Während sämtliche Namen und die mit ihnen verbundenen Begebenheiten ebenso authentisch bleiben wie Ort und Zeit der Handlung, folglich auf Echtheit nachprüfbar, sind einzelne Charakterzüge und daraus resultierende Verhaltensweisen der Hauptfigur zum Teil erdacht und mitunter auch literarisch bewusst überhöht worden, um das Grundanliegen der vorliegenden Schrift hinreichend zu verdeutlichen. Sie widmet sich vorzugsweise dem ewigen Thema menschlicher Erwartungen einerseits sowie den natürlichen, sozialen und individuellen Grenzen ihrer Verwirklichung andererseits. Aus diesem Gegensatz entstehen häufig unsere Gewissenskonflikte und Seelenqualen, welche uns zuweilen nicht nur fassungslos machen, sondern auch völlig aus der gewohnten Lebensbahn werfen können. Genau das widerfährt auch der Schlüsselfigur dieser unkonventionellen Erzählung, unserem überaus geheimnisvollen, weil janusköpfigen Abel, der sicher für manche Überraschungen sorgen wird. Jener ominöse Anonymus, dessen Existenz wir auch schon kurz vernommen haben, ist übrigens sein ärgster Widersacher, ja sogar Erzfeind, und sie bekämpfen sich über Jahrzehnte hinweg bis auf des Messers Schneide. Warum sich das so entwickelte und wer letztlich als Sieger hervorgeht, falls es nicht gar erst mit dem Tod beider Rivalen endet, soll den weiteren Ausführungen vorbehalten bleiben.
Zugegeben: Der Inhalt des Buches dürfte wegen seiner Doppelgleisigkeit von teils dramatischer Story und eingefangenem Zeitgeist einigen Interessenten als arg merkwürdig vorkommen. Außerdem ist es stark ideologisch geprägt. Hierzu bekunde ich sogleich meine eigene Position: Am wohlsten fühle ich mich als Vermittler zwischen den unterschiedlichen und mitunter gegensätzlichen Auffassungen, eben als Akteur möglichst sinnvoller Lösungen von Konflikten, denn jede Stunde des Friedens (mit sich und der Welt) ist gewonnenes Leben. Im Zweifelsfalle stehe ich allerdings eindeutig links, niemals rechts, sympathisiere also eher mit den Roten als mit den Schwarzen oder gar Braunen, wobei ich jedoch schon seit Langem nicht das geringste Bedürfnis nach einer Parteimitgliedschaft verspüre, denn sie wirkt meist geistig beengend, dient allenfalls der beruflichen Karriere, und die ist für mich längst passé. Insofern bin ich tatsächlich frei, unterliege also keinerlei professionellen Zwängen mehr, denn nicht alles, was man tut, geschieht infolge eherner Überzeugung oder durch beflügelnden Enthusiasmus. Oftmals stecken gesellschaftliche Erfordernisse und persönliche Begehrlichkeiten dahinter, die unser konkretes Verhalten bestimmen.
Auch hierzu eine mehrfach selbst erfahrene Erkenntnis: Wer sich beispielsweise passioniert in eine politische Organisation einfügt, wird sicherlich irgendwann betrübt feststellen müssen, dass eine solche Bindung nur äußerst selten den Horizont weitet. Stattdessen erzeugt und fundiert sie viel zu häufig eine gewisse Engstirnigkeit, die mitunter sogar in eine erschreckend bornierte Intoleranz gipfelt. Wehe dem, der mit blindem Eifer einer beschränkten Ideologie anheimfällt! Wir vernehmen doch beinahe täglich, was es bedeutet, einer Partei anzugehören. Selbst jene, die sich demokratisch nennen, sind nicht gegen blinden Fanatismus gefeit. Aber das ist ein weites Feld mit zahllosen Wildkräutern, die ich nicht zu jäten vermag, schon allein deshalb nicht, weil mich die eigene Unvollkommenheit daran hindert.
Auweia, muss man erst ziemlich betagt sein, um all das und manch anderes einigermaßen zu begreifen? Vielleicht bin ich auch nur ein Spätzünder.
Endlich sei nochmals betont, dass mir die teils unsäglichen Kümmernisse der Armen, Schwachen und anderweitig sozial Benachteiligten traditionell wesentlich tiefer und anhaltender zu Herzen gehen, als es irgendwelche Intrigenspiele, Allüren oder Marotten der Reichen und Mächtigen jemals bewirkten. Deren Probleme berühren mich kaum, ihr teils parasitärer Schwachsinn erst recht nicht. Sie verursachen gelegentlich eher ein ungläubiges Kopfschütteln oder gar Zornesfalten auf meiner Stirn als ein aufrichtiges Mitgefühl.
