Die Einwände gegen die große Funkanlage werden mit dem Argument abgetan, dass das Gerät, falls es nervt, jederzeit abzuschalten ist. Es wird der Ausflug nach Straßburg organisiert. Zwei Unimogs werden mit Wasser, Verpflegung, Waffen und Munition beladen. Solch weite Ausflüge werden immer mit Begleitfahrzeug unternommen. Die Fallen sind vielfältig und die Funkverbindung ist unsicher. Tom und Siggi haben die Fahrzeuge auf Benzinverbrauch umgerüstet. Tagelang waren sie in Südbaden herumgefahren, haben einen Tankzug mit möglichst hochwertigem Treibstoff gesucht.
Südbaden beschränkt sich nun im Wesentlichen auf das Rheintal und die Vorbergzone des Schwarzwaldes. Die Schwarzwaldstraßen sind im Großen und Ganzen unpassierbar. Überall drängen Büsche und Schlingpflanzen auf die Straßen, liegen Bäume quer, die das Vorwärtskommen behindern. Freddys damaliger Ausflug ins Gebirge, scheiterte schon nach wenigen Kilometern. Alle Versuche auf einen hohen Berg zu gelangen, endeten an enormen Holzmaßen. Nicht einmal zum Aussichtsturm auf dem nahe gelegenen Hünersedel hatte er es geschafft. Dieser Versuch endete an einem Erdrutsch.
Als das Gesuchte gefunden war, wurden die zwei auf dem Schwimmbadparkplatz stehende Tanklaster weggefahren und der neue als Tankstelle eingerichtet. Mit dem Schwimmbad gibt sich die Gemeinschaft jetzt wesentlich mehr Mühe als zur Anfangszeit, als darin die schottischen Rinder weideten. Sergei hat die Wasserzufuhr zur aller Zufriedenheit geregelt. Ungehindert fließt es hinein und hinaus. Paul ist eine Art Bademeister. Er schneidet die Rosen, mäht regelmäßig den Rasen und ist für die Sauberkeit des Wassers verantwortlich. Bei heißem Wetter sind fast alle im Schwimmbad. Nachmittags toben Kinder und Erwachsene im Wasser oder auf dem Rasen herum. Es finden heiße Federballschlachten statt, bei denen das Doppel Zora/Freddy nicht zu schlagen ist. Oder gemütliche Bocciarunden. Die Familien lagern meist dicht am Wasser. Zora und Freddy liegen oft in der Sonne und sind braungebrannt. Immer Meggy und Urs im Blick. Liebespaare wie Elfriede und Dennis besetzen die stillen Ecken. Beide haben eine empfindliche Haut und liegen immer im Schatten. Niemand mehr fährt, auf den von Brombeeren überwucherten Feldwegen, zu den Baggerseen.
Es geht nach Frankreich. Frühmorgens verabschieden sich die Mütter von ihren Kindern. Der Ausflug ist auch dazu gedacht, den Müttern ein wenig Abwechslung und Entspannen zukommen zu lassen. Der Nachwuchs bleibt in Mettes Obhut, die einen Tag ohne Elfriede ebenfalls entspannend findet, und bei der kinderverweigernden Katy, die gerne mal Mama spielen möchte. Ihre Mitbewohnerinnen Theresa, Heidi und Nora fahren genauso mit, wie Stella, Lea, Emma und Marion mit ihren Freunden. Die Schaf-und Ziegenherde bringen Siggi und Natascha auf die Weide. Als einziger bleibt Nico auf dem Hof, der sich nicht wohl fühlt. Zora und Freddy bleiben wegen der hochschwangeren Helga zurück. Sie hat eine unbeschreibliche Angst auch ihr zweites Kind zu verlieren.
Die Unimogs setzen sich in Bewegung. Elfriede spielt die Reiseleiterin, kennt den Weg nach Straßburg aber nicht. Marion sitzt, mit der Brille auf- und der Landkarte vor der Nase, auf dem Beifahrersitzt neben Tom. Den zweiten Unimog steuert Stella. In den Aufbauten sitzen die Passagiere auf bequemen Polstern. Die Fahrerkabinen haben keine Rückwände mehr. So können die Passagiere jederzeit den Fahrer unterhalten.
Die Zurückgebliebenen sind auf einen ruhigen Tag eingestellt. Zora rechnet nicht damit, dass Helgas Kind schon kommt. Dennoch gibt es ein Ereignis. Nico funkt, Fremde seien eingetroffen. Eine Familie mit zwei Kindern. Zora fährt mit dem Rad hinüber, Freddy bleibt beim Funkgerät. Vor Toms Hof steht ein Wohnmobil. Zwei etwa fünfjährige Buben kicken auf der Straße. Sie fremdeln zwar, sind aber höflich. Ihre Eltern machen einen anständigen Eindruck. Die Mutter sieht arabisch aus und trägt Kopftuch. Der Vater scheint Deutscher zu sein. Die Familie sucht weder ärztlichen Beistand, noch will sie jemanden besuchen. Sie will sich hier niederlassen. Zora erklärt den Neuen die Wohnverhältnisse. Dass alle auf ehemaligen Bauernhöfen leben, die aber keine freien Wohnungen mehr haben. Auch im Hospital sei alles belegt. Wenn sie zu bleiben wünschen, müssten sie sich im Dorf ein Haus aussuchen. Die Gruppe würde sie bei der Ansiedlung unterstützen, behauptet Zora, weil sie persönlich es so machen würde. Die Eltern schicken ihre Kinder ins Wohnmobil und fahren mit ihnen ins Dorf. Danach ist von der Familie nichts mehr zu sehen.
