Zoras Bauch wächst. Sie bewegt sich viel und arbeitet auch, verzichtet aber auf das Joggen. Die Männer haben eine kräftige, elektrische Getreidemühle besorgt. Erstmals machen sie Mehl aus selbst angebautem Getreide. Während die Männer an der Einstellung experimentieren, schaufelt sie Körner in einen Trichter. Ohne Pestizide stand das Getreide nicht besonders dicht, dazwischen wuchs viel Unkraut. So kommen auch viele Unkrautsamen ins Mehl. Was es angeblich gehaltvoller und gesünder macht. Ob es auch gut schmeckt? Tom zerstreut ihre Zweifel. „Das ist alles eine Sache von Zucker und Salz. Solange wir das haben, können wir alles schmackhaft machen.“
Zora hilft beim Backen der neuen Brote. Gibt Hefe, Mehl, Salz, Eier und Milch in eine Küchenmaschine und lässt es durchkneten. Das Brot aus dem eigenen Getreide schmeckt. Es ist würzig, aber es schmeckt. Die Männer machen auch Maismehl, die Frauen daraus Maisbrot. Vielfalt ist wichtig, predigt Zora. Immer nur Weiß- und Roggenbrot wäre auf Dauer zu einseitig. In Zukunft wollen sie von gefundenem Mehl unabhängig sein und sich selber versorgen. Um Missernten kompensieren zu können, müssen sie das Ackerland vergrößern. Als Winterbeschäftigung wollen die Männer neue Felder anzulegen.
Leider wird es bitter kalt. Von Osten schiebt sich, mit herrlich blauem Wetter, ein Russlandhoch übers Land. Der Boden wird hart, ist nicht mehr zu bearbeiten. Es kann weder gepflügt, noch können Wurzeln ausgegraben werden. Die Männer pflegen und warten die Maschinen, Geräte und Werkzeuge. Doch das ist bald erledigt. Für Temperaturen bis minus vierzehn Grad sind die allseits beliebten Infrarot Heizungen zu schwach. Die warme Bude ist nicht mehr gewährleistet. Mit Hilfe von Generatoren könnte man die Stromzufuhr erhöhen. Aber die lärmenden Geräte sind keinem sympathisch. Also wird in die Kaminöfen Holz geschoben was geht. Weil viel Holz verheizt wird, besorgen sie Nachschub. Auf zahlreichen Grundstücken lagern mit Blechen abgedeckte Brennholzvorräte. Ster neben Ster. Man muss sie nur aufladen und heimfahren. Mit dem erbeuteten Militär-Unimog, der seinen Treibstoff vorwärmen kann, stechen Tom und seine Leute in die Landschaft, laden Mehrmals die Pritsche voll und bringen es zu den Höfen und zum Hospital. Das Holz wird an den Zäunen entlang aufgestapelt und abgedeckt.
Auch das ist in wenigen Tagen erledigt. Das Kältehoch rührt sich aber nicht von der Stelle. So fahren Tom und seine Mannen zum Waldrand und fällen einige Buchen. Stämme und Äste werden zerkleinert und am Waldrand aufgeschichtet. Bis das Holz in einigen Jahren gebraucht wird, ist es trocken. Bei dieser Arbeit entdecken sie nach langer Zeit mal wieder Wölfe. Scheinbar haben die nun alle verwilderten Hausschafe und Ziegen verspeist und müssen sich nun mühsam von Wildtieren ernähren. An Jans Herde trauen sie sich nicht heran, die Border Collies sind aufmerksam und Jan ist inzwischen ein guter Schütze. Das gesichtete Rudel ist auch nicht besonders groß. Den Nachwuchs zu versorgen ist für die Wölfe nicht mehr so einfach. In der freien Landschaft ist es schwierig geworden, sie kommen kaum vorwärts. Beute jagen ist auf den ehemaligen Wiesen und Feldern wegen den Schlingpflanzen nicht mehr möglich. Nachts hört man sie manchmal heulen. Da marschieren sie, auf der Suche nach Vierbeinern, die offenen Feldwege und Straßen ab. Deshalb sind nächtliche Spaziergänge für die Menschen gefährlich. Wer alleine ohne Gewehr unterwegs ist und einem hungrigen Rudel begegnet, hätte vermutlich keine Überlebenschance.
Eines schönen Morgens geht Zora hinaus, will sich strecken und Gymnastik machen. Sie spürt ein mildes Lüftchen um die Nase wehen. Verwundert stellt sie fest, wie warm Null Grad sein können. Das Kältehoch wird von einer südlichen Strömung nach Norden abgedrängt. Zwei Wochen später blühen die Wilden Pflaumen. Sie sind immer die Ersten. Vor dem Haus schießen die Krokusse aus der Erde. Der lange Dauerfrost hat auch die Schneeglöckchen am Aufgehen gehindert. Nun locken sie Bienen und Schmetterlinge an, die von dem frühen Nektar- und Pollenangebot zehren. Kaum ist es warm, schon fliegen Zitronenfalter, C-Falter, Admirale und Pfauenaugen herum. Die Menschen sind erstaunt, wie sie aus dem Nichts auftauchen können. Die haben überwintert, behauptet Otmar. Angeblich würden die filigranen Tierchen als welkes Blatt an Büschen hängen und beim ersten warmen Sonnenschein erwachen. Kaum zu glauben, dass sie die Kälteperiode überstanden haben. Zora recherchiert in der Bibliothek und: Otmars scheinbares Märchen stimmt.
