Zora hält sich von allem fern. Freddy auch. Oft hört sie in sich hinein, was der Nachwuchs macht. Er legt gerne sein Ohr auf ihren Bauch. Beide freuen sich auf das Kind. Das Ultraschallgerät aus dem Krankenhaus steht nun in ihrem Hospital. Es wäre ein Leichtes, das Geschlecht zu bestimmen. Sie wollen sich überraschen lassen. Hauptsache gesund. Und Hauptsache glücklich. Zora wie auch Freddy spüren, dass es mit ihnen und ihrer Welt weitergeht. Auf Dauer vermutlich Richtung Steinzeit. Vielleicht müssen ihre Enkelkinder in Fellen herumlaufen. Aber jede Generation hat findige Menschen hervorgebracht. Neue Erkenntnisse und Erfindungen sind vorprogrammiert. Beide vertrauen auf ihr Geschick, ihren Verstand und Fleiß. Rückschläge wird es bestimmt geben. Aus denen wollen sie lernen und die Erfahrungen an möglichst viele Kinder weitergeben. Zuversichtlich schauen sie nach vorne. Liebe macht alles schöner, farbiger und erträglicher.
Sport machen sie seit neustem zu viert. Katy will etwas für ihre Figur tun. Der magere Richard fand sie etwas schwabelieg. Sie joggen gemütlich an den Fischteichen vorbei. Zora und Katy nebeneinander voraus, Elfriede und Freddy hinterher.
„Hattest du mit dem was?“ flüstert Zora ungewohnt indiskret.
Katy schaut kurz hinter sich. „Warum denn nicht“, flüstert auch sie. „Es war im gegenseitigen Einvernehmen, wie man so schön sagt. Und hat Spaß gemacht.“
„War er nicht zu groß für dich“, und meint dabei den kleinen Richard.
Katy macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe auch schon mit anderen Schwarzen geschlafen. Der kleine Richard war eher niedlich. Der große eher bequem. Kaum zu glauben, dass einer vom Zirkus beim Sex so fantasielos sein kann.“
Zora kennt sich selber nicht mehr. Die Künstler interessieren sie mehr als andere Menschen. „Und die zwei gehen echt nie miteinander ins Bett?“
„Tja. Da hat er echt Pech mit seiner Partnerin. Er würde ihr ja gerne die Brüstchen streicheln, oder das Popöchen. Aber Simone hat null Bock auf Sex. Sie steht nicht einmal auf Frauen. Angeblich kann sie körperlich nicht. Lässt sich nicht einmal anfassen.“
Zora schüttelt sich. „Wenn da bloß kein Trauma dahintersteckt. Abends hat sie aber sehr munter draufloserzählt. Also ich würde behaupten, sie ist normal.“
Es wird steiler, Katy wird die Luft zu wenig. „Vielleicht waren sie anfangs ein Paar.“ Keuch. „Dann hat er das kleine Ding“, keuch, „vielleicht, zu hart rangenommen.“ Keuch. „Sie haben sich arrangiert“, keuch. „Zirkus ja, Sex nein“ Keuch. „Kann ich mir vorstellen.“
Es ist erstaunlich, wie leicht sich die vorlaute Elfriede unsichtbar machen kann, wenn es interessant wird. Zum Beispiel wenn Erwachsene über Sex reden. Da kann sie zwischen zwei Frauen sitzen, konzentriert zuhören und keine bemerkt sie. Elfriede redet in so einem Fall kein Wort mehr, stellt jede Bewegung ein, vermutlich auch die Atmung und die Ausdünstungen. Denn das Thema Sex ist für sie noch ein Buch mit sieben Siegeln, das sie aber unbedingt durchlesen will. Wegen der ein Jahr ältere Claudia hatte es, kurz bevor der Zirkus kam, Ärger gegeben. Das Mädchen war mit ihrem E-Bike zu Jan gefahren und hatte sich, leicht bekleidet, neben ihn ins Gras gesetzt. Sie wollte wissen wie es ist wenn man angefasst wird. Weil Claudia schöner und etwas schlanker als Emma ist, konnte Jan sich nicht bremsen. Bestastete sie von oben bis unten und Claudia hat es gefallen. Vermutlich dachte sie, mit Jan kann man es folgenlos riskieren. Er ist schweigsam, kann nicht auf drei zählen und andere junge Männer gab es gerade nicht. Schon bei ihrem zweiten Besuch wurde sie von Emma entdeckt. Claudia kann von Glück reden, dass sie mit dem Rad dort war und fliehen konnte. Jan redete auf seine unschuldige Art von einem Versehen, das Emma notgedrungen schlucken musste. Claudia hat nun eine Feindin.
So trappt Elfriede im Gleichschritt dicht hinter den zwei Frauen her und lauscht der Geschichte über die Zirkusleute. Freddy kann sich ein derbes Grinsen nicht verkneifen. Elfriede versteht: Es geht auch groß mit klein.
