scheune. Die Hengste werden noch einige Tage länger drangsaliert. Elfriede findet die ganze Aktion erbärmlich. Ihr ist das Reiten verleidet. Sollen doch andere dicke Schenkel und Ärsche bekommen.
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