Die Junge drückt ihre Kiefer zusammen, wodurch sich ihr Gesicht verbreitert und angriffslustig erscheint. Doch kein Wort findet über ihre Lippen.
Zora, etwas milder: „Mit dem Mann den du liebst, musst du auch liebevoll umgehen. Du darfst ihn nicht vor den Kopf stoßen. Du musst ihn achten und seine Defizite tolerieren. Wenn du mit den Unzulänglichkeiten eines Mannes nicht leben kannst, dann bleibe lieber für dich.“
„Und was, wenn er Mist baut?“ fragt Fried leise.
Zora muss grinsen. „Gelegentliches Kopfwaschen gehört zu einer liebevollen Beziehung. Auf jeden Fall musst du es so gestalten, dass eine Beziehung friedlich und zufrieden bleibt. Ein permanenter Kriegszustand belastet deine Nerven und die Nerven deiner Mitmenschen.“
„Du meinst, ich soll mich mit Dennis arrangieren, damit bei uns die Welt in Ordnung ist.“
„Du musst einen Weg finden, dich mit Dennis zu vertragen. Stell ihn auf die Probe. Verlange etwas von ihm, das seine ehrliche Absicht beweist. Etwas, das dir Sicherheit gibt. Ein Liebesbeweis oder so.“
Fried nickt mehrmals vor sich hin. „Ich werde mir etwas ausdenken. Kann ich jetzt essen?“
Nach Beendigung ihrer Mahlzeit stellt sie ihr Tablett in die Küche. Geht wie paralysiert in der Wohnung umher. Schaut ins Leere. Freddy will sie ansprechen, wird von Zora mit einer warnenden Handbewegung abgehalten. Elfriede geht in ihr Zimmer, klimpert mit den Fingern auf der verstaubten Geige. Dann geht sie ans Funkgerät. Zora kann ihre Neugier nicht in Zaun halten. Was hat ihre wichtigste Mitarbeiterin sich ausgedacht?
„Dennis, wir müssen reden“, hört sie Elfriede ins Funkgerät hauchen. „Am besten in meinem Zimmer.“
Zehn Minuten später kommt er mit einem E-Bike. Nickt Zora und Freddy zu und klopft an Elfriedes Tür.
„Komm rein“, ruft es unerwartet milde heraus. Vorsichtig geht Dennis in Frieds Zimmer, noch vorsichtiger schließt er hinter sich die Tür.
Zora stellt sich draußen neben Frieds gekipptes Fenster und schämt sich. Aber im Falle einer Katastrophe will sie zur Stelle sein. Wie wird sich Fried mit Dennis arrangieren? Er erklärt ihr lang und breit, dass er sie nicht vergessen konnte. Dass sie ihm viel angenehmer und gescheiter vorkomme, als seine launische Freundin. Dass er es mit der nicht mehr ausgehalten habe. Dass er den allgegenwärtigen Biergeruch und Bierkonsum auch nicht mehr ausgehalten habe. Dass ihm das Hospital und Toms Hof als Paradies in Erinnerung geblieben ist. Und er inständig hoffte, dass sie noch keinen Freund gefunden hat.
„Du bist also mit der Absicht herkommen, mit mir zusammen zu leben?“, forscht sie nach.
„Ich kann mir nichts schöneres vorstellen“, meint Zora zu verstehen.
„Und wie kann ich dir glauben?“
„Komm einfach in meine Arme.“
„So einfach geht das nicht“, behauptet Elfriede. „Ich brauche einen Beweis.“
„Wie soll man Liebe beweisen?“ fragt Dennis verwundert. „Soll ich mein Herz herausreißen, damit du darin forschen kannst?“
„Das geht auch schmerzfreier.“ Dann flüstert sie: „Würdest du dich für mich ausziehen?“
Zora, draußen neben dem Fenster, spürt, wie ihre braune Haut dunkler wird. Elfriedes Frage erinnert sie an Freddy, der ähnliches von Stella gefordert hatte. Mit dem Gefühl von Rot im Gesicht und einer Gänsehaut, schleicht Zora, Freddy meidend, ins Haus. So durchtrieben hat sie das Mädchen nicht eingeschätzt. Ob Dennis das verträgt, wenn er so vorgeführt wird? Wenn er es hinnimmt, muss er sie sehr gerne haben. Eigentlich clever von Fried. Dafür muss sie ihn aber auch entschädigen.
Die zwei bleiben die ganze Nacht im Zimmer. Pünktlich erscheinen beide am Frühstückstisch. Wünschen gutgelaunt einen schönen guten Morgen, sagen aber weiter nichts. Sie grinsen sich an, als ob ihnen ein hervorragender Coup gelungen sei. Schieben sich Marmelade, Butter und Brot zu, prusten manchmal los. Dann gehen sie zur Arbeit. Sie in die Grippe, er zu Tom.