Trotz ihres dicken Bauches schnappt sich Zora einen Spaten und beginnt hinter dem Hospital umzustechen. Endlich will sie ihren, seit langer Zeit geplanten, Kräutergarten anlegen. Freddy und Elfriede besorgen ungefragt weitere Spaten und helfen ihr. Der Garten wird vermutlich einmal ziemlich groß. Um Medizin für alle herstellen zu können, braucht sie von jeder Pflanze mehrere Kilo Material. Dann müssen auch noch dementsprechend viele Pflanzen ausreifen, damit im folgenden Jahr die Samen ausgesät werden können. Auf einer Terrasse im Feld haben Marion und Stella einmal Osterluzei entdeckt. Aristolochia clematitis. Es war schwierig diese eigenartige Pflanze zu bestimmen. Nachdem es gelungen war stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine Heilpflanze handelt, die früher in keinem Kräutergarten gefehlt hat. Schon die alten Ägypter hätten sie bei Menstruationsbeschwerden eingesetzt. Der Wirkstoff der Pflanze soll auch die Geburt erleichtern und beschleunigen. Ja sowas kann man doch gut gebrauchen, meinte Zora. Die Pflanze taugt sogar als Abtreibungsmittel, wobei die Vergiftungsgefahr groß ist. Im Altertum wurde sie auch zur Wundbehandlung verwendet und als Mittel gegen Schlangenbisse.
Die Osterluzei muss verpflanzt werden, andere Kräuter brauchen sie nur auszusähen. Im vergangenen Sommer hat die Gruppe auf vielen Spaziergängen, Wanderungen und Radtouren, Samen von Pflanzen gesammelt, aus deren Blüten und Blätter Gesundheitstee hergestellt werden kann. Diese Kräuter sollen noch vermehrt werden und beanspruchen deshalb ein richtig großes Feld. Da ist Tom gefordert.
Das Verhältnis zwischen den zwei Paaren Zora/Freddy, Stella/Tom, ist nicht gerade herzlich. Aber sie reden miteinander. Stella und Tom kommen sich irgendwie herabgestuft vor. Von Zora und Freddy haben sie den Eindruck, dass die beiden das große Los gezogen haben. Sie wohnen separat, pflegen einen liebevollen Umgang, sind nicht nur die wichtigsten der Gruppe, sondern auch noch die Schönsten. Ihre Sonderstellung als Mediziner macht den stolzen Hofbesitzer Tom zu einem abhängigen Vasallen. Das empfindet aber nur er so. Zora und Freddy sind überzeugt, dass sie dem Wohl der Gruppe dienen und eine wichtige Arbeit machen. Wenn Tom sein Schicksal betrachtet, kann er nur den Kopf schütteln, wie unsinnig es gekommen ist. Er hat nun eine blutarme Freundin mit dicken Schenkeln, die mit ihm unzufrieden ist, weil sie dem jungen knackigen Freddy nachheult. Trotzdem erdreistete sie sich von Tom schwanger zu werden und das Kind auch noch austragen zu wollen. Der ehemalige Vater zweier Kinder hat ein Problem damit. Kinder sollen andere bekommen, andere sollen Väter werden. Er weiß um das zukünftige Problem, die Kinder gesund zu erhalten. Er will nicht noch eins verlieren.
Mit dem Gefühl, auf Zoras Können angewiesen zu sein, beredet er mit ihr, wie das „Tee-Feld“ angelegt werden soll. Die Heilpflanzen werden auch ihm, Stella und dem Kind zugutekommen. Deshalb will er alles ordentlich und gewissenhaft ausführen. Zora wird bei der Gartenarbeit schnell müde. Immer öfter muss sie sich tagsüber hinlegen. Freddy sagt zwar nichts, lässt sie aber mit seinem besorgten Blick nie aus den Augen. Elfriede ist stiller als sonst, will Zora nicht nerven, beobachtet sie aber sehr genau. Schwanger ist etwas, das sie auch mal werden will. Wer Mutter von zehn Kindern werden will, sollte in jungen Jahren anfangen. Sie ist nun vierzehn und weiß, dass sie schon Mutter werden könnte. Aber erst will sie eine so gute Medizinerin sein wie Zora. Und da wäre noch die Sache mit dem geeigneten Mann. Da ist weit und breit keiner in Sicht. Sie spielt und tobt zwar mit den Jungs aus Hasans Gruppe, aber als Freund kann sie sich keinen vorstellen. Sie sind ihr einfach zu hirnlos. Dann lieber noch den einige Jahre älteren Jan. Der schweigt zumindest im richtigen Moment.
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