Ich arbeitete und spürte, die Pflicht wurde zur Freude.
Dieses Grundmotiv menschlichen Handelns, das jene überragende Lichtgestalt mit so wenigen, jedoch sehr einfühlsamen Worten ausdrückte, wird durch unsere Alltagserfahrung fortwährend bestätigt. Es ist nicht der Müßiggang, der uns glücklich macht, von Ausnahmezeiten abgesehen, sondern das schöpferische Tätigsein, sich bewusst einbringen können, seine Persönlichkeit entfalten, indem man Nützliches bewirkt und damit auch dem Gemeinwohl dient.
Umso mehr bin ich erstaunt und vor allem geradezu besorgt darüber, wie leichtfertig verantwortliche Politiker heutzutage mit dem heiklen Problem der enormen Arbeitslosigkeit und Halbtagsbeschäftigung umgehen, etwa nach dem Prinzip: Der Markt wird es schon richten. Das ist regelrecht erschreckend. Falls sie so weitermachen, sollte es uns nicht wundern, wenn sie eines Tages selbst „gerichtet“ werden. Ihre bedingungslose Anbetung des „freien Marktes“ hindert sie offensichtlich daran, gründlicher nach trächtigen Lösungsmöglichkeiten zu suchen, damit alle Landeskinder würdevoll leben können. Solcherart Staatsführung kann uns allen zum Verhängnis gereichen, denn schon zeigen sich dunkle Schatten am Horizont, die allerdings kaum jemand sehen will. Dabei gibt es doch auf internationaler Ebene mehrere gute Beispiele einer besseren Einbindung von Leistungswilligen in den Wirtschaftsprozess. Demgegenüber wissen wir natürlich auch, dass ein bestimmtes Heer von Arbeitslosen die ausgesprochen ideale Verwertungsbedingung für das einheimische und teilweise auch ausländische Kapital darstellt. Schließlich sind es im Hintergrund stets die Reichen und Mächtigen, die über willfährige Statthalter dafür sorgen, dass ihre speziellen, meist raffgierigen Interessen konsequent durchgesetzt werden.
Doch blicken wir jetzt gedanklich nochmals auf das Jahr 1951 zurück, um zu erfahren, wohin die Schicksalsgöttin Fortuna oder ganz einfach die konkreten Umstände Abel und mich damals kurzerhand geleiteten! Hatten wir gegebenenfalls den bewährten Pfad christlicher Tugend schon verlassen? Ginge das überhaupt, sich aller Eigenschaften, die einem während der Kindheit anerzogen werden, irgendwann völlig zu entledigen? Wohl eher nicht! Und das ist sicherlich meistens auch gut so, denn welche Eltern beabsichtigen nicht stets das Beste für ihren Nachwuchs?
Immerhin machten wir uns mit vierzehn Lenzen gemeinsam auf die Suche nach geeigneten Lehrstellen in Meißen und fanden auch bald welche. Dabei hatte Abel insofern etwas Glück, als ihn das Elektrohaus Weder sofort aufnahm, um ihn als Monteur auszubilden. Ich erhielt die Chance, mich im hiesigen Eltwerk zum Betriebsschlosser zu qualifizieren, was durchaus meinen Neigungen entsprach. Gleichwohl war es damit nach gut drei Monaten schon wieder vorbei, weil die russische Kommandantur in die gegenüberliegende Villa auf der Brauhausstraße einzog und vermutlich kaum daran interessiert sein konnte, dass vis-à-vis täglich ein buntes Sammelsurium von jungen Leuten zu verzeichnen war. Vielleicht gab es auch andere Gründe für die plötzliche Schließung der Lehrwerkstatt.
Demnach war ich kurz vor Weihnachten 1951 auf der Straße und musste mich erneut zielstrebig umsehen. Da bot sich beim Elektromeister Winterlich eine Möglichkeit, mich als Stift einzufügen. Wir hatten vereinbart, dass ich gleich Anfang Januar bei ihm antrete. Indessen waren ihm anscheinend die christlichen Feiertage nicht allzu bekömmlich, denn er brachte seine Frau um, die er anschließend im Keller verscharrte, worauf er dann noch Kohlen schüttete. Aber seine grausige Freveltat kam beizeiten ans Tageslicht, und somit war ihm ein „Lebenslänglich!“ sicher.
Als mich die entsetzliche Kunde erreichte, war ich nicht nur maßlos schockiert, sondern vor allem heilfroh darüber, dass ich mich nicht schon etwas früher bei ihm verdingte, sonst hätte ich eventuell noch das Loch zum Verschwinden der Toten in der provisorischen Katakombe graben müssen.
Übrigens stürzte zur gleichen Zeit eine Schmalspurbahn mit Güterwagen von der Garsebacher Brücke in den Abgrund. Das entsprechende Malheur war enorm. Zudem erwies sich der tragische Vorfall für uns deshalb als eine besonders schauderhafte Hiobsbotschaft, weil Abel und ich oftmals den Personenzug auf derselben Strecke benutzten, um unsere Eltern und Geschwister zu besuchen, da wir nicht mehr bei ihnen wohnten. Wir hatten uns inzwischen, wie bereits erwähnt, ein möbliertes Zimmer in Meißen gemietet, wofür wir zusammen zwanzig Mark pro Monat zahlten. Die übrigen jeweils vierzig Kröten vom Lehrlingsgeld mussten für den sonstigen Lebensunterhalt reichen. Durch vielerlei Nebenbeschäftigungen verdienten wir uns allerdings noch etwas hinzu, und so kamen wir gut zurecht, zumal wir in materieller Hinsicht ziemlich anspruchslos waren.
Infolge jener wundersamen Ereignisse erbarmte sich offensichtlich der sehr fürsorgliche Karl Weder meiner und nahm mich fortan unter seine Fittiche, wodurch ich nach knapp dreijähriger Ausbildung ebenfalls Elektromonteur wurde.
Es wird sicherlich niemand erstaunt sein, wenn ich jetzt vorbehaltlos einräume, dass Abels Noten zum wiederholten Male eindeutig besser waren als meine. Dessen ungeachtet freuten wir uns beide in tiefster Seele über die Erfolge und wähnten uns seither als wirklich souverän zu den Erwachsenen gehörig. Darauf waren wir sehr stolz (vielleicht nicht zuletzt auch deshalb, weil wir wussten, den ältesten Beruf der Menschheit erlernt zu haben, denn als Gott sprach: „Es werde Licht!“, hatten die Elektriker bereits die Leitungen verlegt).
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