Herbert E, Große - Wirtschaftsspionage

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Erwin ist ein emeritierter Professor für Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Obsoleszenz. Er hilft seiner ehemaligen Assistentin, die in Radebeul bei Dresden eine eigenen Firma betreibt, nach der Suche eines «Maulwurfes», also eines Wirtschaftssaboteurs. Dabei erfährt er, wie in der ehemaligen DDR gearbeitet wurde und stellt fest, dass die «sozialistischen Ökonomen» durch wirtschaftliche Sabotage im eigentlichen Sinne die DDR zum Zusammenbruch gebracht haben.
In Bad Schandau lernt er eine Frau kennen und es entwickelt sich eine tiefe Liebe zwischen zwei reiferen Menschen.
Wieder zu Hause muss er zusammen mit dem MAD einen «modernen» Wirtschaftssaboteur, der das Leben einiger Soldaten auf dem Gewissen hat, finden.

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1. Kapitel

Das war nun wirklich nicht Erwins Tag.

Zunächst hatte er nächtens von seiner kürzlich verstorbenen Ehefrau Karin geträumt und sie nicht die „Meinige“ oder die „Mutter meiner Kinder“ genannt, sondern nur ihren Vornamen gebraucht, obwohl sie zu Lebzeiten in solchen Situationen immer behauptete, dass er Streit mit ihr suchen würde.

In der fast fünfunddreißigjährigen Ehe hatte es sich eingebürgert, dass er sie nur als die „Meinige“ oder - wie gesagt- als die Mutter seiner Kinder benamte. Immer dann, wenn er sie mit ihrem Vornamen ansprach, drohte ein Konflikt; sie beschwerte sich und behauptete, dass er sie nicht mehr lieben würde.

Für diesen „traumhaften“ Faux-pas wollte er sich an ihrem Grab entschuldigen, was aber nicht möglich war, weil in unmittelbarer Nähe eine aktuelle Beerdigung stattfand.

Also entschuldigte sich Erwin mit himmelgerichtetem Blick am Friedhofstor in der Hoffnung, dass die Seinige seine Entschuldigung auch von hieraus annehmen würde.

Als er ein paar Schritte auf der Friedhofszufahrt gegangen war, musste er sich mit seinem Sacktuch die Tränen abwischen. Die „Seinige“ war die einzige ihm nahestehende Person, die ihn nicht als Loser oder Trottel bezeichnet hatte. Jetzt nahm ihn niemand mehr in Schutz und außerdem machte das Leben ohne die Mutter seiner Kinder gar keinen richtigen Spaß mehr. Früher lenkten ihn die jungen Leute ab. Seit er im Ruhestand war, fehlten ihm diese Jugend und auch seine Arbeit.

Die Seinige hatte sich um alles gekümmert und ihn von allen alltäglichen Sorgen ferngehalten. Seit ihrem Tode musste er sich um alles selbst kümmern, was er aber sehr schnell lernte. Er machte im Haushalt alles so, wie er es wollte. Wenn seine Tochter ihn besuchte, verbrachte sie die meiste Zeit damit, aufzuräumen und alles so herzurichten, wie sie es für angemessen hielt. Dabei merkte sie gar nicht, dass ihr Vater damit nicht einverstanden war und sich bevormundet fühlte. Sie war eben Tochter und Erwin der Vater, obwohl diese Art von Entmündigung für ihn nur schwer zu ertragen war.

Wenn sein Sohn sich ansagte, versuchte er, den Besuch zu verhindern. Erst nach dem Tode der Seinigen hatte er realisiert, dass sein Sohn und dessen blondierte Ehefrau sich als Nabel der Welt empfanden und alles das, was Erwin machte, als nicht angemessen ansahen.

„So etwas macht man nicht; oder es ist nicht so, wie es sich gehört“, sagten sie stets. Erwin hatte es längst aufgegeben, zu widersprechen oder zu sagen, dass er es aber gerade so wolle und nicht anders.

Seit er im Ruhestand war, kam sein Sohn mit Ehefrau nur noch selten. Seine Tochter hingegen fühlte sich verpflichtet, oft nach ihm zu schauen.

Weil er nun keine beruflichen Verpflichtungen mehr hatte, war er tags sehr oft außer Haus und entging so den lieb gemeinten Bevormundungen seiner Tochter. Doch manchmal musste er sich richtig Mühe geben, die Zeit totzuschlagen.

So in Gedanken versunken fand er sich vor dem Haus seiner Tochter wieder.

Das Gartentor stand offen und er trat - ohne zu klingeln - ein. Offenbar hatte ein Gärtner oder Gartenarchitekt, wie ihn sein Schwiegersohn nannte, die Wegeinfassung zum Haus neugestaltet. Erwin fand es gekünstelt und hässlich.

Als er so nach rechts und links schauend an der Terrasse ankam, hörte er seine Tochter telefonieren. Weil er ein dienstliches Gespräch vermutete, hielt er sich zurück und betrat die Terrasse nicht.