Zora geht in Elfriedes Zimmer und sucht. Nachdem sie den gefüllten Kondom gefunden hat, geht sie zufrieden wieder hinaus. Jetzt beginnt für das Mädchen wieder eine neue Zeitrechnung. Ab heute wird sie fröhlicher, zufriedener und verträglicher sein.
Es kommen immer mehr Patienten aus Nah und Fern. Daran sind die Zirkusleute Richard und Simone Schuld. Und eine Mund zu Mund Propaganda. Die Religiösen bringen ihre Kranken vorbei, die aus Freiburg sowieso, die aus Bruchsal ebenfalls. Meistens kommen die Patienten aber erst wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind. In der Regel ist ein längerer Krankenhausaufenthalt nötig. Vermehrt erscheinen auch Leute aus Gruppen, von denen man noch nie gehört hat. Aus Frankfurt und Wiesbaden zum Beispiel. Oder Nordschweizer, die man nicht einmal versteht wenn sie Englisch sprechen. Und auch Franzosen.
Die Krankenzimmer werden umgebaut. Die ehemaligen Schulräume sind keine gleichmäßigen Rechtecke. Sie sind etwas verschachtelt und deshalb wohnlicher als normale Krankenhauszimmer. Zudem sind die Räume freundlich und hell, ihre Fenster reichen bis auf den Fußboden. Aus dem einen Schulraum wird die Männerabteilung, bestehend aus drei Betten. Aus dem anderen, die Frauenabteilung mit zwei Betten. Wobei bei Bedarf aus der Männer- auch die Frauenabteilung werden kann. Neben dem OP gibt es noch ein Intensivbett.
Die Patienten müssen ihre Behandlung bezahlen, was inzwischen alle Gruppen wissen. Alle bringen reichlich leckere Lebensmittel mit. Die Bruchsaler sind am willkommensten, denn sie bezahlen mit Bier. Eine Gruppe, die sich von Donaueschingen in das Rheintal hinuntergearbeitet hat, bringt ein sehr leistungsstarkes Funkgerät mit. Es soll in Toms Kantine, dort wo fast immer jemand sitzt und arbeitet, installiert werden. Die Schwarzwaldgruppe will mit allen bekannten Gemeinschaften verbunden sein. Weil das diskutiert werden muss, versammeln sich die Erwachsenen Ettenheimer in Toms Kantine. Zusätzliche Stühle werden hinein gestellt, in der ehemaligen Küche wird es knalle eng. Zur besseren Sauerstoffversorgung werden die Fenster aufgerissen. Es soll besprochen werden, inwieweit so ein Gerät von Nutzen wäre. Ob es überhaupt sinnvoll ist, mit anderen ständig in Verbindung zu sein.
„Die anderen werden uns ständig anbetteln“, befürchtet Tom.
„Es wird Tratsch und Klatsch geben. Wir werden mehr Unterhaltung haben“, freut sich Marion.
„Auch wir könnten einmal Hilfe benötigen“, meint Zora. „Kommunikation dient auch unserer Sicherheit. Man kann uns vor was weiß ich was warnen.“
„Vor einer Schlechtwetterfront zum Beispiel“, sagt Otmar.
„Da wäre eine Funkverbindung tief nach Frankreich sinnvoller“, regt die französisch sprechende Stella an.
„Wisst ihr wo ich wahnsinnig gerne mal wieder hin möchte?“ mischt sich Lea ein. „Nach Straßburg. Ich würde gerne das Münster mal wieder sehen. Als Kind hat mich der Koloss überwältigt.“
Nun wird Elfriede lebendig, die an Dennis gelehnt, auf der Wohnzimmercouch sitzt. Seit sie einen Freund hat, ist sie immer gut gelaunt. Und sie ist wieder gesprächig geworden. Sie erhebt sich und geht in die Küche.
„In Straßburg bin ich aufgewachsen. Ich kann für dich den Fremdenführer spielen“, bietet sie an. „Aber ohne Bodyguards würde ich nicht über den Rhein fahren.“
„Wir müssen mal wieder in Fessenheim nachschauen“, fällt Zora spontan ein.
Tom reibt sich die Hände. „Es ist schon lange mal wieder ein Ausflug fällig. Wird Zeit, dass wir Verbindungen nach Frankreich knüpfen und kontrollieren, was die so haben.“
„Atomkraftwerke“, rutscht es Elfriede heraus.
„Bist du eigentlich Deutsche oder Französin?“, will Zora von ihr wissen.
Selten sieht man Elfriede verlegen. „Um ehrlich zu sein, das weiß ich gar nicht.“ Die anderen lachen los, sie lacht mit. „Ich würde sagen, ich gehöre zur Nation der Ettenheimer.“
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