Der Parkplatz auf dem Heuberg ist noch frei von Wildnis. Otmar bewirtschaftet dort ein Rebstück und mäht gelegentlich. Freddy übt dort mit den drei Frauen Karate. Auch Katy will das lernen und Fried sowieso. Katy meint, wer so oft mit Männern zu tun hat wie sie, braucht manchmal überzeugende Argumente. Mit Inbrunst schlägt, stößt, kickt sie kraftvoll Löcher in die Luft. Sie ist allerdings etwas unbeweglich und daher lange nicht so geschickt wie die anderen zwei. Sport war bei ihr in letzter Zeit kein Thema gewesen. Aber Woche für Woche müht sie sich redlich, will lernen und wissen, wie man einen schwereren Man ausknocken kann. Wie alle Neulinge, rennt sie so lange zum Turm hoch, bis sie die Strecke ohne zu pausieren schafft. Joggen, Karate und Gymnastik findet sie in Ordnung, verweigert aber das Radfahren. „Habt ihr mal die Schenkel der Radsportlerinnen gesehen? Die passen in keine Jeans“, behauptet sie. Jeder merkt, Katy macht Sport um ihre Figur zu verbessern, nicht ihre Gesundheit.
Im Hospital ist Waschtag, Elfriede ist dran. Normal reine Routine, reine Langeweile, wird sie dieses Mal mit einem unvorhergesehenen Problem konfrontiert. Sie stellt fest, das Flüssigwaschmittel zieht seit neustem Fäden. Mit dem gefüllten Becher geht sie zu Zora, steckt einen Finger hinein und zieht mit ihm Fäden aus dem Becher. „Kann man damit noch waschen?“ Für das Mädchen ist es normal, dass mit der Zeit eines nach dem anderen unbrauchbar wird. Zora findet es witzig und ruft Freddy herbei. Zu dritt wetteifern sie unter Lachen, wer die längsten Fäden zustande bringt.
Fried meint dann: „Seit du schwanger bist, seid ihr so was von kindisch. Entweder freut ihr euch riesig auf das Kind, oder ihr verliert vor Sorge den Verstand. Ich jedenfalls werde mit dem Zeug keine Wäsche waschen und erst recht nicht meine.“
Sie ist nun fast so groß wie Zora. Blaue Augen unter blonden Locken, blicken in braune Augen unter roten Locken. Die eine sommersprossig und käsig, die andere, brauner Samt.
Auch er wird ernst. „Dann müssen wir es mit Pulverwaschmittel probieren.“
Zora rät: „Einer von uns sollte gleich hinfahren und nachsehen, ob es das noch gibt. Bevor es ausverkauft ist“, grinst sie noch.
„Oh bitte, lass mich das mit dem Salamander machen. Das ist ja nicht weit. Auf der Strecke kann ich nicht verloren gehen“, meint Elfriede mit einem gewinnenden Lächeln.
Normal fährt sie nur mit Begleitung. Sie fährt umsichtig und vorsichtig. Kein Hang zum Leichtsinn. Aber zum Überschwang. Zora und Fried schauen sich länger in die Augen. Als ob sie sich unterhalten würden.
„Wegen mir. Nimm aber ein Funkgerät mit. Eins mit vollen Akku“, sagt die Dunkle dann.
„Ja“, stößt die Junge ihre Rechte in die Luft. Man vertraut ihr. „Bin schon weg.“
Sie holt das Funkgerät und setzt sich in den Notarzt. Kaum in Bewegung, singt sie aus voller Kehle: „Kost Benzin auch Dreimarkzehn, scheißegal es wird schon geh‘n, ich will fahr‘n“, was sie von Marion gelernt hat. Keine Viecher auf der Straße. Bis auf eine rekordverdächtige zwei Meter lange Ringelnatter, die sich auf der Kanalbrücke sonnt. Erst im letzten Moment taucht sie ab. Elfriede weiß, wo im Markt die Waschmittel stehen. Da Ratten und andere Nager das Zeug nicht mögen, sind die Kartons unversehrt. Sie schüttelt mehrere Packungen. Wenn es drinnen rieselt, ist es noch pulvrig. Einige Sorten scheinen verklumpt zu sein. Sie lädt mehrere Produkte ein und fährt zurück. Auf der Brücke liegt wieder frech die Ringelnatter. Als Fried links einbiegt, stehen dort mehrere Pferde. Eher Ponys. Aber nicht so klein wie Shetlandponys. Links ist die Straße von einer Leitplanke begrenzt, dahinter fließt der Kanal. Rechts der Straße befindet sich ein hoher, verbuschter Rain. Die Pferde können nur in eine Richtung. Oder den Salamander überrennen. Sie bewegen sich Richtung Osten. Elfriede fährt im Schritt hinterher. Zählt die Tiere. Sieben an der Zahl. Zwei weißbraune, zwei schwarze und drei braune. Sofort verliebt sie sich in eines der Weißbraunen. Das würde sie gerne besitzen und auf ihm reiten. Langsam verfolgt sie die kleine Herde. Beim ehemaligen Campingplatz, auf dem noch unzählige Caravans stehen, hätten sie die Möglichkeit die Straße zu verlassen. Doch sie gehen daran vorbei und auf das Dorf zu. Elfriede bekommt eine Idee und einen heißen Kopf. Wenn das klappen würde. Sie funkt Freddy an, erklärt ihm den Sachverhalt. Er soll den Weg zum Dorf versperren, dann müssen die Pferde wohl oder übel zu Toms Hof einschwenken. Tagsüber steht dort die Schafkoppel leer. Wenn es gelänge die Pferde dort hinein zu lenken, hätten sie sieben bildhübsche Reittiere.
Читать дальше