Wer sich auch damit anfreunden kann oder es wenigstens toleriert, dürfte von dieser Publikation nicht enttäuscht werden. Das hoffe ich jedenfalls.
Jetzt aber Schluss mit diesem seitenlangen Geplauder und wieder stracks hin zum eigentlichen Anliegen!
Schauen wir zunächst gemeinsam auf die beiderseitige soziale Herkunft, um eine weitgehend sichere Grundlage für all das zu schaffen, was uns noch an Unwägbarem bevorsteht. Das bleibt ohnehin überaus rätselhaft.
Im Unterschied zu Abel standen an meiner Wiege keine anmutigen Grazien und erst recht nicht der praktisch über alles gebietende Mammon. Für die weitere Laufbahn des Heranwachsenden sind das jedoch fast zu allen Zeiten und beinahe an jedem Ort ebenso bedeutsame Voraussetzungen wie bestimmte genetische Faktoren (von zufälligen Glücksumständen einmal abgesehen). Bildung und Erziehung haben dann die Funktion, die entsprechenden Möglichkeiten aufzuspüren und zielgerichtet zu nutzen, um sowohl Wissen als auch Können und Überzeugungen zu vermitteln. Dazu kommt die mehr oder weniger beabsichtigte Anerziehung von moralischen Werten. Falls sich das noch durch die sinnbildliche Erfahrung des großen deutschen Pädagogen Salzmann (1744 bis 1811) ergänzt, dass „die Sympathie zum Lehrer dem Stoff goldene Brücken schlägt“, erweisen sich die Bedingungen für das Gedeihen des Zöglings als nachgerade perfekt.
Für unseren rätselhaften Freund Abel, der gewiss noch für manche Verwunderung sorgen wird, traf das während seiner Kinderjahre im hohen Maße zu. Seine Eltern waren nicht unbedingt reich, aber durchaus wohlhabend, weil beide von ihrer stammeshauslichen Herkunft schon relativ früh gut ausgestattet.
Bei uns hingegen dominierte überwiegend der garstige Bruder Schmalhans, ein nahezu ständiger Mangel an irgendwelchen materiellen Gütern, insbesondere Lebensmitteln. Deshalb ist mir noch bestens in Erinnerung, was es sinnbildlich heißt, am Hungertuch zu nagen, quasi des Öfteren unfreiwillig zu fasten.
Während sich meinem Vater die bisweilen holde Göttin Fortuna insofern einmal recht gewogen zeigte, als er zumindest eine vierjährige Schulbildung genießen durfte, blieb unserer ausnehmend fürsorglichen Mutter in ihrer Kinder- und Jugendzeit selbst das strikt verwehrt. Sie war mehr als zwei Jahrzehnte lang Analphabetin, gleichwohl nicht ungebildet, denn sie verfügte über ein erstaunliches Erfahrungswissen, stets aufs Engste verknüpft mit einer phänomenalen Warmherzigkeit.
Im Übrigen halte ich die Annahme, dass nach mangelhaftem Besuch von grundlegenden Lehranstalten die Betreffenden notgedrungen dumm bleiben müssen, für einen weitverbreiteten Irrglauben (was sich selbstverständlich nicht gegen die planmäßige Absolvierung von Bildungsstätten richtet). Es sei hier nur auf Thomas Alva Edison (1847 bis 1931) verwiesen, wohl einer der nützlichsten Bürger von ganz Amerika und der Menschheit schlechthin, dessen unmittelbare Schulbildung äußerst dürftig ausfiel, weil er einfach keine Lust dafür verspürte. Allerdings konnte ihn hernach seine Mutter, von Beruf Lehrerin, unter ihre Fittiche nehmen. Der später überaus tüchtige Mann brachte es immerhin fertig, über zweitausend Patente anzumelden.
Leistung erwächst eben stets aus dem harmonischen Dreiklang von Begabung, Motivation und der realen Möglichkeit. Was für ein grandioser Erfindergeist! Ich verneige mich gern und voller Respekt vor solch überragenden Persönlichkeiten.
Doch auch meinen Eltern gegenüber empfinde ich fortwährend dankbare Bewunderung, obgleich auf ganz anderer Ebene. Abgesehen davon, dass ich sowieso meine, wer Vater und Mutter nicht ehrt, ist meist selbst des nachhaltigen Beachtens nicht wert (auch hier gibt es begründete Ausnahmen!), haben sie Taten vollbracht, die man im Nachhinein allenfalls mit sichtlichem Staunen Revue passieren lässt.
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