Anette, seine Tochter, wurde immer zorniger. Sie wurde so laut, dass er nicht mehr weghören konnte und feststellte, dass sie mit ihrem Bruder Heinrich sprach.

Wie die berüchtigten Kesselflicker stritten beide darüber, wer Erwins Geburtstag in der kommenden Woche ausrichten und organisieren sollte. Anette war es leid, immer diejenige zu sein, die sich um den immer wunderlicher werdenden Vater kümmern müsste. Heinrich sei dieses Mal an der Reihe, das Geburtstagsfest zu veranstalten. Offenbar konnte er aber aus terminlichen Gründen nicht und Anette wurde immer zorniger.

„Wenn Du keine Zeit hast, muss es eben Deine blondierte Ehefrau machen“, schrie sie ins Telefon und legte auf, um sofort ins Haus zu gehen.

Wäre Erwin ihr jetzt ins Haus gefolgt, hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu hören bekommen, dass es schön sei, dass er wieder einmal zu Besuch käme und sie sich darüber ganz toll freuen würde. Und dann hätte sie führsorglich und ganz lieb gefragt: „Was wollen wir dieses Jahr zu Deinem Geburtstag Schönes machen?“

Weil Erwin das genau wusste, sagte er seiner Tochter nur kurz, dass er übermorgen für mehrere Tage verreisen würde und an seinem Geburtstag leider nicht da sei, man aber das übliche schöne Fest, dass sie immer so nett und auch gern organisieren würde, nachholen könne.

Erwin sah die Erleichterung im Gesicht seiner Tochter und verabschiedete sich mit den Worten, dass er sich in zehn Minuten im Park verabredet habe und deshalb jetzt keine Zeit mehr hätte.

Die Enttäuschungen dieses Tages nahmen kein Ende.

Erwin hatte in einem Fischrestaurant sein Lieblingsgericht gegessen - Bismarckhering mit Salzkartoffeln -, was ihm nicht gut bekommen war. Er musste ständig aufstoßen und ihm war leicht übel. „Bestimmt war der Hering nicht mehr frisch“, dachte er und versuchte das Essen zu vergessen.

Seit fast sechs Wochen war es seine Gewohnheit geworden, dass er im Stadtpark am Weiher eine alleinerziehende Mutter namens Helga mit ihrer sechsjährigen Tochter Maria traf.

Für Maria hatte Erwin stets ein einzeln verpacktes Gummibärchen in der Tasche. Sie freute sich riesig darüber und wenn Erwin das Gummibärchen nicht sogleich herausrückte, fragte sie mit kindlicher Aufdringlichkeit danach. Das Kind sprach ihn mit seinem Vornamen an, und auch ihre Mutter kannte nur diesen Namen. Eine förmliche Vorstellung hatten die beiden Erwachsenen bislang noch nicht vorgenommen.

Helga las meist in der Zeit, in der sich Erwin und Maria wie zwei Kinder unterhielten oder herumalberten, in einem Buch oder die Tageszeitung.

Offenbar betrachtete Helga ihn auch als Trottel und leicht dementen alten Mann, was nicht unbedingt Voraussetzung für eine anregende Unterhaltung sein konnte.

„Erwin, wo hast Du das Gummibärchen?“, fragte Maria ganz eigenartig.

„Maria, verzeih mir, aber heute habe ich Dein Gummibärchen vergessen.“

„Du hast mich einfach vergessen?“

„Heute ist nicht mein Tag. Alles läuft schief“, gab Erwin dem Kind zur Antwort.

„Du siehst heute auch sehr traurig aus. Macht nichts, dass Du das Gummibärchen vergessen hast. Ich wollte Dir ohnehin sagen, dass ich Maoam und Smarties lieber mag.“

Erwin legte ganz sanft die Hand auf den Kopf des Kindes und fragte, ob man Steine im Weiher hüpfen lassen wolle. Bevor sie loslaufen konnten, fragte Helga: „Herr Erwin, leider kenne ich Ihren Nachnamen nicht. Trotzdem habe ich heute eine besondere Bitte an Sie. Wäre es möglich, dass ich Maria für zwei Stunden mit Ihnen allein lassen könnte?“

„Aber selbstverständlich. Das ist doch gar kein Problem.“

„Wissen Sie, ich habe gleich ein Vorstellungsgespräch und noch keine Betreuung für Maria gefunden. Vielleicht klappt es dieses Mal mit einer Anstellung; ich bin schon längere Zeit arbeitslos.“

„Gehen Sie nur ganz unbesorgt. Wo werden wir Sie nach dem Vorstellungsgespräch finden?“, fragte Erwin und erhielt zur Antwort, dass man sich in ungefähr zwei Stunden gegenüber dem Rathaus in der Eisdiele treffen könnte.

Maria hüpfte vor Freude und sagte: „Wenn Du kein Geld hast, lade ich Dich ein. Mama hat mir zehn Euro gegeben.“

Helga verließ beide mit keinem guten Gefühl und Erwin versuchte sie zu beruhigen, was ihm irgendwie aber nicht richtig gelang. Schließlich drehte sich Helga entschlossen um und ging, ohne sich nochmals umzusehen.

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