Spätabends kommen die Unimogs zurück. Wie es scheint, war der Ausflug eine voller Erfolg. Elfriede und Dennis kommen kichernd in die Küche.
„Wart ihr nun im Straßburger Münster?“, erkundigt sich Freddy.
„Das ist ein fantastisches und riesiges Gebäude. Die weltweit größte Ansammlung von behauenem Buntsandstein“, behauptet Elfriede. Sie sagt das in einem langsamen, überschwänglichen Ton, als ob sie beschwipst wäre.
Zora schnuppert an ihr. „Du riechst nach Rauch“, stellt sie verwundert fest.
Dennis kichert wieder. Fried grinst bis zu ihren Ohrläppchen. „Das war das zweite Ausflugsziel. In Straßburg fanden wir keinen einzigen Homo sapiens. Dann sind wir noch etwas spazieren gefahren. So um die Stadt herum. Und fanden bestellte Felder mit riesigen Pflanzen. Mit Cannabis sativa. Dort leben ein paar coole Leute. Die sind locker drauf. Mit denen haben wir geraucht und uns amüsiert. Ich habe dir einen Sack voll mitgebracht. Sozusagen als Vorschuss der potentiellen französischen Patienten. Cannabis ist eine wichtige Medizin. Und zum Eigenverbrauch.“
„Willst du das Kiffen anfangen? Und beibehalten?“, fragt Freddy ungläubig.
Elfriede zeigt ihr charmantestes Lächeln. „Das ist doch eine schöne Abwechslung.“
„Der Rauch entspannt ungemein“, meint Dennis.
Freddy hebt warnend den Zeigefinger. „Es wird nicht lange dauern und ihr habt das Gefühl, dass es ohne nicht mehr geht. Fried, dieses Mal wäre es sehr wichtig, dass du mal auf einen Älteren hörst. Was man sich angewöhnt hat, wird man nur mit sehr viel Mühe wieder los. Oder gar nicht mehr. Wer das Trinken angefangen hat, will das jeden Tag, weil ein Tag ohne Alkohol kein lebenswerter Tag ist. Mit dem Cannabis verhält es sich genauso.“
„Du magst doch keine Abhängigkeiten“, sagt Zora. „Wenn du Cannabis rauchen musst um gut drauf zu sein, dann bist du abhängig.“
Elfriedes gute Laune ist weg. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet mir das passiert.“
Freddy stöhnt. „Das habe ich früher so oft gehört. Alle Süchtigen sind sich zuerst schlau vorgekommen.“
Dann meint Zora ungewohnt kalt: „Für mich ist die Sache völlig klar. Cannabis ist eine wichtige Medizin. Danke dafür. Aber wer das Zeug täglich raucht, wird nachlässig und unzuverlässig. Dem würde ich nie eine verantwortungsvolle Aufgabe anvertrauen.“
Elfriede weiß was das bedeuten könnte. Als Cannabisraucherin würde sie nicht mit am OP-Tisch stehen dürfen.
„Das kann ja mal vorkommen, dass man als Sechzehnjährige über die Stränge schlägt“, lenkt sie ein.
Und Freddy lenkt ab. „Wir haben übrigens neue Mitbürger. Du wirst bald zwei neue kleine Jungs im Kindergarten begrüßen dürfen. Das scheinen Muselmänner oder sowas zu sein. Die Frau trägt ein dunkles Kopftuch.“
„Heißt das nicht Mohammedaner?“ wundert sich Dennis.
„Männer. Banausen“, faucht Fried. „Wo habt ihr diese altmodischen Wörter ausgegraben. Das sind Muslime. Wo finde ich die?“
„Sie suchen gerade nach einem passenden Haus.“
Die Neuen nisten sich in einem modernen, gut isolierten Haus mit Photovoltaikanlage ein. Sie sind tatsächlich gläubig, beten kniend auf Teppichen. Die Eltern bringen ihre zwei Jungs zum Kindergarten. Auch ihre Kinder sollen lernen. Elfriede setzt sich mit den zwei Jungs zuerst in das Feuerwehrauto und unterhält sich mit ihnen. Bald verlieren sie ihre Scheu und werden genauso ausgelassen wie die anderen Kinder. Tom und ein paar Neugierige helfen den Muslimen das Haus einzurichten und die Stromversorgung herzustellen. Für die Raumbeheizung nutzt jeder gerne die angenehmen Infrarotstrahler. Doch bei Kälte fressen die viel Strom. So werden auch auf dem Dach der Neubürger die Module ergänzt und in den Keller die obligatorischen Stromspeicher gestellt.
Читать дальше